"Wichtig ist die Souveränität über den eigenen Körper"
Ein neues Gesetz erlaubt es Eltern von intersexuell geborenen Kindern, deren Geschlecht offen zu lassen. Katinka Schweizer begrüßt diese neue Regelung, weil sie Druck aus der Entscheidung für ein soziales Geschlecht nehme. Das Wichtigste für Intersexuelle sei, das Gefühl zu haben, "so wie ich bin, bin ich okay". Viele Betroffene erlebten aber das Gegenteil.
Matthias Hanselmann: In Deutschland leben schätzungsweise rund 100.000 Intersexuelle, das heißt Menschen ohne eindeutige Geschlechtszugehörigkeit. Seit heute gibt es für Eltern von neugeborenen Kindern die Möglichkeit, nicht mehr wie bisher zwingend die Kategorien männlich oder weiblich einzutragen, sondern die geschlechtliche Zuordnung schlicht frei zu lassen. Etwa ein Kind von rund vier- bis fünftausend Neugeborenen kommt mit sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechtsorganen und -merkmalen auf die Welt.
Bisher waren die Eltern einer absurden Situation ausgesetzt, sie mussten beim Standesamt entweder männlich oder weiblich eintragen lassen, und oft folgte dann eine ganze Reihe von Operationen und ärztlichen Maßnahmen, die diese Kinder zu eindeutig entweder weiblichen oder männlichen Menschen machten – eine Praxis, die von den Verbänden der Betroffenen seit vielen Jahren scharf kritisiert wird.
Jetzt ist also immerhin die Pflicht, nach der Geburt ein Geschlecht anzugeben, gefallen. Ich habe mit der Psychologin und Sexualwissenschaftlerin Katinka Schweizer gesprochen. Sie ist klinische Psychologin und Wissenschaftlerin am Institut für Sexualforschung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Und meine erste Frage: Woran wird nach der Geburt eines Kindes eigentlich erkannt oder festgemacht, dass es intersexuell ist?
Katinka Schweizer: Üblicherweise wird nach der Geburt eines Kindes ja das Genitale betrachtet, und wenn das Genitale weiblich erscheint, wird eine weibliche Geschlechtsrollenzuweisung vorgenommen, erscheint es männlich, wird meist ein Junge draus gemacht. Das ist die soziale Geschlechtsrollenzuweisung. Der Verdacht, dass eine Intersexualität bestehen könnte, wird geäußert, wenn das Genitale uneindeutig erscheint, also wie eine vergrößerte Klitoris, und es kann aber auch später im Leben festgestellt werden.
Es gibt einige Intersexformen, die werden erst im Laufe der Pubertät festgestellt, zum Beispiel bei den sogenannten XY-Frauen. Das sind oft Mädchen, die weiblich aufwachsen und dann während der Pubertät feststellen, zum Beispiel, dass die Menstruation ausbleibt und irgendwann beim Frauenarztbesuch dann festgestellt wird, dass gar keine inneren weiblichen Geschlechtsorgane bestehen oder vorhanden sind, obwohl sonst äußerlich phänotypisch die Person doch weiblich erscheint.
Hanselmann: Nun mussten ja Eltern bis gestern kurz nach der Geburt entscheiden, welches Geschlecht ihr intersexuelles Kind hat. Wie sind die damit umgegangen, sie konnten ja schlecht eine Münze werfen?
Bisher waren die Eltern einer absurden Situation ausgesetzt, sie mussten beim Standesamt entweder männlich oder weiblich eintragen lassen, und oft folgte dann eine ganze Reihe von Operationen und ärztlichen Maßnahmen, die diese Kinder zu eindeutig entweder weiblichen oder männlichen Menschen machten – eine Praxis, die von den Verbänden der Betroffenen seit vielen Jahren scharf kritisiert wird.
Jetzt ist also immerhin die Pflicht, nach der Geburt ein Geschlecht anzugeben, gefallen. Ich habe mit der Psychologin und Sexualwissenschaftlerin Katinka Schweizer gesprochen. Sie ist klinische Psychologin und Wissenschaftlerin am Institut für Sexualforschung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Und meine erste Frage: Woran wird nach der Geburt eines Kindes eigentlich erkannt oder festgemacht, dass es intersexuell ist?
