Wettstreit der Dichter

Von Jens Brüning |
Das neunte Poesiefestival Berlin hat mit Lesungen und Theateraufführungen in der Hauptstadt begonnen. Rund 150 Autoren und Dichter aus aller Welt präsentieren sich dem Publikum.
Aus Marseille erfuhren wir von mediterranen Netzwerken poetischer Kunst. In New York gibt es seit fast einem Vierteljahrhundert ein Haus für die Poesie, und es soll noch größer und schöner werden. Und auch im äußersten Nordwesten des Bundesstaates New York gibt es Menschen, die ihre Lebenszeit der Poesie widmen. Sie machen das auf neuartige Weise. Loss Pequeño Glazier vom Electronic Poetry Centre in Buffalo blickt inzwischen auf fast 20 Jahre digitaler Poesie zurück:

"Das Ziel war eine digitale literarische Sammlung, die der innovativen Poetengemeinde von Buffalo dabei helfen sollte, die Welt zu erobern. Und tatsächlich sind wir inzwischen weit gekommen. Aber anders als bei vielen akademischen Spezialsammlungen mit ihrem streng beschränkten Zugang ist das EPC Tag und Nacht für jeden Interessierten frei zugänglich."

Für den Liebhaber stiller Stunden bei Rotwein und Lyrik ist das Electronic Poetry Centre etwas gewöhnungsbedürftig. Aber man kann am häuslichen Bildschirm sowohl sehen, als auch hören, und lesen sowieso. 10 Millionen Menschen aus 90 Ländern der Welt nutzen das Angebot aus Buffalo. Eher althergebrachte Übermittlungsformen bevorzugt Ursula Häusgen vom Lyrik Kabinett München. Sie betreibt ihr Haus seit fast 20 Jahren und bietet alljährlich wenigstens 45 Veranstaltungen:

"Nun haben die neuen Medien zwar viele neue Möglichkeiten eröffnet, aber ich möchte an dieser Stelle doch sagen, dass ich persönlich überzeugt bin, dass das Medium Buch für Literatur das grundlegende Medium ist. Ein Poesiefilm ist ein Film und kein Gedicht. Das Gedicht muss zuerst da sein. Was sich nicht sprachlich notieren lässt, ist nicht Sprache. Und deshalb kommen wir am Buch nicht vorbei, zumindest nicht als Ausgangspunkt für anderes. Meine Erfahrung jedenfalls geht dahin, dass jeder Autor ein Buch möchte. Auch die Slam-Poeten, wenn sie dabei bleiben und weitermachen, wollen ein Buch und dann eine Einzellesung."

Poetry Slam, sei eingeflochten, ist ein Dichterwettstreit vor Publikum. Bewertet werden sowohl der Inhalt der Texte als auch die Art des Vortrags. Daniela Seel ist sowohl Dichterin als auch Verlegerin. Sie betreibt, "um zeitgemäße Literatur zeitgemäß zu verkaufen", zusammen mit anderen seit fünf Jahren den Verlag kookbooks. Das ist ein Verlag, der bald nach seiner Gründung ebenso wie seine Autorinnen und Autoren mit Preisen geradezu überschüttet wurde. Daniela Seel weiß also, was zu einem Haus der Poesie gehören muss. Und:

" … dass es von der Basis tatsächlich auch kommt und nicht etwas ist, was dann erst durch die Basis aufgefüllt werden soll."

Ein alter Hase auf dem Feld der Poesie ist Jörg Drews, Mitbegründer des Bielefelder Colloquiums Neue Poesie. Er mahnte:

"Fast alle große deutsche Literatur war mal eine absolute randständige und Minoritätensache, und heute ist es unsere große nationale literarische Tradition. Das fängt damit an, dass der "Werther" von Goethe zunächst mal zum Druck bezahlt worden ist von ihm, und erst später ist er der Erfolg geworden, und so ist es an ganz vielen Stellen. Wenn wir so kurzfristig ökonomistisch argumentieren, dürften wir eine ganze Menge an Förderung und Tradierung von Literatur überhaupt nicht anfangen, denn es zahlt sich erst eventuell ganz spät aus, und noch die dollsten Sachen gehören zu unserem kulturellen Erbe und rechnen sich – öde gesagt: rechnen sich nicht."

Von Geld war während des gesamten Colloquiums in der Akademie der Künste im schönen Tiergarten übrigens nur am Rande die Rede. Es ging vorrangig um Ideen für den Betrieb eines Hauses für die Dichtung in Berlin. Thomas Wohlfahrt, Leiter der Literaturwerkstatt Berlin:

"Einen solchen Ort zu haben, an einem Ort, wo die Dichte der Dichter am dichtesten ist – somit in Berlin – wäre die falscheste Entscheidung nicht."

Dafür müssten vergleichsweise kleine Summen veranschlagt werden. Drei Millionen beträgt der Etat in Marseille, eine Million in New York, und das wird vornehmlich aus Spendentöpfen finanziert. Wir wohnten einem ersten Ideenaustausch bei. Thomas Wohlfahrt, Poesie-erprobter Impresario, versprach am Schluss:

"Wenn es denn zu einem solchen Zentrum kommt, und dafür wollen wir noch ein paar Jahre was tun, würde ich das sehr lustvoll angehen wollen."

Ulf Stolterfoht, hoch dekorierter Dichter aus Berlin, mahnte:

"Denkt auch an Gästezimmer!"