Künstlerisches Gegenprogramm zu Trumps Agenda
Eine Zensurbehörde gegen Regierungslügen oder Filme zum Grenzzaun zu Mexiko: Vieles auf der diesjährigen Whitney Biennale wirkt wie ein Kommentar zu Donald Trumps Krieg gegen die Wahrheit. Doch die Kunst beziehe sich auf mehr als nur den neuen US-Präsidenten, betont die Kuratorin.
In einer der zentralen Räume der Whitney Biennale hängen zehn großformatige Bilder in Weiß und Grautönen. Es sind handgemalte Buchseiten des Essays "Censorship NOW" des Kultautors und Punkmusikers Ian F. Svenonius. Jede Buchseite wirkt wie ein abstraktes Gemälde. Künstler Frances Stark hat manche Zeilen in Rot unterstrichen. Das Manifest fordert eine aus Künstlern bestehende Zensurbehörde, um die Lügen der Regierung und die Manipulation und Gewaltverherrlichung des Kapitalismus unter dem Mäntelchen der freien Rede zu verbieten. Der Raum könnte ein direkter Kommentar auf Präsident Trumps Krieg gegen die Wahrheit verstanden werden. Doch nirgendwo in der Ausstellung wird ein direkter Bezug auf den Ausgang der letzten Wahl gemacht. Whitneys Chefkurator und Berater der Biennale Scott Rothkopf erklärt dazu fast entschuldigend:
"Die Ausstellung wurde genau in der Zeit des Wahlkampfes kuratiert. Sie können sich vorstellen, wie die Kuratoren herumgereist sind, alles war sehr angeheizt, sehr angespannt, sie hatten viele Diskussionen mit den Künstlern über Politik und das ist auch ein häufiges Thema der Arbeiten, aber interessanterweise gibt es keine direkten Anspielungen zu Trump oder Clinton."
Doch entschuldigen muss er sich nicht, denn die beiden Kuratoren der Biennale Christopher Lew and Mia Locks haben ein Gruppe von Künstlern verpflichten können, die mit ihren Themen mitten in der amerikanischen Gegenwart verwurzelt sind. Außerdem gab es noch nie so viele Künstler mit Migrationshintergrund auf einer Biennale, schon allein das ein deutliches Zeichen, dass Ausgrenzung und Xenophobie hier keinen Raum haben. Und die Themen, die den Wahlkampf so bestimmt haben, finden sich auch in den Arbeiten der oft jungen Künstler wieder: Illegale Immigration, Islamophobie, Soziales Ungleichgewicht und sozialer Ungehorsam, "America First" und die Mauer.
Briefe von eingesperrten illegalen Einwanderern
In einem abgeschlossenen Videoraum sind auf allen vier Wänden Filme des Grenzzaunes zwischen Mexiko und den USA zu sehen, aus einem fahrenden Auto heraus gefilmt. Die Geschwindigkeit der Aufnahmen wechselt, mal sehr schnell, dann wieder plötzlich in Zeitlupe; das Vorbeirauschen der Grenzpfosten erzeugt einen destabilisierenden Effekt. Es wird einem regelrecht schwindelig, man verliert das sichere Gefühl des Bodens, die Welt wird zum Käfig.
Die Künstlervereinigung "Postcommodities" eröffnet mit ihrer Arbeit "A Very Long Line" einen verunsichernden Blick auf die Tatsache, dass Zäune immer auch ein Vergessen bedeuten: von uralten Handelswegen und dem eigenen Ursprung.
Kuratorin Mia Locks: "Ich glaube ganz viel der Energie und Ideen waren bereits vor der Wahl da, jede Menge Bedenken darüber, wie wir miteinander umgehen und wo wir gerade stehen. Künstler denken immer über solche Sachen nach, aber besonders die Rhetorik des Wahlkampfes hat solche Ideen wichtiger gemacht."
Viele der Künstler stellen zum ersten Mal im Whitney aus und neben den neuen Medien gibt es auch wieder erstaunlich viel Malerei zu sehen, erfrischender Weise besonders von Frauen. Zum Beispiel die aus Mexiko stammende Künstlerin Aliza Nisenbaum, die in ihren farbkräftigen Bildern undokumentierte Migranten portraitiert: als Gruppe von Athleten auf einer Aschebahn zum Foto aufgestellt, in Wohnzimmern die New York Times lesend, oder als Gruppenbild mit mehreren Generationen. Trotz der Farben wirken die Bilder düster. Auf einem Bilde sieht man ein Stillleben: Notizen und Briefe an einer Pinnwand vor einer bunten Tapete. Im Begleittext heißt es, die Briefe stammen von einer jetzt eingesperrten illegalen Einwanderin, hier dargestellt durch ihre Briefe an die Familie.
Feine Sensoren einer politischen Stimmung
Einige Arbeiten konzentrieren sich auf das ökonomische Ungleichgewicht. Die Arbeit "Debtfair" – Schuldenmesse – der Gruppe "Occupy Museum" hat eine ganze Wand besetzt: eine eingestürzten Mauer in Form einer ansteigenden Finanzkurve mit Werken und Bildern von Künstlern, die sich haben verschulden müssen, um arbeiten zu können. Viele von ihnen sind aus Puerto-Rico. Hinter jedem Künstler steht die Summe mit der er verschuldet ist, niemand unter 100.000 Dollar. Das so entstandene Diagramm macht den Zusammenhang zwischen der steigenden Verschuldung einzelner Künstler einerseits und der Ausbeutung durch die Kunstinstitutionen und einem superluxuriösen Kunstmarkt andererseits deutlich und fordert die Besucher zum Widerstand auf. Über allem in Großbuchstaben ein Zitat: "Die lukrativsten Geldanlagen auf der Welt sind moderne Kunst und Apartments in Manhattan."
Viele der ausgestellten Arbeiten erweisen sich als feine Sensoren einer politischen Stimmung, die eine offene gerechtere Gesellschaft nicht will. Deren Ergebnis ist der neue Präsident. Und auch wenn sein Name selbst nicht vorkommt, spürt man hinter vielen der Arbeiten den Einfluss seiner Politik und die Unsicherheit, die sie in den Einzelnen und deren Gemeinschaften auslöst.
Auf der Terrasse des obersten Stockwerkes des Whitney Museums steht ein einsamer Performer der transsexuellen Künstlergruppe Puppies Puppies im Kostüm der Freiheitsstatue im kalten Wind und hält seine Fackel hoch. Nach einer Zeit wird ihm der Arm schwer und die Fackel sinkt nieder. In der Ferne kann man das Original im Meer stehen sehen. Diese Woche tritt Trumps neues Reiseverbot in Kraft – man darf nur hoffen, dass die amerikanische Gesellschaft nicht müde wird, um eine freie Gesellschaft zu kämpfen.