Wesel: "Strafvereitelung im Amt" beim Mordfall Ohnesorg
Für den Juristen Uwe Wesel ist das veröffentlichte Fotomaterial zum Fall Ohnesorg keine Überraschung: Er habe immer vermutet, dass der Polizist Kurras den Studenten mit Vorsatz getötet habe. Wesel spricht sich aber gegen eine Wiederaufnahme des Prozesses aus.
Ulrike Timm: Es war ein Schlüsselmoment der deutschen Nachkriegsgeschichte überhaupt. Mit den tödlichen Schüssen auf den Studenten Benno Ohnesorg 1967 begannen die großen Studentenproteste. Jetzt sieht es so aus, als würden Fotos beweisen, was lange vermutet wurde und von vielen über Jahrzehnte als linke Propaganda abgetan wurde: Benno Ohnesorg wurde vorsätzlich erschossen, aus kurzer Distanz, und nicht Notwehr, wie der Schütze, der Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras immer behauptet hat. Kurras, 2009 als Stasi-Spitzel enttarnt, wurde im selben Jahr wegen illegalen Waffenbesitzes verurteilt, zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Inzwischen ist er 84 Jahre alt.
Was würde es bedeuten, wenn der schon immer im Raume stehende Mordverdacht nun tatsächlich bewiesen wäre? Dazu Fragen an den Juristen und Rechtshistoriker Uwe Wesel, der uns jetzt im Studio besucht. Schönen guten Tag, Herr Wesel!
Uwe Wesel: Guten Tag!
Timm: Jetzt ist ein Foto plötzlich wieder aufgetaucht, ein Foto, das an sich schon bekannt war, nur ohne den Schützen. Irgendjemand muss ihn all die Jahre auf den offiziellen Bildern immer sorgfältig herausgeschnitten haben, jetzt sieht man dieses Foto wieder ganz. Das klingt wie ein Verschwörungs-Thriller und könnte tatsächlich einer sein. Wenn nämlich mit diesen Fotos gerichtsfest bewiesen würde, dass Karl-Heinz Kurras Benno Ohnesorg erschossen hat, vorsätzlich, dann wäre es Mord. Muss die Geschichte dann endgültig umgeschrieben werden?
Wesel: Ach, Frau Timm, die Geschichte vielleicht nicht, denn selbst in normalen Geschichtswerken wird dieser Verdacht ja schon oft beschrieben. Von der Berliner Linken, zu der ich ja mal gezählt habe oder gezählt wurde, wir haben das immer… wir waren der festen Überzeugung.
Timm: Aber wie kann es sein, dass 40 Jahre lang Fotos verschwinden?
Wesel: Ja, das ist wohl eine Frage der Technik, und dieses Foto, das ist ja wohl irgendwie behandelt worden, und dann ist der Rest wieder aufgetaucht, also der linke Rand, auf dem dann Herr Kurras zu sehen ist. Der Beweis ist wohl da, dass der Herr Starke, dieser Einsatzleiter eben, eine Falschaussage gemacht hat im Prozess, und das ist schon juristisch nicht so ganz uninteressant. Aber welche Folgen das im Einzelnen hat … stellen Sie Ihre Fragen!
Timm: Ja, nun ist es ja so, dass 45 Jahre lang ein Foto, ein Beweisfoto, sehr wahrscheinlich ein Beweisfoto, verschlampt wurde, vertuscht wurde, versehentlich ja vergessen wurde, Schubladen nie aufgeräumt. Wie kann das sein? Das spricht doch dafür, dass 45 Jahre lang Polizei und Justiz einträglich zusammengearbeitet haben.
Wesel: Na, nicht unbedingt die Justiz, die würde ich mal rausnehmen. Die Berliner Polizei – ja, die hat auf alle Fälle gemogelt, das ist gar keine Frage. Ich nenne das Strafvereitelung im Amt.
Timm: Das hieße ja, die Polizei selber hätte sich strafbar gemacht?
Wesel: Ja.
Timm: Was folgt denn nun daraus? Ich meine, wenn wir diese Fotos, wenn die nun wirklich juristisch beweisen würden, es war Mord, muss man dann den Prozess noch mal neu aufrollen gegen den … ?
