Dass die WHO in der Beurteilung bei der Überprüfung verschiedener Impfstoffe politische Kriterien anwendet, das will ich überhaupt nicht behaupten. Das glaube ich auch nicht. Aber der Impfnationalismus, also die nationale Bedeutung der Impfstoffe, der ist schon ungewöhnlich.
Politik mit Impfstoffen
Auch mit Impfungen lässt sich Politik machen. © picture alliance / CHROMORANGE / Christian Ohde
WHO fordert weltweite Kooperation
24:47 Minuten
Covid-Impfstoffe gibt es schon viele, aber nicht alle sind international zugelassen und taugen zum Reisen in andere Länder. Von Kuba bis zur USA: Das Wettrennen der Entwickler ist in vollem Gange. Zum Ärger der WHO, die vor Impfnationalismus warnt.
Der ehemalige Russlandkorrespondent des Deutschlandradio, Thielko Grieß, ist fünfmal geimpft – innerhalb von zwei Jahren. Der Grund: Seine ersten beiden Impfungen bekam er in Moskau mit dem Impfstoff Sputnik V. Der ist aber in der EU nicht zugelassen.
Also musste er sich nach seiner Rückkehr mit einem hier zugelassenen Impfstoff zusätzlich impfen lassen, außerdem bekam er später seinen Booster.
„Ich habe nach der Sputnik-Impfung in Deutschland meine Antikörper bestimmen lassen, ich war Oberlippe Unterkante immunisiert“, erinnert er sich. Aber das half nicht. Ein nicht zugelassener Impfstoff ist in der EU genauso wenig wert wie gar kein Impfstoff.
Internationales Wettrennen um Impfstoffe
Besser erging es unserem China-Korrespondenten Benjamin Eyssel. Der hat sich in Deutschland impfen lassen und kann sich mit dieser Impfung problemlos in China bewegen, obwohl dort nur chinesische Impfstoffe zugelassen sind.
„90 Prozent der Chinesinnen und Chinesen sind mit Sinovac oder Sinopharm geimpft,“ erklärt er, „aber eigentlich spielt das Impfzertifikat im Alltag gar keine Rolle.“ Die chinesischen Bestimmungen sind so streng, dass Zertifikate kaum nachgefragt werden: ständige PCR-Tests, Bluttests, Lockdowns schon bei kleinen Ausbrüchen.
Außerdem ist das Land seit zwei Jahren praktisch komplett abgeschottet: Nach China kann man nicht reisen, sieht man einmal von speziellen Ausnahmesituationen ab, wie zum Beispiel während der Olympischen Spiele.
Harmonisierung der Regeln nicht in Sicht
Um die Covid-Impfstoffe gab und gibt es ein internationales Wettrennen und eine Harmonisierung der Regeln ist nicht in Sicht. Jedes Land will möglichst weit vorne dabei sein bei der Impfstoffforschung, und da geht es nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern vor allem auch um Prestige.
„Es liegt auf der Hand, dass die ganze Frage der Impfstoffzulassung und Impfstoffversorgung extrem politisiert wurde“, sagt Christoph Benn. Er ist Mediziner und arbeitet seit mehr als 20 Jahren für internationale Organisationen im Gesundheitsbereich.
Heute ist er Direktor für Global Health Diplomacy des Joep Lange Instituts in Genf. Eine vergleichbare Politisierung und Polarisierung wie jetzt in der Covid-Pandemie hat er bei anderen Infektionskrankheiten wie zum Beispiel Masern nie beobachtet.
Putins Politik befördert Sputnik V ins Abseits
Russland lag mit seinem Impfstoff Sputnik V von Anfang an gut im Rennen. Dort wurde schon geimpft als Europa noch wartete. Inzwischen ist Sputnik V in über 70 Ländern zugelassen, nicht aber in der EU. Angesichts des Krieges, den Russland in der Ukraine führt, ist derzeit auch nicht vorstellbar, dass Europa russischen Impfstoff kauft – Zulassung hin oder her.
Sogar die Länder, die heute mit Sputnik impfen, zum Beispiel fast ganz Lateinamerika, könnten angesichts der russischen Aggression eine Kehrtwende machen und sich für einen anderen Impfstoff entscheiden.
Auch die Weltgesundheitsorganisation hat Sputnik noch nicht für ihr Covax-Programm, das benachteiligte Regionen mit Impfstoff versorgen soll, zugelassen. Denn erst vor Kurzem habe man die für die Überprüfung erforderlichen Daten übermittelt bekommen, sagt Rogerio Gaspar, der bei der WHO für Corona-Impfstoffe zuständige Direktor für Regulierung und Vorqualifizierung.
„Die letzten Informationen erreichten uns Ende Januar 2022, also erst vor ein paar Tagen. Von WHO-Seite gibt es keine Verspätung“ erklärt er. „Der Prozess wurde auch nicht gestoppt. Es gibt da keine politischen Hintergründe. Es gab technische Fragen, die die Antragsteller lange nicht beantwortet haben. Das tun sie jetzt. Und nun startet auch das Zulassungsverfahren.“
„Die WHO ist keine Regulierungsbehörde“
So offensichtlich die Politisierung der Impfstoffe in den einzelnen Ländern sei, bei den Impfstoff-Überprüfungen der Weltgesundheitsorganisation spielten politische Fragen keine Rolle, sagt auch der Experte für globale Gesundheitsdiplomatie Christoph Benn.
