"Whisky"

Von Anke Leweke |
Das Kino liebt Sensationen, hetzt nach Ereignissen, sucht die Action - umso angenehmer ist es, wenn ein Film sich zur Abwechslung einfach auf einen Alltag einlässt. Nichts anderes machen Juan Pablo Rebella und Pablo Stoll in ihrer zweiten gemeinsamen Regiearbeit. Aufmerksam halten sie in "Whisky" zunächst den Tagesablauf ihrer Figuren fest.
Mit griesgrämigem Gesicht fährt Jacobo jeden Morgen in seine kleine Sockenfabrik am Rande von Montevideo. Am rostigen Tor wartet bereits die stille Angestellte Marta auf Einlass. Als Zuschauer spürt man, dass sie auch schon gestern, letzte Woche und all die Jahre dort stand. Schon nach wenigen Minuten fühlt man sich diesen beiden Menschen zutiefst vertraut, weil zwei Regisseure ihnen die Zeit lassen, ihre tägliche Routine vor uns ausbreiten.

Pablo Stoll: "Im ersten Teil des Films haben wir ganz bewusst mit Wiederholungen gearbeitet. Damit der Zuschauer den Alltag unserer Helden kennen lernt . Einzelne Handgriffe - wie zum Beispiel das Anwerfen der Strickmaschinen immer wieder und quasi in Realzeit zu zeigen, dass entspricht eigentlich nicht den kinematographischen Regeln. Man zeigt eine solche Szene einmal in der ganzen Länge und verkürzt sie in der nächsten dann auf einen einzelnen Handgriff. Wir zeigen den Alltagstrott hingegen ganz ausführlich. Weil wir wollten, dass die Zuschauer in den Rhythmus, in den Alltag unserer Helden reinkommen, ihn mit durchleben. "

Juan Pablo Rebella und Pablo Stoll gehören zu jenen Regisseuren, die beharrlich daran glauben, dass auch im bescheidensten Dasein Veränderungen und Neuanfänge möglich sind. Mit genau dieser Zuversicht im Blick wirken Jacobo und Marta von Beginn an wie tapfere Alltagskrieger, die sich von den Mühen des Daseins nicht unterkriegen lassen. Ganz allmählich werden sie zum Spiegelbild von Wünschen und Träumen, die wir alle kennen, aber auch von einer Einsamkeit, die jeder so oder so ähnlich aus eigener Erfahrung kennen dürfte.

Pablo Stoll: " Viele Menschen sind doch einsam in der Welt. Wer kennt dieses Gefühl nicht? Deshalb fühlt man sich den Figuren in unserem Film auch so vertraut. Sie stehen für verschiedene Arten der Einsamkeit. Jacobo ist in die Fußstapfen des Vaters getreten, hat die Fabrik übernommen und die Mutter bis zu ihrem Tod gepflegt. Eigentlich hat er nie ein eigenes Leben gelebt. Marta schaut sich Melodramen im Kino an, sie wartet auf den Märchenprinzen, und vielleicht hat sie einfach schon zu lange gewartet. "

Man spürt, dass Marta allmorgendlich auf mehr als den Beginn der Arbeit wartet, dass sie den Tee für ihren Chef mit ganz besonderer Sorgfalt zubereitet. Tatsächlich wird Jacobo eines Tages von seiner Tasse aufblicken und Marta um einen Gefallen bitten. Sein Bruder kommt aus Brasilien angereist, weil man des einjährigen Todestages der Mutter gedenken will. Da der schon nicht mehr ganz junge Mann nicht als verhärmter Junggeselle dastehen möchte, bittet er die ebenfalls allein stehende Marta, seine Ehefrau zu spielen.

Hinter diesem Täuschungsmanöver scheinen sich mehr wahre Gefühle zu verbergen, als die Beteiligten zunächst wahr haben wollen. Mit liebevoller Aufmerksamkeit beobachtet die Kamera auch die kleinsten Regungen in den Gesichtern. Ein Verfahren, dass sich Pablo von Comics abgeschaut hat.

"Ich bin tatsächlich ein großer Fan von Comics. Sie haben mich genauso beeinflusst wie die Filmgeschichte. Mit einer einzigen Mimik, einer kleinen Geste muss dort alles erzählt werden. Das Bild muss zu einem Konzentrat werden. Diese Art der Minimalisierung liegt mir. Gleichzeitig wird sehr viel mit Ellipsen gearbeitet. Zwischen zwei Bildern kann sich einiges ereignet haben, und der Zuschauer muss sich seinen Teil dabei denken. Das wollten wir auch erreichen, und doch nicht alles auserzählen, so dass der Zuschauer ein eigenes Verhältnis zu den Figuren aufbauen kann. "

"Whisky" - dieser wunderbare kleine Film tritt den Beweis an, dass man seinen Figuren nicht immer große Schritte abverlangen muss, dass in den kleinen Veränderungen und in den Abweichungen von alten Gewohnheiten die wahre Größe liegt. Am Ende wird Marta nicht mehr vor dem Eingang der Fabrik stehen, und die griesgrämige Fassade von Jacobo scheint ein wenig aufgeweicht. Juan Pablo Rebella und Pablo Stoll zeigen, dass in einem Film unendlich viel geschehen kann, obwohl nichts passiert.