Wesel: Es ist nicht ganz unmöglich, aber wissen Sie, es ist furchtbar schwer. Also dieses Foto beweist ja nicht unbedingt den Vorsatz von Kurras, sondern es zeigt nur, dass die Berliner Polizei vertuscht hat. Der Verdacht besteht natürlich, jetzt wo wir wissen, dass er ein Stasi-Spitzel war, dass er im Auftrag der DDR gehandelt hat, nicht? Und deswegen, um hier Unruhe zu schüren unter den Studenten, gehandelt hat. Aber das mit diesem Foto zu beweisen, ist furchtbar schwer. Es ist nicht unmöglich, also eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach einem vor 45 Jahren ergangenen Freispruch, das ist sehr, sehr schwer. Es sind ja kaum noch Leute da, die sich erinnern, und das Foto allein wird nicht unbedingt eine Neuaufnahme des Verfahrens bewirken können. Da habe ich meine Zweifel.
Timm: Wir reden jetzt sehr ruhig und sehr abgeklärt über einen Justizskandal.
Wesel: Ja!
Timm: Aber das waren ja Schüsse, die haben Weltbilder ins Wanken gebracht 1967, die haben wirklich die Bundesrepublik, die damalige Bundesrepublik nachhaltig verändert. Die Studentenproteste eskalierten. Sie waren damals ein junger Jurist. Wie schaute die Öffentlichkeit, wie schauten die Medien damals auf den Tod von Benno Ohnesorg?
Wesel: Gleichgültig. Das waren ja linke Studenten, und mit denen konnte man so was machen. An den Universitäten war die Empörung natürlich groß, aber die linken Studenten waren ja gegen Amerika, und besonders hier in Berlin war die Bevölkerung für Amerika. Das waren ja die Befreier, also wenn da ein Student erschossen wurde, hat das so großes Aufsehen nicht erregt – bei den normalen Berlinern, bei den Berliner Studenten schon. Aber wissen Sie, die Berliner Regierung, die ist zurückgetreten, der Regierende Bürgermeister Albertz ist zurückgetreten, nachdem sich herausgestellt hat, was passiert war, und der Polizeipräsident Duensing hat die Verantwortung übernommen, der Innensenator ist zurückgetreten, und dann kam eine neue Regierung, und die hat noch viel Schlimmeres gemacht. Die hat die Studenten ja auch noch provoziert. Da gab es einen Agenten des Berliner Verfassungsschutzes, der hieß Urbach, der hat den Studenten Molotow-Cocktails geliefert nach den Schüssen auf Rudi Dutschke 1968 – im Einverständnis mit den Innensenator. Dieser Urbach hat der Roten Armee Fraktion die ersten Waffen geliefert, dieser Urbach hat sogar mit Wissen der Berliner Regierung eine Bombe für ein Attentat auf das jüdische Gemeindehaus geliefert.
Timm: Alles letztlich Spätfolgen dieses Todes von Benno Ohnesorg. Wir sprechen im Deutschlandradio Kultur im "Radiofeuilleton" mit dem Rechtshistoriker Uwe Wesel über neu aufgetauchtes uraltes Fotomaterial, das den Mord an Benno Ohnesorg beweisen könnte und das der "Spiegel" heute mit einem langen Artikel, mit einer langen Recherche bedenkt. Herr Wesel, Sie sagten vorhin so zweifelnd, na ja, ob das für einen Prozess reicht, ist die Frage. Aber Mord verjährt nicht.
Wesel: Das ist richtig.
Timm: Wäre man dann verpflichtet, diesen Prozess anzustrengen?
Wesel: Na, der Staatsanwalt prüft ja schon. Also der Staatsanwalt prüft, und vielleicht kommt er zu dem Ergebnis, dass man gegen den alten Herrn Kurras mit 84 Jahren – ist er jetzt, glaube ich – doch noch mal die Wiederaufnahme dieses Prozesses betreibt. Das halte ich nicht für unmöglich. Aber ich sage Ihnen, die Voraussetzungen sind wirklich sehr schwer.
