Emran Feroz ist freier Journalist mit afghanischen Wurzeln. Er berichtet regelmäßig über die politische Lage im Nahen Osten und Zentralasien. Feroz publiziert in deutsch- und englischsprachigen Medien.
Afghanistan als Testgebiet für Waffen
Im April hat die US-Armee ihre größte nicht-atomare Bombe in einem Kampfeinsatz abgeworfen – und zwar gegen IS-Stellungen in Afghanistan. Es ist nicht das erste Mal, dass am Hindukusch Waffen getestet werden, schreibt der Journalist Emran Feroz. Er beklagt, dass die Opfer unbekannt bleiben.
Vor wenigen Tagen warfen die Amerikaner ihre größte, nicht-nukleare Bombe zum allerersten Mal ab, und zwar über dem Osten Afghanistans. Afghanischen Offiziellen zufolge soll diese Massenvernichtungswaffe, die den perversen Namen "Mutter aller Bomben" trägt, über 90 IS-Kämpfer getötet haben. Währenddessen hält sich das Pentagon mit derartigen Angaben zurück – und sperrt seit dem Abwurf den Tatort ab. Kein Wunder: Eine Bombe, die ganz Manhattan oder Düsseldorf in Schutt und Asche gelegt hätte, hat gewiss auch in Afghanistan mehr ausgelöscht als einige militante Kämpfer. Einfach ausgedrückt: Zivile Opfer sind vorprogrammiert.
Waffentests seit dem ersten Tag
Viele Afghanen – sowohl innerhalb Afghanistans als auch in der Diaspora – haben mittlerweile den Abwurf der MOAB kritisiert und dagegen protestiert. Für sie ist nämlich klar: Dem Westen gilt ihre Heimat als Test- und Spielplatz für Waffen. Die Verantwortlichen dürfen töten und vernichten, und das ohne irgendwelche Konsequenzen befürchten zu müssen. Und das ist nicht erst seit dem Abwurf der "Mutter aller Bomben" so, sondern bereits seit über fünfzehn Jahren. De facto begannen die Testversuche mit dem ersten Tag des NATO-Militäreinsatzes im Land.
Die erste bewaffnete Drohne
An diesem ersten Tag wurde am Hindukusch eine Waffe eingesetzt, die bis dahin noch nie zum Einsatz gekommen war: Die bewaffnete Drohne. Am 7. Oktober 2001 zielte eine solche Drohne auf ein Haus in der südlichen Provinz Kandahar. Ziel war angeblich der damalige Taliban-Chef Mullah Mohammad Omar. Quasi per Fernsteuerung wurden Dutzende Menschen getötet. Doch Omar konnte fliehen und starb, wie wir heute wissen, über ein Jahrzehnt später eines natürlichen Todes.
Die Toten bleiben unsichtbar
Doch wer waren die Menschen, die an jenem Tag im Jahr 2001 starben? Ihre Namen und ihre Geschichten sind vollständig unbekannt. So wie viele Opfer in den darauffolgenden Jahren blieben diese toten Afghanen schlichtweg unsichtbar. Diese Praxis zieht sich wie ein roter Faden durch gesamten "Krieg gegen den Terror" in Afghanistan. Egal, ob bei konventionellen Luftangriffen, Drohnen-Angriffen oder dem jüngsten Abwurf der "MOAB".
Auch andere Waffen wie Uranmunition kamen in Afghanistan zum Einsatz und wurden an den Körpern der Zivilbevölkerung getestet. Die Bilder der Opfer dieser Verbrechen schafften es allerdings nur selten – wenn überhaupt – in die hiesigen Medien. Westliche Kriegsverbrechen passen eben weiterhin nicht in das Narrativ, das uns tagtäglich vermittelt wird.
Für afghanische Opfer gibt es keinen Liveticker
Man vergleiche etwa die Aufmerksamkeit, die auch kleinere Anschläge im sogenannten "Westen" erfahren, mit der, die eine derartige Monsterbombe in Afghanistan erfährt. Live-Ticker, stündliche Schlagzeilen und groß aufgemachte Opfergeschichten sind lediglich für Erstere reserviert. Aufmerksamkeit für tote Afghanen? Fehl am Platz. Wenn man sich noch dazu die oft ökologisch motivierten Proteste gegen "Waffentestgebiete auf eigenem Grund" in den westlichen Demokratien anschaut, könnte einem regelrecht schlecht werden.
Das Gesamtbild ist trostlos
Deshalb ist es wichtig, all diese Angriffe und Bombenabwürfe nicht einzeln und isoliert voneinander zu betrachten. Denn erst beim Erfassen des Gesamtbildes wird die Systematik und Skrupellosigkeit deutlich, die dahinter steckt.
Doch dieses trostlose Gesamtbild ist nicht erst gestern entstanden. Es ist das Ergebnis eines jahrelangen Missbrauchs von militärischer und politischer Macht auf allen Ebenen. Aus diesem Grund sind die dystopischen Zustände auf afghanischem Boden, sowie das, was der Westen darauf macht, mehr wert als nur eine Randnotiz in der täglichen Katastrophenberichterstattung