Grünen-Politikerin gegen Änderung des Asylrechts
Die grüne Europa-Politikerin Ska Keller spricht sich gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung aus, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Vor allem Roma seien noch starken Diskriminierungen ausgesetzt.
Korbinian Frenzel: Deutschland hat selten so viele Flüchtlinge aufgenommen wie in diesem und im letzten Jahr, in diesem sind es bereits weit über 100.000 – und wen wundert's? Überall brennt die Welt, vor allem im arabischen Raum. Es brennt dagegen nicht mehr so akut in Ländern wie Serbien, wie Bosnien-Herzegowina und auch Mazedonien, weswegen die Bundesregierung heute im Bundesrat durchsetzen möchte, dass diese drei Länder als sichere Herkunftsstaaten deklariert werden. Der Vorteil: Asylverfahren könnten dann sehr viel schneller durchgeführt werden.
Seit Wochen schon verhandeln auch Grüne mit der Bundesregierung darüber. Die Partei sagt jetzt "Nein". Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, wird wohl "Ja" sagen heute im Bundesrat. Das dürfte Ska Keller, die grüne Europaabgeordnete der Grünen, nicht erfreuen. Sie hat da einen entsprechenden Aufruf gegen diese Asylrechtsänderung unterzeichnet. Jetzt ist sie am Telefon. Guten Morgen!
Ska Keller: Guten Morgen!
Frenzel: Was spricht dagegen, diese Länder, die ja schon lange keine Bürgerkriegsländer mehr sind, auch entsprechend einzustufen?
Keller: In der Tat gibt es dort keine Bürgerkriege mehr, aber Verfolgung und Fluchtgründe entstehen eben nicht nur in Kriegsländern, dort sind sie natürlich ganz besonders sichtbar, aber auch auf dem Balkan sehen wir, dass Menschen nicht sicher leben können. Das trifft vor allem zu für die Bevölkerungsgruppe der Roma, die dort starker Diskriminierung ausgesetzt ist und die auch vom Staat keinen Schutz erfährt. Dann haben wir erst vor Kurzem gesehen, dass auch LGBT-Aktivistinnen, also Schwule, Lesben, Transgender-Menschen nicht sicher leben können auf dem Balkan. Das hat man jetzt in den Medien gesehen, weil es eben einen deutschen Aktivisten getroffen hat, aber die Menschen auf dem Balkan leben damit tagtäglich. und es ist halt schwierig, Länder einfach mal so als sicher zu deklarieren. Das kann man nicht einfach so machen, denn sie sind wirklich nicht sicher. Es gibt dort Diskriminierung, es gibt dort Verfolgung, und die muss man eben auch so anerkennen.
Flüchtlingsgruppen nicht gegeneinander ausspielen
Frenzel: Es gibt ohne Frage Diskriminierung dort, aber die individuelle Prüfung eines Asylantrages, die ist und bleibt ja gesichert. Das steht im Grundgesetz. Es geht ja jetzt um die Verkürzung und die Vereinfachung von Verfahren und damit ja auch darum, dass wir mehr Kapazitäten haben – auch bürokratische Kapazitäten – für Syrer, für Iraker, da, wo es wirklich aktuell Not tut.
Keller: Ich finde es eben schwierig, wenn man Flüchtlingsgruppen gegeneinander ausspielt. Natürlich, in Syrien die Situation ist katastrophal, im Irak, und ja, da werden einige Flüchtlinge sich noch auf den Weg machen müssen. Die meisten sind ja zum Beispiel in Syrien überhaupt in den Nachbarländern. Wir haben im Libanon über eine Million Flüchtlinge, also an diese Zahlen kommen wir noch lange nicht heran. Aber ...
Frenzel: Aber es sind gerade mal 0,3 Prozent der Asylbewerber aus diesen genannten Ländern, die letztendlich anerkannt werden. Stecken Sie da nicht alle Ihre Energie in einen rein symbolischen Kampf?