Katinka Schweizer: Üblicherweise wird nach der Geburt eines Kindes ja das Genitale betrachtet, und wenn das Genitale weiblich erscheint, wird eine weibliche Geschlechtsrollenzuweisung vorgenommen, erscheint es männlich, wird meist ein Junge draus gemacht. Das ist die soziale Geschlechtsrollenzuweisung. Der Verdacht, dass eine Intersexualität bestehen könnte, wird geäußert, wenn das Genitale uneindeutig erscheint, also wie eine vergrößerte Klitoris, und es kann aber auch später im Leben festgestellt werden.
Es gibt einige Intersexformen, die werden erst im Laufe der Pubertät festgestellt, zum Beispiel bei den sogenannten XY-Frauen. Das sind oft Mädchen, die weiblich aufwachsen und dann während der Pubertät feststellen, zum Beispiel, dass die Menstruation ausbleibt und irgendwann beim Frauenarztbesuch dann festgestellt wird, dass gar keine inneren weiblichen Geschlechtsorgane bestehen oder vorhanden sind, obwohl sonst äußerlich phänotypisch die Person doch weiblich erscheint.
Hanselmann: Nun mussten ja Eltern bis gestern kurz nach der Geburt entscheiden, welches Geschlecht ihr intersexuelles Kind hat. Wie sind die damit umgegangen, sie konnten ja schlecht eine Münze werfen?
"Viel behandeln, kaum darüber reden"
Schweizer: Meist wurde eine Entscheidungshilfe gegeben von Hebammen oder Ärzten, dass man versucht hat, eine Diagnose schnellstmöglich zu stellen, aber in der Regel sind Eltern von intersexuellen Kindern damit umgegangen, dass sie erst mal Zeitdruck bekommen haben und wenn sie Glück hatten, die Behandler gesagt haben, wir können erst mal noch gar nicht das Geschlecht festlegen und es muss noch gewartet werden. So ist auch schon in der Vergangenheit zum Teil gewartet worden mit dem Geschlechtseintrag, aber nun, dass dieser Zwang und formale Druck nicht mehr besteht, sofort oder innerhalb der ersten Lebenswoche das Geschlecht festzustellen, das bringt ja sehr viel mehr Entspannung und nimmt sehr viel Druck aus der ganzen Entscheidung heraus.
Hanselmann: Frau Schweizer, Sie waren an der Hamburger Intersex-Studie beteiligt, bei der über 70 intersexuelle Erwachsene zu ihren Erfahrungen befragt wurden, auch zu ihrer Zufriedenheit mit den ärztlichen Behandlungen, die sie durchgemacht haben. Was war denn da so die Tendenz, was waren die Erkenntnisse?
Schweizer: Eine ganz wichtige Erkenntnis war, dass viele Teilnehmende kritisiert haben, dass mit ihnen sehr wenig bis gar nicht gesprochen wurde in Kindheit, Jugend, jungem Erwachsenenalter. Also etliche beschreiben die Diskrepanz zwischen Behandlungserfahrung – es wurde an ihrem Körper operiert oder untersucht erst einmal, also viel körperliches Handeln und wenig Versprachlichung. Und oft werden wir gefragt oder ist ja auch im Moment im Fokus die Traumatisierung durch körpermedizinische Eingriffe wie Genitaloperationen. Das ist auf jeden Fall kritisch zu hinterfragen, und da tut sich zum Glück auch etwas, und wir haben es mit einem Paradigmenwechsel in der Medizin zu tun. Doch mindestens genauso schlimm ist eigentlich die Tabuisierung und das Nichtsprechen über Phänomene wie Intersexualität. Ein Kind, das spürt, mit mir ist etwas nicht in Ordnung, aber dafür keine Sprache bekommt, hat es schwer, die Erfahrung am Körper, die Eingriffe zu verarbeiten.
Hanselmann: Ich hab die Geschichte gelesen von einem kleinen Kind, das im Kindergarten, in der Kindertagesstätte höher Trampolin springt als alle anderen, und dann wird es gefragt von den anderen, was bist du eigentlich, bist du ein Junge oder ein Mädchen, und es sagt schlicht und ergreifend: Ich bin beides. Ich denke mal, dass ein solches Kind von den Eltern entsprechend vernünftig vorbereitet worden ist.
