Netflix und Co. in Russland

Widerstand als PR-Zweck?

06:41 Minuten
Illustration: Geknebelter "Twitter" Vogel vor Mikrofonen.
Der Zugang zu Twitter in Russland ist zurzeit gesperrt © imago / Ikon Images / Gary Waters
Von Hagen Terschüren · 05.03.2022
Audio herunterladen
Seit Freitag blockt Russland den Zugang zu Facebook, Twitter und anderen Social Media-Apps. Der Druck vonseiten Russlands auf westliche Unternehmem wie Netflix, Google oder Meta ist nicht neu. Die Firmen reagieren teilweise mit Boykott – auch aus Eigennutz.
Russlands Krieg gegen die Ukraine ist, wie so viele Konflikte heutzutage, ein Informationskrieg. Es geht für die Beteiligten darum, das Narrativ zu kontrollieren – gegenüber der Welt, aber auch gegenüber der eigenen Bevölkerung. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nutzt vor allem Social-Media-Plattformen für diese Zwecke.
Russland zensiert Medien und übt auch Druck auf westliche Medien- und Tech-Unternehmen aus. Seit einiger Zeit werden Streamingdienste mit mehr als 100.000 täglichen Usern in ein Register sogenannter audiovisueller Dienste eingetragen. Sie sind damit verpflichtet, einen Firmensitz im Land zu eröffnen und unterliegen russischen Gesetzen.

Hohe Geldstrafen und bis zu 15 Jahre Haft

Seit dem 1. März müssen diese Streamingdienste wegen eines neuen Mediengesetzes außerdem Streams von zwanzig russischen Fernsehsendern ausstrahlen, darunter der staatseigene Rossija 1 und der Haussender der russisch-orthodoxen Kirche.
Diese Gesetze reihen sich ein in eine Vielzahl von Zensurmaßnahmen: Bereits zu den Parlamentswahlen im September wurden auf Druck von Russland Apps des Regierungskritikers Alexej Nawalny aus den Stores von Apple und Google entfernt.
Seit Freitagabend blockt Russland außerdem den Zugang zu Facebook, Twitter und anderen Social Media-Apps. Der Grund ist eine Gesetzesänderung, die angeblich gegen Falschinformationen vorgehen soll. Sie verbietet auch Nachrichtenorganisationen, den Krieg als Krieg zu bezeichnen. Es drohen hohe Geldstrafen und bis zu 15 Jahre Gefängnis.

Widerstand der Firmen

Auch vonseiten der Medienunternehmen gibt es Reaktionen auf die Zensur und Gesetzte: Netflix und Youtube weigern sich bisher, die russischen Sender zu streamen.
Google und Meta wurden letzte Woche zu insgesamt 125 Millionen Dollar Strafe verurteilt, weil sie keine Inhalte löschen wollen, die Russland als illegal bezeichnet. Viele Tech-Unternehmen ziehen sich aus Russland zurück oder pausieren zumindest den Handel, darunter Intel, Microsoft und Apple, aber auch Entertainment-Unternehmen wie Disney, Electronic Arts und Warner Brothers.
Auf Bitten der EU blocken Meta, Youtube und TikTok die Staatssender RT und Sputnik innerhalb der EU. Apple hat deren Apps aus dem Store gelöscht und auch Spotify entfernt RT-Inhalte.

Nur geringe Umsätze in Russland

Die genauen Beweggründe für diese Entscheidungen geben die Unternehmen nicht heraus. Natürlich arbeiten dort Menschen, die vermutlich auch viel Schrecken empfinden, wenn sie die Bilder aus der Ukraine sehen. Apple-CEO Tim Cook schreibt in einer Mail an seine Belegschaft, wie furchtbar er die Bilder findet und dass das Unternehmen für humanitäre Hilfe spenden möchte.
Aber ganz pragmatisch betrachtet: Es ist natürlich ein guter Zeitpunkt, um auch politisches Kapital zu gewinnen. Gerade Big Tech steht weltweit unter Druck wegen Steuervermeidung, Kartellvorwürfen und generell negativen Auswirkungen auf die Demokratie.

Boykott auch aus PR-Gründen

Mit dem Boykott Russlands können die Tech- und Medienunternehmen Pluspunkte sammeln, ohne viel zu verlieren. Denn Netflix hat 2020 in Russland gerade mal 25 Millionen von insgesamt 30 Milliarden umgesetzt, Apple generiert dort laut dem Analysten Gene Munster nur zwei Prozent seines Umsatzes und Google nur circa ein halbes Prozent.
Wirtschaftlich ist Russland also nicht besonders relevant für die Unternehmen, aber ein Boykott ermöglicht ihnen viele positive Schlagzeilen. Diese Interpretation wird unterstützt, wenn man einen Blick drauf wirft, wie die Medienunternehmen mit anderen Autokratien umgehen, zum Beispiel Saudi-Arabien oder China.
Mehr zum Thema