Timm: Würden Sie es für sinnvoll halten?
Wesel: Nein, ich glaube … Wissen Sie, wir haben das doch immer gewusst, und man sollte gegen einen 84-jährigen … der ist jetzt gestraft genug.
Timm: Ich frage auch noch aus einem anderen Grund, ich meine, es gibt ja heute immer noch letzte Prozesse gegen sehr alte Nazi-Täter und häufig gegen Menschen, die krank sind, von denen jeder weiß schon bei Prozessbeginn, die werden nie im Gefängnis landen. Und auch wenn sie die letzten 30, 40, 50 Jahren dahin gehört hätten und man weiß, dass es den noch verbliebenen Opfern oder den Nachkommen der Opfer schlicht und einfach wichtig ist, dass so jemand dann verurteilt würde. Ähnlich könne es doch sein im Umfeld von Benno Ohnesorg, Eltern, Verwandte, dass denen einfach wichtig wird, dass das juristisch geklärt würde.
Wesel: Da ist ja noch ein Sohn. Ob seine Frau noch lebt, weiß ich nicht, das ist durchaus möglich. Die haben natürlich schwer gelitten, und insofern haben Sie recht. Insofern sollte die Staatsanwaltschaft das tatsächlich machen. Ich selber bin eher immer der Meinung, wir haben das die ganze Zeit gewusst, mich regt das nicht auf, sage ich Ihnen ganz offen.
Timm: Müsste dann die Mittäterschaft der beistehenden Beamten, die auf den Fotos auch gut zu sehen sind und über all die Jahre nichts gesehen haben, müsste die dann auch neu aufgerollt, neu betrachtet werden?
Wesel: Nein, nein. Im Gegenteil, die waren ja entsetzt, als sie sahen, was der Kurras gemacht hat. Die kann man nicht als Mittäter bezeichnen, sondern die haben nur dann auch später gelogen, und das ist Strafvereitelung im Amt, die verjährt nach fünf Jahren. Das ist längst vorbei, also das waren keine Mittäter.
Timm: Also im Zentrum stände dann allein Karl-Heinz Kurras?
Wesel: … allein Herr Kurras. Beihilfe zum Mord kommt hier nicht in Frage, der verjährt zwar nicht, aber der Beihilfe haben die sich bestimmt nicht schuldig gemacht.
Timm: Sie sagen jetzt so: Na ja, mich regt das nicht mehr auf. Viele hat es aufgeregt, viele Jüngere auch, die das vielleicht nicht so im Blick mehr haben können, auch aufgrund ihres Lebensalters, diese Geschichte, die da heute im "Spiegel" steht. Letztlich wäre es ein Mord im Amt. Das bleibt doch ein Justizskandal, wenn es sich wirklich erhärten sollte.
Wesel: Ja sicher, das war dann ein Mord eines Beamten der Berliner Polizei. Und ich halte das – wir haben es schon damals so gesehen, nicht? Also wir sind immer der Meinung gewesen, der hat nicht in Notwehr gehandelt. So ist er ja freigesprochen worden, er hat gesagt, er sei bedroht worden von Leuten mit Messern und so weiter und hätte dann geschossen.
Timm: Aber warum, meinen Sie, tauchen die Bilder plötzlich heute wieder auf in Gänze?
Wesel: Weil offensichtlich da eine neue Technik angewendet worden ist oder irgendwie dieses Foto wieder richtig so aufgetaucht ist, wie es …
Timm: Nur Technik, oder will es jemand grade stellen?
Wesel: Da kann ich nur – wissen Sie, da ist ja auch ein Herr Prokop, der schon die ganze Zeit darüber geschrieben hat. Wie kam es zu der Tötung von Benno Ohnesorg? Der hat sich mit "Spiegel"-Redakteuren zusammengetan und die haben das jetzt rausgekriegt, das ist auch richtig und gut. Das ist völlig in Ordnung. Damit ist die Geschichte befreit von dem Verdacht, sondern jetzt wissen wir es endlich. Den Verdacht haben wir immer gehabt. Wenn Sie an die Opfer denken, das heißt, an die Witwe und den Sohn Benno Ohnesorgs, dann würde ich Ihnen Recht geben. Und wenn die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis kommt, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu betreiben, weil jetzt neue Beweismittel da sind – aber allein diese Anwesenheit von Ohnesorg da in diesem Vorraum zu den Garagen, die beweist noch nicht alles.