Schweizer: Ganz genau. Die Eltern spielen eine ganz wichtige Rolle im Umgang mit Intersexualität. Sie können ihr Kind stärken und begleiten und eigentlich mit dem Kind auf Entdeckungsreise gehen und schauen, wie es sich entwickelt. Das ist eigentlich auch unsere Empfehlung an Eltern, dass sie nah an ihrem Kind dran bleiben und offen sind für die Entwicklung und es fragen, wie fühlst du dich denn, was möchtest du gerne anziehen, rosa oder blau oder irgendwas dazwischen, es gibt ja so viele bunte Farben und Möglichkeiten.
Hanselmann: Frau Schweizer, Sie waren an der Hamburger Intersex-Studie beteiligt, bei der über 70 intersexuelle Erwachsene zu ihren Erfahrungen befragt wurden, auch zu ihrer Zufriedenheit mit den ärztlichen Behandlungen, die sie durchgemacht haben. Was war denn da so die Tendenz, was waren die Erkenntnisse?
Schweizer: Eine ganz wichtige Erkenntnis war, dass viele Teilnehmende kritisiert haben, dass mit ihnen sehr wenig bis gar nicht gesprochen wurde in Kindheit, Jugend, jungem Erwachsenenalter. Also etliche beschreiben die Diskrepanz zwischen Behandlungserfahrung – es wurde an ihrem Körper operiert oder untersucht erst einmal, also viel körperliches Handeln und wenig Versprachlichung. Und oft werden wir gefragt oder ist ja auch im Moment im Fokus die Traumatisierung durch körpermedizinische Eingriffe wie Genitaloperationen. Das ist auf jeden Fall kritisch zu hinterfragen, und da tut sich zum Glück auch etwas, und wir haben es mit einem Paradigmenwechsel in der Medizin zu tun. Doch mindestens genauso schlimm ist eigentlich die Tabuisierung und das Nichtsprechen über Phänomene wie Intersexualität. Ein Kind, das spürt, mit mir ist etwas nicht in Ordnung, aber dafür keine Sprache bekommt, hat es schwer, die Erfahrung am Körper, die Eingriffe zu verarbeiten.
Hanselmann: Ich hab die Geschichte gelesen von einem kleinen Kind, das im Kindergarten, in der Kindertagesstätte höher Trampolin springt als alle anderen, und dann wird es gefragt von den anderen, was bist du eigentlich, bist du ein Junge oder ein Mädchen, und es sagt schlicht und ergreifend: Ich bin beides. Ich denke mal, dass ein solches Kind von den Eltern entsprechend vernünftig vorbereitet worden ist.
Schweizer: Ganz genau. Die Eltern spielen eine ganz wichtige Rolle im Umgang mit Intersexualität. Sie können ihr Kind stärken und begleiten und eigentlich mit dem Kind auf Entdeckungsreise gehen und schauen, wie es sich entwickelt. Das ist eigentlich auch unsere Empfehlung an Eltern, dass sie nah an ihrem Kind dran bleiben und offen sind für die Entwicklung und es fragen, wie fühlst du dich denn, was möchtest du gerne anziehen, rosa oder blau oder irgendwas dazwischen, es gibt ja so viele bunte Farben und Möglichkeiten.
"Frühe Operationen sind nicht hilfreich"
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit der Sexualwissenschaftlerin Katinka Schweizer über ein neues Gesetz, das Eltern von Neugeborenen seit heute nicht mehr vorschreibt, ihr Kind als männlich oder weiblich eintragen zu lassen, wenn es intersexuell geboren wird. Frau Schweizer, seit heute können Eltern also nach der Geburt beim Standesamt das Geschlecht schlicht weglassen, aber es gibt ja neben männlich und weiblich gar keine dritte Kategorie. Was halten Sie von dieser neuen Regelung, reicht sie aus?