Keller: Na ja, in anderen europäischen Mitgliedsländern sieht die Situation ganz anders aus. In Belgien haben wir eine weit höhere Anerkennungsquote, in der Schweiz haben wir eine weit höhere Anerkennungsquote. Also die Frage ist schon: Wenn das in anderen Ländern so viel unterschiedlich ist – in der Schweiz bei über 20 Prozent, die Anerkennungsquote –, woran liegt das dann? Dann liegt es sicherlich nicht an den Menschen, die kommen, das sind ähnliche Geschichten, sondern es liegt auch daran, wie die Asylbehörden da draufgucken.
Und die Bürokratieersparnis, die man sich da erhofft – das sagt auch die Bundesregierung –, die ist jetzt nicht extrem groß, im Gesetzesentwurf steht etwas von zehn Minuten. Natürlich summiert sich das. Aber ist die Frage, ob man für zehn Minuten Verwaltungsaufwand einen Menschen in die schwierigere Lage bringt, einen Asylantrag zu begründen, denn wenn Länder als sicher eingestuft sind, dann haben die Menschen es viel schwieriger, wenn sie glaubhaft machen wollen, dass sie verfolgt werden, dass sie diskriminiert werden. Und da ist auch der Gesetzesentwurf nicht ganz im Reinen mit dem Europarecht, das wir gerade erst verabschiedet haben bzw. das auch schon länger gilt. Also da habe ich doch einige Bedenken, und die Frage ist wirklich: Lohnt sich das – für so wenig weniger Verwaltungsaufwand, so viel Einschränkung vom Recht der Menschen?
"Ich kann nur davon abraten, dem zuzustimmen"
Frenzel: Das heißt, es ist ein Fehler, dass Baden-Württemberg unter der Führung von Winfried Kretschmann zustimmen will?
Keller: Ja, warten wir erst mal den Bundesrat ab, aber ich kann nur davon abraten, dem zuzustimmen. Natürlich geht es den Ländern um ganz konkrete Verbesserung vor Ort, aber ... und ich bin auch konkrete Verbesserung vor Ort, aber ich glaube eben, man sollte sich nicht auf diesen Kuhhandel einlassen, wo man die einen also gegen die anderen ausspielt, wo es um das individuelle Recht auf Asyl geht. Verbesserungen am Ort, die sollten wir gemeinsam erstreiten, aber ich glaube halt, jetzt so einen Deal einzugehen, das wäre der falsche Weg.
Frenzel: Gemeinsam erstreiten, sagen Sie – Winfried Kretschmann oder vielmehr die grünen Verhandler da auf der Bundesratsseite, die haben immerhin erreicht von der Bundesregierung, dass erstens die Arbeitsmöglichkeit für Asylbewerber erleichtert werden soll, dass zweitens die Residenzpflicht endlich fallen soll, also dass die Asylbewerber in ihrem Landkreis bleiben müssen, und dass es drittens keine Lebensmittelpakete mehr gibt, die sogenannten Sachleistungen, sondern schlicht und einfach Geld. Das sind drei zentrale Forderungen der Flüchtlingsverbände, Verbesserungen, die jetzt in den Verhandlungen erreicht wurden. Und Sie sagen dazu nein?
Keller: Man muss sich das erst mal im Detail angucken. Mir liegen da noch keine Details vor. So was wie Sachleistungen sind natürlich ein arges Problem, die gibt es aber nur noch in wenigen Kommunen. Bereits jetzt können Kommunen auch darüber entscheiden, wie sie damit umgehen wollen. Bei den anderen muss man ...
Frenzel: Aber es wäre natürlich ein Unterschied, wenn von Bundesebene entschieden würde: Es gibt keine Sachleistungen mehr, es gibt Geld direkt.
Keller: Wie gesagt, die Formulierung würde ich mir dann noch mal genau angucken, was sich unter diesen Überschriften verbirgt. Nichts desto trotz – natürlich ist es ganz wichtig, dass die Vorrangprüfung fällt, dass Asylbewerber endlich Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen, dass die Residenzpflicht komplett fällt, dass Menschen auch in andere Bundesländer ziehen können, das ist ja momentan wirklich unmöglich, und natürlich auch die Sachdienstleistungen sind einfach unmöglich. Die Frage ist: Kann man das nur erreichen, indem man etwas anderes sehr Substanzielles dafür aufgibt? Und da habe ich schon Bedenken. Ich glaube, für alle diese Punkte gibt es sehr viel Unterstützung in der Bevölkerung, es gibt auch Unterstützung aus den Kommunen, die auch sehen, dass die Residenzpflicht nichts bringt oder dass ihre Unternehmen vor Ort Arbeitskräfte suchen und dass das Vorrangprüfungsverfahren einfach völlig überbürokratisch ist.