Und dagegen kann auch die Weltgesundheitsorganisation wenig ausrichten. Bei der Überprüfung und Zulassung von Impfstoffen und deren Produktion folgen die WHO-Verantwortlichen klaren wissenschaftlichen Kriterien. Aber ihre Empfehlungen sind nicht bindend – wie alle Organisationen der Vereinten Nationen ist die WHO nur so mächtig und einflussreich, wie es die Mitgliedsstaaten zulassen.
„Die WHO ist keine Regulierungsbehörde im traditionellen Sinn“, erklärt Christoph Benn. „Unsere Qualitätsprüfung ist unter anderem dafür da, Mitgliedsstaaten zu unterstützen, die keine eigenen Regulierungsagenturen haben, um solche Zulassungsverfahren durchzuführen – nach den internationalen Richtlinien für Qualität, Nutzen und Sicherheit von Medikamenten wie es für Deutschland die EMA und die nationalen Zulassungsbehörden tun.“
Manche müssen sich fünfmal impfen
Nationale Präferenzen und die Vielzahl an Impfstoffen, die vor einem schweren Verlauf von Covid-19 schützen können, machen es den Menschen nicht unbedingt leichter. Denn es reicht nicht, geimpft zu sein. Es muss schon das „richtige“ Vakzin sein.
Welches das ist, hängt davon ob, wo man sich befindet. Oder wohin man reisen möchte. Denn jeder Staat kann seine eigenen Impf- und Einreiseregeln aufstellen – auch wenn die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation andere sind, sagt Christoph Benn.
„Die WHO war von Anfang an klar gegen Reisebeschränkungen mit Blick auf den Impfstatus. Das sind Entscheidungen der souveränen Mitgliedsstaaten, für die es keine Empfehlung der WHO gibt, und für die allein die Mitgliedsstaaten verantwortlich sind“, erklärt er.
Seit Beginn der Corona-Pandemie appellieren die WHO und ihr Generaldirektor Dr. Tedros immer wieder an die pandemische Vernunft der Mitgliedsstaaten. Gegen Impfnationalismus. Gegen das Bunkern von Vakzinen in den reichen Ländern. Für eine weltweit gerechte Verteilung der Impfstoffe und des Wissens darüber, wie sie hergestellt werden.
Die WHO fordert eine zeitweise Aufhebung des Patentschutzes auf Covid-19-Impfstoffe. Denn dann könnten endlich – so das Argument – überall auf der Welt generische Versionen produziert werden und endlich auch überall mehr Menschen gegen das Coronavirus geimpft werden.
Doch die Pharmaindustrie und viele Staaten, darunter Deutschland und die EU, sind gegen eine vorübergehende Patentfreigabe. Der Schutz geistigen Eigentums sei Voraussetzung für Neuentwicklungen, so eines ihrer Argumente.
„Wir müssen die Politisierung beenden“
Eine faire Verteilung der Impfstoffe sei aber kein Wohltätigkeitsakt, betont die WHO immer wieder aufs Neue, sondern auch im Interesse der reichen Länder mit hoher Impfquote. Kein Land könne sich aus der Pandemie freiimpfen.
Ziel der WHO ist es, dass bis Mitte des Jahres in jedem Land der Welt 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Doch in vielen Ländern des globalen Südens, vor allem in Afrika, liegt die Impfquote noch immer unter 10 Prozent. Edwin Ikhuoria ist Exekutiv Direktor für Afrika bei der Nichtregierungsorganisation ONE.
Die Politisierung des Impfens wird diese Pandemie so schnell nicht enden lassen. Im Gegenteil: Die Folgen sind verheerend. Neue Virusvarianten entstehen. Wenn in manchen Ländern 80 oder 90 Prozent der Menschen immunisiert sind, in anderen aber nur zehn Prozent. Dann kommt das Virus immer wieder zurück. Und es wird so weitergehen, wenn wir die Politisierung nicht beenden.
Über eine mögliche Freigabe von Impfstoffpatenten wird weiter gestritten. Unterdessen wurden andere Projekte lanciert, mit denen die ungleiche Verteilung der Impfstoffe abgefedert werden soll. Das deutsche Pharmaunternehmen Biontec stellt jetzt Produktionsanlagen in Containern her, mit denen unter anderem im Senegal und in Ruanda mRNA-Impfstoffe produziert werden können.
Außerdem hat die Weltgesundheitsorganisation in Südafrika einen sogenannten Technologie Transfer Hub initiiert für die Entwicklung eines patentfreien mRNA-Impfstoffs, der schon bald in sechs afrikanischen Staaten produziert werden soll.
Was den russischen Impfstoff Sputnik V angeht, so hat Deutschland gerade den Plan, im bayrischen Illertissen perspektivisch Sputnik V zu produzieren, ad acta gelegt. Andere Länder dürften dem Beispiel folgen – aus politischen Gründen.