Schweizer: Die neue Regelung ist erst mal aus meiner Sicht zu begrüßen. Sie ist ein Neuanfang. Sie führt ja nicht, wie mancherorts behauptet wird, zu einem dritten Geschlecht, sondern erlaubt erst einmal Eltern, dass sie den Geschlechtseintrag im Geburtsregister nach der Geburt ihres Kindes frei lassen oder offen lassen, wenn das Körpergeschlecht noch nicht genau bestimmbar ist. Und das ist erst mal ein positiver Schritt in die richtige Richtung.
Hanselmann: Was wäre denn noch positiver, wie könnte es weitergehen? Das ist ja jetzt noch eine Grauzone, das heißt einfach, Geschlecht nicht bestimmt. Das reicht ja sicherlich nicht aus, weil man will ja später, sagen wir mal, heiraten, eine Lebensbeziehung eingehen und so weiter.
Schweizer: Nun ja, es ist ein erster Schritt, und es muss sich zeigen, wie weit unsere Gesellschaft ist, wie viel Vielfalt und Komplexität sie zulassen kann. Und wichtig im Umgang mit Intersexualität ist aber erst einmal, Zeit zu gewinnen und Zeitdruck herauszunehmen. Lange Zeit ist im Umgang mit Intersexualität, gerade was medizinische Eingriffe angeht, sehr schnell gehandelt worden, weil man davon ausging, ein uneindeutiges Geschlecht, ein uneindeutiges Genitale würde die betreffende Person so verunsichern in der psychischen und psychosexuellen Entwicklung, dass man schnellstmöglich eine äußere Unauffälligkeit herstellen wollte.
Diese Sicht aus den 70er-Jahren, die auch schon früher begann, in den 50er-Jahren, hat sich eigentlich als nicht gültig erwiesen, es ist nicht haltbar. Wir wissen heute, dass Aufklärung wichtig ist, die Souveränität über den eigenen Körper, das Recht der Selbstbestimmung, Recht auf eine offene Zukunft, ein unversehrter Körper Werte sind, die es eben zu erhalten gilt. Und wir haben bei einigen Formen von Intersexualität eben mit Dilemmata zu tun, die nicht so schnell zu lösen sind, indem man einfach ein äußeres unauffälliges Genitale oder Geschlecht schafft.
Hanselmann: Wenn man das getan hat, ein äußeres Geschlecht geschaffen hat, operativ, gibt es Chancen für diese Menschen, überhaupt noch jemals, sagen wir mal, auf eine natürliche Art und Weise mit seinem Körpergefühl umzugehen?
Schweizer: Die neue Regelung ist erst mal aus meiner Sicht zu begrüßen. Sie ist ein Neuanfang. Sie führt ja nicht, wie mancherorts behauptet wird, zu einem dritten Geschlecht, sondern erlaubt erst einmal Eltern, dass sie den Geschlechtseintrag im Geburtsregister nach der Geburt ihres Kindes frei lassen oder offen lassen, wenn das Körpergeschlecht noch nicht genau bestimmbar ist. Und das ist erst mal ein positiver Schritt in die richtige Richtung.
Hanselmann: Was wäre denn noch positiver, wie könnte es weitergehen? Das ist ja jetzt noch eine Grauzone, das heißt einfach, Geschlecht nicht bestimmt. Das reicht ja sicherlich nicht aus, weil man will ja später, sagen wir mal, heiraten, eine Lebensbeziehung eingehen und so weiter.
Schweizer: Nun ja, es ist ein erster Schritt, und es muss sich zeigen, wie weit unsere Gesellschaft ist, wie viel Vielfalt und Komplexität sie zulassen kann. Und wichtig im Umgang mit Intersexualität ist aber erst einmal, Zeit zu gewinnen und Zeitdruck herauszunehmen. Lange Zeit ist im Umgang mit Intersexualität, gerade was medizinische Eingriffe angeht, sehr schnell gehandelt worden, weil man davon ausging, ein uneindeutiges Geschlecht, ein uneindeutiges Genitale würde die betreffende Person so verunsichern in der psychischen und psychosexuellen Entwicklung, dass man schnellstmöglich eine äußere Unauffälligkeit herstellen wollte.