Timm: Der Jurist und Rechtshistoriker Uwe Wesel zum neu aufgetauchten, uralten Fotomaterial, das den Tod von Benno Ohnesorg doch in sehr anderes Licht rückt und Mord wahrscheinlich macht. Ich danke Ihnen, Herr Wesel, für Ihren Besuch im Studio!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Was würde es bedeuten, wenn der schon immer im Raume stehende Mordverdacht nun tatsächlich bewiesen wäre? Dazu Fragen an den Juristen und Rechtshistoriker Uwe Wesel, der uns jetzt im Studio besucht. Schönen guten Tag, Herr Wesel!
Uwe Wesel: Guten Tag!
Timm: Jetzt ist ein Foto plötzlich wieder aufgetaucht, ein Foto, das an sich schon bekannt war, nur ohne den Schützen. Irgendjemand muss ihn all die Jahre auf den offiziellen Bildern immer sorgfältig herausgeschnitten haben, jetzt sieht man dieses Foto wieder ganz. Das klingt wie ein Verschwörungs-Thriller und könnte tatsächlich einer sein. Wenn nämlich mit diesen Fotos gerichtsfest bewiesen würde, dass Karl-Heinz Kurras Benno Ohnesorg erschossen hat, vorsätzlich, dann wäre es Mord. Muss die Geschichte dann endgültig umgeschrieben werden?
Wesel: Ach, Frau Timm, die Geschichte vielleicht nicht, denn selbst in normalen Geschichtswerken wird dieser Verdacht ja schon oft beschrieben. Von der Berliner Linken, zu der ich ja mal gezählt habe oder gezählt wurde, wir haben das immer… wir waren der festen Überzeugung.
Timm: Aber wie kann es sein, dass 40 Jahre lang Fotos verschwinden?
Wesel: Ja, das ist wohl eine Frage der Technik, und dieses Foto, das ist ja wohl irgendwie behandelt worden, und dann ist der Rest wieder aufgetaucht, also der linke Rand, auf dem dann Herr Kurras zu sehen ist. Der Beweis ist wohl da, dass der Herr Starke, dieser Einsatzleiter eben, eine Falschaussage gemacht hat im Prozess, und das ist schon juristisch nicht so ganz uninteressant. Aber welche Folgen das im Einzelnen hat … stellen Sie Ihre Fragen!
Timm: Ja, nun ist es ja so, dass 45 Jahre lang ein Foto, ein Beweisfoto, sehr wahrscheinlich ein Beweisfoto, verschlampt wurde, vertuscht wurde, versehentlich ja vergessen wurde, Schubladen nie aufgeräumt. Wie kann das sein? Das spricht doch dafür, dass 45 Jahre lang Polizei und Justiz einträglich zusammengearbeitet haben.
Wesel: Na, nicht unbedingt die Justiz, die würde ich mal rausnehmen. Die Berliner Polizei – ja, die hat auf alle Fälle gemogelt, das ist gar keine Frage. Ich nenne das Strafvereitelung im Amt.
Timm: Das hieße ja, die Polizei selber hätte sich strafbar gemacht?
Wesel: Ja.
Timm: Was folgt denn nun daraus? Ich meine, wenn wir diese Fotos, wenn die nun wirklich juristisch beweisen würden, es war Mord, muss man dann den Prozess noch mal neu aufrollen gegen den … ?
Wesel: Es ist nicht ganz unmöglich, aber wissen Sie, es ist furchtbar schwer. Also dieses Foto beweist ja nicht unbedingt den Vorsatz von Kurras, sondern es zeigt nur, dass die Berliner Polizei vertuscht hat. Der Verdacht besteht natürlich, jetzt wo wir wissen, dass er ein Stasi-Spitzel war, dass er im Auftrag der DDR gehandelt hat, nicht? Und deswegen, um hier Unruhe zu schüren unter den Studenten, gehandelt hat. Aber das mit diesem Foto zu beweisen, ist furchtbar schwer. Es ist nicht unmöglich, also eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach einem vor 45 Jahren ergangenen Freispruch, das ist sehr, sehr schwer. Es sind ja kaum noch Leute da, die sich erinnern, und das Foto allein wird nicht unbedingt eine Neuaufnahme des Verfahrens bewirken können. Da habe ich meine Zweifel.
