Bette Westera und Sylvia Weve: "Jawlensky. Mit ihren Augen"
Aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf
Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2019
32 Seiten, 18 Euro
Blau wie der Himmel, wie Wasser und Augen
05:21 Minuten
In dem Bilderbuch muss die Hauptfigur, ein kleiner Junge, mit dem Tod der Mutter umgehen. Die Geschichte hat Anknüpfungspunkte an das Leben des Malers Alexej von Jawlensky, die Zeichnungen erinnern an seinen Stil. Insgesamt ein großartiges Buch.
Es gibt wunderbare Bilderbücher über Kunst oder Künstler, und das aus gutem Grund: Denn wer könnte ausdrucksstärker von ihnen erzählen als ein schönes Bilderbuch, das mit wenig Text und vielen Bildern Leben und Werk eines Malers beschreibt?
Ein neues Bilderbuch aus den Niederlanden bestätigt diese Beobachtung, sein Titel: "Mit ihren Augen". Es entstand durch die Zusammenarbeit des großartigen Duos Bette Westera und Sylvia Weve.
Umzug in den Himmel
Ein kleiner Junge ist neu im Dorf. Die Kinder fragen ihn, ob er denn keine Mutter habe. Worauf er antwortet: "Doch, man kann sie nur nicht sehen." Mit ganz sparsamen Sätzen steigt Bette Westera in ihre Geschichte ein und schnell wird klar: Es geht um ein Kind, für das die verstorbene Mutter auch nur "umgezogen" ist – in den Himmel. Und von dort schaut sie nun auf ihn herunter und nimmt an seinem Leben Anteil.
Also malt der Junge erst die Mutter und dann das Haus, in dem er wohnt, und hält die Bilder für sie ans Fenster. Doch die scheinen ihm zu klein, denn wie soll die Mutter sie von soweit oben erkennen? Also malt er größere Bilder. Er pinselt das ganze Dorf auf eine Brandmauer, damit sie es besser sehen kann. Dann malt er mit bunter Farbe ein noch größeres Bild in ein Feld, mit riesigen Farbeimern das Gesicht des Vaters in den Schnee und am Ende malt er sich selbst.
Ursprüngliche Titelidee "Jawlensky"
Ursprünglich sollte dieses wunderschöne Bilderbuch "Jawlensky" heißen, denn sowohl die Geschichte des kleinen Jungen als auch Sylvia Weves Bilder sind an das Leben und die Kunst des russisch-deutschen Künstlers Alexej von Jawlensky angelehnt. Wobei man über dessen Kindheit wenig weiß, nur dass seine Mutter früh starb.
"Welches Erlebnis der Welt inspirierte Alexej von Jawlensky zu seinen so farbigen, expressiven, überaus vitalen Bildern?" fragten sich die beiden Bilderbuchmacherinnen, die von diesem Maler sichtlich beeindruckt sind. Und sie entwarfen ihre Geschichte von einem Kind, dessen Phantasie und Kreativität gerade durch diesen großen Verlust die Initialzündung erfahren.
"Mit ihren Augen" – so rät es ihm der Vater – sieht der kleine Junge sich selbst in seinem letzten Bild, einem Selbstportrait. Über das Malen von Haus und Dorf, Landschaft und Mutter ist er schließlich bei sich selbst angekommen. Und die Bilderbuchbetrachter kommt bei ihm an, dem Künstler. Denn "mit seinen Augen", also quasi mit Jawlenskys Augen, sieht und zeigt die Illustratorin Sylvia Weve die Welt des Kindes.
Anklänge an die Meister
Ihre großen, bunten Bilder mit ausdrucksstarken Linien, Rändern, Farben und Formen sind ganz deutlich an Jawlenskys Kunst und die seiner Zeitgenossen angelehnt. An ihre Art, Dinge und Natur in expressiven Farben und Formen auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und so glaubt man hinter Sylvias Weves Zeichnungen, bekannte Bilder von Macke, Marc, Nolde oder eben Jawlensky zu sehen. Vor allem die leicht abstrahierten, klar leuchtenden Portraits mit den riesigen, eindrucksvollen Augen erinnern deutlich an Jawlenskys Portraits.
Dabei spielen Augen in diesem faszinierenden Bilderbuch eine mehrfache Rolle. "Mit ihren Augen" sieht der Junge die Welt, die Illustratorin ihre Geschichte und der Betrachter dieses Bilderbuch. Doch die Augen sind auch selbst Gegenstand der Kunst: So eindrücklich und zugleich warm kann nur ein Liebender die Augen seines Gegenübers malen. Die Augen auf Jawlenskys Portraits sind legendär, die Augen des Jungen und seiner Eltern in diesem Bilderbuch schauen und sprechen den Betrachter direkt an. Großartig.