Da könnte man wirklich Bürokratie einsparen ohne Probleme, ohne dass es jemanden stören würde. Also ich frage mich halt: Kann man diese Sachen nur erreichen, indem man so einen Deal eingeht? Und: Ist es das ... Kann man das für diesen Preis erkaufen? Kann man das dafür erkaufen, dass Menschen aus dem Balkan es einfach viel, viel schwerer haben werden, Asyl zu bekommen, obwohl sie in anderen europäischen Ländern gesagt bekommen: Jawohl, ihr habt sehr viele Gründe? ...
"Ich frage mich schon, warum das in Deutschland anders ist"
Frenzel: Aber Frau Keller, ich sage es noch mal: Im Moment haben sie ja schon faktisch keine guten Chancen, hier Asyl zu bekommen. Wenn man da also sozusagen aus der faktischen Situation eine gesetzliche macht, auf der anderen Seite viele Verbesserungen erreicht, ist das nicht besser, als am Ende gar nichts in der Hand zu haben, politisch betrachtet?
Keller: Muss man sich eben genau überlegen. Ich denke, wenn das individuelle Recht der einen gegen Verbesserungen bei den anderen steht, dann wird es für mich schwierig, weil ich finde eben, man kann Bevölkerungsgruppen nicht so gegeneinander ausspielen und man kann nicht so die Rechte der einen für Verbesserungen bei den anderen verkaufen. Aber auch noch mal: Ich finde schon bemerkenswert, dass in anderen europäischen Ländern die Asylbehörden sagen, ... oder viel mehr Asylgründe sehen bei Menschen aus dem Balkan. Und da frage ich mich schon, warum das in Deutschland anders ist. Liegt das wirklich daran, dass bei uns andere Leute aufschlagen, oder liegt es daran, dass Asylanträge nicht so wohlwollend geprüft werden oder nicht in allen Einzelheiten, wie das in den Nachbarländern der Fall ist? Das müssen wir wirklich noch mal genau angucken.
Frenzel: Frau Keller, eine letzte Frage zur großen Nachricht dieses Morgens: Die Schotten werden jetzt wohl nicht in die Unabhängigkeit ziehen. Das wird sicherlich keine Flüchtlingsströme auslösen, das ist schon mal gut. Als Europaabgeordnete – sagen Sie, das ist eine gute Entscheidung?
Keller: Als Europaabgeordnete aus Deutschland sage ich den Schottinnen und Schotten oder habe es ihnen in den vergangenen Wochen immer wieder gesagt: Ihr müsst das entscheiden, das ist eure Sache. Ich habe die Kampagne da auch sehr aufmerksam verfolgt, ich fand es sehr interessant, wie die Schottinnen und Schotten, die für die Unabhängigkeit gekämpft haben, das frei von Nationalismen getan haben. Auch die Art und Weise, wie dort abgestimmt wurde, dass alle Menschen, die dort lebten, abgestimmt haben und man nicht per Schottentum abgestimmt hat, das fand ich eine wirklich sehr interessante Idee. Und auch die Ideen, die die Kämpfer für die Unabhängigkeit vorgebracht haben, fand ich sehr interessant.
Nichts desto trotz: Die Schottinnen und Schotten entscheiden, haben entschieden. Wie auch immer es ausgeht letztendlich, das ist deren Sache. Mit dem Resultat werden wir natürlich leben. Es macht es dann für uns zuversichtlicher, dass auch Großbritannien in der Europäischen Union bleibt, und das hoffen wir dann mal als nächsten Schritt.
Frenzel: Das sagt die grüne Europaabgeordnete Ska Keller. Vielen Dank für dieses Interview!
Keller: Ich danke Ihnen!
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