Timm: Wir reden jetzt sehr ruhig und sehr abgeklärt über einen Justizskandal.
Wesel: Ja!
Timm: Aber das waren ja Schüsse, die haben Weltbilder ins Wanken gebracht 1967, die haben wirklich die Bundesrepublik, die damalige Bundesrepublik nachhaltig verändert. Die Studentenproteste eskalierten. Sie waren damals ein junger Jurist. Wie schaute die Öffentlichkeit, wie schauten die Medien damals auf den Tod von Benno Ohnesorg?
Wesel: Gleichgültig. Das waren ja linke Studenten, und mit denen konnte man so was machen. An den Universitäten war die Empörung natürlich groß, aber die linken Studenten waren ja gegen Amerika, und besonders hier in Berlin war die Bevölkerung für Amerika. Das waren ja die Befreier, also wenn da ein Student erschossen wurde, hat das so großes Aufsehen nicht erregt – bei den normalen Berlinern, bei den Berliner Studenten schon. Aber wissen Sie, die Berliner Regierung, die ist zurückgetreten, der Regierende Bürgermeister Albertz ist zurückgetreten, nachdem sich herausgestellt hat, was passiert war, und der Polizeipräsident Duensing hat die Verantwortung übernommen, der Innensenator ist zurückgetreten, und dann kam eine neue Regierung, und die hat noch viel Schlimmeres gemacht. Die hat die Studenten ja auch noch provoziert. Da gab es einen Agenten des Berliner Verfassungsschutzes, der hieß Urbach, der hat den Studenten Molotow-Cocktails geliefert nach den Schüssen auf Rudi Dutschke 1968 – im Einverständnis mit den Innensenator. Dieser Urbach hat der Roten Armee Fraktion die ersten Waffen geliefert, dieser Urbach hat sogar mit Wissen der Berliner Regierung eine Bombe für ein Attentat auf das jüdische Gemeindehaus geliefert.
Timm: Alles letztlich Spätfolgen dieses Todes von Benno Ohnesorg. Wir sprechen im Deutschlandradio Kultur im "Radiofeuilleton" mit dem Rechtshistoriker Uwe Wesel über neu aufgetauchtes uraltes Fotomaterial, das den Mord an Benno Ohnesorg beweisen könnte und das der "Spiegel" heute mit einem langen Artikel, mit einer langen Recherche bedenkt. Herr Wesel, Sie sagten vorhin so zweifelnd, na ja, ob das für einen Prozess reicht, ist die Frage. Aber Mord verjährt nicht.
Wesel: Das ist richtig.
Timm: Wäre man dann verpflichtet, diesen Prozess anzustrengen?
Wesel: Na, der Staatsanwalt prüft ja schon. Also der Staatsanwalt prüft, und vielleicht kommt er zu dem Ergebnis, dass man gegen den alten Herrn Kurras mit 84 Jahren – ist er jetzt, glaube ich – doch noch mal die Wiederaufnahme dieses Prozesses betreibt. Das halte ich nicht für unmöglich. Aber ich sage Ihnen, die Voraussetzungen sind wirklich sehr schwer.
Timm: Würden Sie es für sinnvoll halten?
Wesel: Nein, ich glaube … Wissen Sie, wir haben das doch immer gewusst, und man sollte gegen einen 84-jährigen … der ist jetzt gestraft genug.
Timm: Ich frage auch noch aus einem anderen Grund, ich meine, es gibt ja heute immer noch letzte Prozesse gegen sehr alte Nazi-Täter und häufig gegen Menschen, die krank sind, von denen jeder weiß schon bei Prozessbeginn, die werden nie im Gefängnis landen. Und auch wenn sie die letzten 30, 40, 50 Jahren dahin gehört hätten und man weiß, dass es den noch verbliebenen Opfern oder den Nachkommen der Opfer schlicht und einfach wichtig ist, dass so jemand dann verurteilt würde. Ähnlich könne es doch sein im Umfeld von Benno Ohnesorg, Eltern, Verwandte, dass denen einfach wichtig wird, dass das juristisch geklärt würde.