Diese Sicht aus den 70er-Jahren, die auch schon früher begann, in den 50er-Jahren, hat sich eigentlich als nicht gültig erwiesen, es ist nicht haltbar. Wir wissen heute, dass Aufklärung wichtig ist, die Souveränität über den eigenen Körper, das Recht der Selbstbestimmung, Recht auf eine offene Zukunft, ein unversehrter Körper Werte sind, die es eben zu erhalten gilt. Und wir haben bei einigen Formen von Intersexualität eben mit Dilemmata zu tun, die nicht so schnell zu lösen sind, indem man einfach ein äußeres unauffälliges Genitale oder Geschlecht schafft.
Hanselmann: Wenn man das getan hat, ein äußeres Geschlecht geschaffen hat, operativ, gibt es Chancen für diese Menschen, überhaupt noch jemals, sagen wir mal, auf eine natürliche Art und Weise mit seinem Körpergefühl umzugehen?
"Intersexuellen wird oft vermittelt: Du bist nicht okay"
Schweizer: Die Voraussetzungen, um ein positives Körpergefühl zu entwickeln, sind ja erst einmal dann gegeben, wenn ein Kind, das geboren wird, zunächst einmal eine positive Zuwendung der Eltern und Bezugspersonen erfährt, und Zärtlichkeiten erfährt, die es angemessen verarbeiten kann und nach und nach in der Entwicklung erlebt, so, wie ich bin, bin ich okay, so wie ich bin, bin ich geliebt, ich bin genau richtig so – mit meiner Nase, meinen Augen, meinen Ohren, mit meinem Oberkörper, mit meinen Beinen, mit meinen Händen und auch mit meinem Genitale und meinen nicht sichtbaren inneren Organen, und dazu zählen ja auch die inneren Geschlechtsstrukturen.
Diese Erfahrung - so wie ich bin, bin ich okay - ist ganz zentral, gerade wenn wir es mit dem Thema Intersexualität zu tun haben, und viele Betroffene haben in den letzten Jahrzehnten eben gerade diese Erfahrung nicht machen können. Wenn sie erfahren haben, dass ihr Körper erst einmal korrigiert werden musste – das ist tatsächlich auch ein Begriff aus der früheren Medizinsprache, dass man korrektive Eingriffe vornahm –, dann vermittelt das ja die Botschaft, so wie ich bin, bin ich eben nicht okay.
Hanselmann: Diese Neuregelung, über die wir gesprochen haben, die seit heute gilt, die wird ja so einiges lostreten, habe ich das Gefühl. Also zum Beispiel im Grundgesetz ist permanent nur von Männern und Frauen die Rede. Und wir haben es gerade schon angesprochen im Falle von Eheschließungen oder Lebensgemeinschaften: Wie wird dann damit umgegangen werden? Da kommt noch einiges hinterher, oder?
Schweizer: Ja, es wird spannend sein. Im letzten Jahr hat ja der Deutsche Ethikrat Empfehlungen ausgesprochen, die sich ja nun auch in dieser Gesetzesnovelle niederschlagen, was erst mal sehr erfreulich ist. Und Gott sei Dank ist es nicht so, dass ein Zwang besteht oder neu eingeführt wird, dass Menschen mit Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung, sprich Intersexualität, sich einer dritten oder anderen Kategorie zuordnen müssen. Entscheidend bleibt die Selbstbestimmung, auch hier. Es gibt ja tatsächlich auch Betroffene, die sich als Mann oder als Frau fühlen.
Ganz wichtig als Sexualwissenschaftlerin ist mir hier auch noch mal die sprachliche Präzision und Unterscheidung. Wir haben ja sehr viele gute Begriffe, um Geschlecht näher einzugrenzen. Wichtig ist mir zum Beispiel die Unterscheidung zwischen der Geschlechtsrolle, also der sozialen, äußerlich gezeigten Geschlechtsrolle, und auf der anderen Seite die Geschlechtsidentität. Darunter verstehen wir das subjektive Gefühl, sich männlich, weiblich oder auch anders zu erleben. Und wenn wir mit diesen beiden Konzepten operieren, dann kann ich mich als Frau fühlen, vielleicht als Frau mit männlichen oder gemischtgeschlechtlichen Anteilen, und trotzdem als Frau äußerlich leben und einen Personenstandseintrag als Frau haben. Und hier bei der neuen Gesetzesregelung geht es ja um das soziale Geschlecht, also die äußere Geschlechtsrolle, der ich mich verorten will. Und diese Präzisionsunterscheidung finde ich sehr wichtig, um auch Freiheitsgrade zu erhalten.