Wesel: Da ist ja noch ein Sohn. Ob seine Frau noch lebt, weiß ich nicht, das ist durchaus möglich. Die haben natürlich schwer gelitten, und insofern haben Sie recht. Insofern sollte die Staatsanwaltschaft das tatsächlich machen. Ich selber bin eher immer der Meinung, wir haben das die ganze Zeit gewusst, mich regt das nicht auf, sage ich Ihnen ganz offen.
Timm: Müsste dann die Mittäterschaft der beistehenden Beamten, die auf den Fotos auch gut zu sehen sind und über all die Jahre nichts gesehen haben, müsste die dann auch neu aufgerollt, neu betrachtet werden?
Wesel: Nein, nein. Im Gegenteil, die waren ja entsetzt, als sie sahen, was der Kurras gemacht hat. Die kann man nicht als Mittäter bezeichnen, sondern die haben nur dann auch später gelogen, und das ist Strafvereitelung im Amt, die verjährt nach fünf Jahren. Das ist längst vorbei, also das waren keine Mittäter.
Timm: Also im Zentrum stände dann allein Karl-Heinz Kurras?
Wesel: … allein Herr Kurras. Beihilfe zum Mord kommt hier nicht in Frage, der verjährt zwar nicht, aber der Beihilfe haben die sich bestimmt nicht schuldig gemacht.
Timm: Sie sagen jetzt so: Na ja, mich regt das nicht mehr auf. Viele hat es aufgeregt, viele Jüngere auch, die das vielleicht nicht so im Blick mehr haben können, auch aufgrund ihres Lebensalters, diese Geschichte, die da heute im "Spiegel" steht. Letztlich wäre es ein Mord im Amt. Das bleibt doch ein Justizskandal, wenn es sich wirklich erhärten sollte.
Wesel: Ja sicher, das war dann ein Mord eines Beamten der Berliner Polizei. Und ich halte das – wir haben es schon damals so gesehen, nicht? Also wir sind immer der Meinung gewesen, der hat nicht in Notwehr gehandelt. So ist er ja freigesprochen worden, er hat gesagt, er sei bedroht worden von Leuten mit Messern und so weiter und hätte dann geschossen.
Timm: Aber warum, meinen Sie, tauchen die Bilder plötzlich heute wieder auf in Gänze?
Wesel: Weil offensichtlich da eine neue Technik angewendet worden ist oder irgendwie dieses Foto wieder richtig so aufgetaucht ist, wie es …
Timm: Nur Technik, oder will es jemand grade stellen?
Wesel: Da kann ich nur – wissen Sie, da ist ja auch ein Herr Prokop, der schon die ganze Zeit darüber geschrieben hat. Wie kam es zu der Tötung von Benno Ohnesorg? Der hat sich mit "Spiegel"-Redakteuren zusammengetan und die haben das jetzt rausgekriegt, das ist auch richtig und gut. Das ist völlig in Ordnung. Damit ist die Geschichte befreit von dem Verdacht, sondern jetzt wissen wir es endlich. Den Verdacht haben wir immer gehabt. Wenn Sie an die Opfer denken, das heißt, an die Witwe und den Sohn Benno Ohnesorgs, dann würde ich Ihnen Recht geben. Und wenn die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis kommt, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu betreiben, weil jetzt neue Beweismittel da sind – aber allein diese Anwesenheit von Ohnesorg da in diesem Vorraum zu den Garagen, die beweist noch nicht alles.
Timm: Der Jurist und Rechtshistoriker Uwe Wesel zum neu aufgetauchten, uralten Fotomaterial, das den Tod von Benno Ohnesorg doch in sehr anderes Licht rückt und Mord wahrscheinlich macht. Ich danke Ihnen, Herr Wesel, für Ihren Besuch im Studio!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.