Hanselmann: Was auf die deutsche Justiz, allgemein auf die deutsche Gesellschaft noch so alles zukommt nach dieser neuen Regelung, damit werden wir uns hier im "Radiofeuilleton" in der nächsten Woche noch intensiver beschäftigen. Vielen Dank, Katinka Schweizer, Psychologin und Sexualwissenschaftlerin am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf und Mitherausgeberin des Buches "Intersexualität kontrovers – Grundlagen, Erfahrungen, Positionen". Vielen Dank, Frau Schweizer, nach Hamburg!
Schweizer: Vielen Dank, auch für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Diese Erfahrung - so wie ich bin, bin ich okay - ist ganz zentral, gerade wenn wir es mit dem Thema Intersexualität zu tun haben, und viele Betroffene haben in den letzten Jahrzehnten eben gerade diese Erfahrung nicht machen können. Wenn sie erfahren haben, dass ihr Körper erst einmal korrigiert werden musste – das ist tatsächlich auch ein Begriff aus der früheren Medizinsprache, dass man korrektive Eingriffe vornahm –, dann vermittelt das ja die Botschaft, so wie ich bin, bin ich eben nicht okay.
Hanselmann: Diese Neuregelung, über die wir gesprochen haben, die seit heute gilt, die wird ja so einiges lostreten, habe ich das Gefühl. Also zum Beispiel im Grundgesetz ist permanent nur von Männern und Frauen die Rede. Und wir haben es gerade schon angesprochen im Falle von Eheschließungen oder Lebensgemeinschaften: Wie wird dann damit umgegangen werden? Da kommt noch einiges hinterher, oder?
Schweizer: Ja, es wird spannend sein. Im letzten Jahr hat ja der Deutsche Ethikrat Empfehlungen ausgesprochen, die sich ja nun auch in dieser Gesetzesnovelle niederschlagen, was erst mal sehr erfreulich ist. Und Gott sei Dank ist es nicht so, dass ein Zwang besteht oder neu eingeführt wird, dass Menschen mit Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung, sprich Intersexualität, sich einer dritten oder anderen Kategorie zuordnen müssen. Entscheidend bleibt die Selbstbestimmung, auch hier. Es gibt ja tatsächlich auch Betroffene, die sich als Mann oder als Frau fühlen.
Ganz wichtig als Sexualwissenschaftlerin ist mir hier auch noch mal die sprachliche Präzision und Unterscheidung. Wir haben ja sehr viele gute Begriffe, um Geschlecht näher einzugrenzen. Wichtig ist mir zum Beispiel die Unterscheidung zwischen der Geschlechtsrolle, also der sozialen, äußerlich gezeigten Geschlechtsrolle, und auf der anderen Seite die Geschlechtsidentität. Darunter verstehen wir das subjektive Gefühl, sich männlich, weiblich oder auch anders zu erleben. Und wenn wir mit diesen beiden Konzepten operieren, dann kann ich mich als Frau fühlen, vielleicht als Frau mit männlichen oder gemischtgeschlechtlichen Anteilen, und trotzdem als Frau äußerlich leben und einen Personenstandseintrag als Frau haben. Und hier bei der neuen Gesetzesregelung geht es ja um das soziale Geschlecht, also die äußere Geschlechtsrolle, der ich mich verorten will. Und diese Präzisionsunterscheidung finde ich sehr wichtig, um auch Freiheitsgrade zu erhalten.
Hanselmann: Was auf die deutsche Justiz, allgemein auf die deutsche Gesellschaft noch so alles zukommt nach dieser neuen Regelung, damit werden wir uns hier im "Radiofeuilleton" in der nächsten Woche noch intensiver beschäftigen. Vielen Dank, Katinka Schweizer, Psychologin und Sexualwissenschaftlerin am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf und Mitherausgeberin des Buches "Intersexualität kontrovers – Grundlagen, Erfahrungen, Positionen". Vielen Dank, Frau Schweizer, nach Hamburg!
Schweizer: Vielen Dank, auch für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.