Wider die Hybris der menschlichen Rasse
"Hamletpark" hatten Nina Ender und Stefan Kolosko ihren ersten gemeinsamen Streich in diesem Jahr auf Kampnagel genannt - und Demenzkranke zu gestandenen Schauspielern auf die Bühne geholt. Nun eröffneten sie nach demselben Konzept den "Parzivalpark". Diesmal dabei: Menschen mit Behinderung.
Mit Demenzkranken hatten sie zuletzt im Mai die "Hamletanstalt" bevölkert, Menschen vom Rand der Gesellschaft standen vor zwei Jahren schon im Zentrum von "Der Untergang 2" - und jetzt haben sich die Autorin Nina Ender und der Regisseur Stefan Kolosko für das mittlerweile dritte Hamburger Kampnagel-Projekt mit dem "Parzivalpark" das Ensemble in der näheren Nachbarschaft zusammengesucht.
Dort leben, allein und betreut in größeren Wohnablagen, Menschen mit verschiedenen Behinderungen, auch solche mit Down-Syndrom; nicht weit von Kampnagel gibt es obendrein auch ein Heim, dessen Bewohner als Autisten gelten. Dort durften Kolosko, Ender und das Theater-Team filmen, aus den übrigen Wohngruppen kamen unterschiedlichste Menschen als Gäste ins Kampangel-Projekt.
In dem steckt nun auch darum viel Erinnerung an den verstorbenen Theater-Einzelgänger Christoph Schlingensief. Wie er setzen auch Ender und Kolosko, der Schlingensief ja in dessen letzter Inszenierung "Intolleranza II" oft auf der Bühne vertrat, ganz grundsätzlich auf die künstlerische Begegnung mit Menschen, deren Leben normalerweise überhaupt nicht im Theater spielt. Allein auf sich gestellt oder in der Begegnung mit literarischen Texten und Theaterprofis, eröffnen diese "Fremden" im günstigsten Fall immer von neuem Erfahrungsräume, die uns "Normalos" auf immer verschlossen bleiben.
Zumindest dann, wenn es um sie, die Anderen, auch tatsächlich geht.
Ender und Kolosko haben den "Parzivalpark" als Forschungsphantasie entworfen – was geschieht, bevor sich Behinderung oder Fremdheit tatsächlich ereignet im wirklichen Leben? Mit einer Art Demo eröffnet das Regie- und Autoren-Duo den Abend – der nämlich (angeblich!) per einstweiliger Verfügung von "der Pharma-Industrie" verboten worden ist. Das ist natürlich leicht zu durchschauen als "fake"; und im folgenden ist von pränatalen Tests und Indikationen auch nur noch sehr am Rande die Rede. Auch so nah ans Thema gelangt das Projekt in der Folge nicht mehr.
Autorin Ender geißelt lautstark die Hybris der menschlichen Rasse an sich und die – angeblich - direkte Herleitung jeglicher prägeburtlichen Diagnostik aus der Nazi-Forschung. Im Chor der unanpassbaren Gast-Mitspieler trägt einer auch ein Schild vor sich her, auf dem "Samenabgaberaum" geschrieben steht.
Aber derart intim wird der Abend natürlich nicht. Er erzählt zunächst viel - auch per Video - von den sonderbaren Menschen, die ganz in Patienten-Weiß über die Bühne wimmeln; zu wenig übrigens erzählen die von sich selber. Dafür aber tobt Kolosko als eine Art immer lächelnder Jürgen Klopp des Alternativ-Theaters durch die Video-Sequenzen. Auch wird mitgeteilt, dass Kolosko und Ender schon das "Mitwohnen" bei ihren Gästen beantragt hätten.
Auf der Bühne geht’s naturgemäß lange Zeit recht wirr durcheinander, nur Lukas Rauchsteins laue Liedlein bieten Orientierung – dann singen halt immer alle mit. Und immer wieder beschwört der Abend das ja auch bei Schlingensief nicht nur in Bayreuth dauerpräsente "Parzival"-Thema: Wunde zeigen, lautet das Motto; Sprechen über den Schmerz, der der Alltag des Lebens ist.
Bald verwebt sich die Fabel vom "reinen Tor", der ja solche Fragen zu stellen wagt, mit der Geschichte vom unglücklich realisierten Kinderwunsch – bis schließlich Schlingensiefs einstiger Weggefährte, der frühere Hamburger Staatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt, das Kind nicht nur zeugt, sondern selber auch als greises Kind geboren wird; gleichzeitig berichtet - nur im Video! - der Gast Thomas Thieme vom Schmerz eines Vaters über den Befund, dass das Kind mit genetischen Schäden zur Welt kommen wird. Leben lassen oder abtreiben? An diesen Schmerzpunkt führt die Aufführung mit großer Wucht und Wut – und sie zeigt Abtreibungsvideos dazu. Das ist sehr unappetitlich, aber sehr alltäglich.
Nur das Thieme-Video blieb übrigens übrig von der schönen (und natürlich publizitätsstiftenden) Spekulation um Rolf Zacher, Anne Ratte-Polle und eben Thieme als leibhaftige Mitspieler. Derlei Rattenfängerei ist nicht mehr unüblich, wenn es um die Einwerbung von Fördergeldern geht. Die kaum erkennbar beschäftigte Lea Draeger (aus dem Ensemble der Schaubühne) und eben der für jede Absonderlichkeit einsetzbare Kuhlbrodt sind wahrscheinlich die "Einspringer" gewesen.
Aber nicht das ist das zentrale Problem des natürlich viel zu langen und viel zu fahrigen Spektakels. Autorin Ender - immerhin schon mal Stück-Preisträgerin an der Schaubühne! - lässt den Besuch im "Parzivalpark" schwer erträglich werden. Denn sie spielt mit – und poltert und kapriolt dabei derart rücksichtslos durch die eigenen Texte, dass die vor lauter Geschrei und Gerenne und Gezeter kaum kenntlich werden. Autoren und –Innen sind ja auch sonst eher gefürchtet als Interpreten ihrer selbst auf der Bühne. Hier wird’s ganz schlimm. Und Kolosko, geschult bei Einar Schleef in chorischem Sprechen, stiftet zwar ein wenig Ordnung – aber nie genug für über zwei Stunden.
Aber Produktionen wie diese sind ja "in progress" – und diese hat nächstes Jahr sicher noch ein paar Chancen.
Dort leben, allein und betreut in größeren Wohnablagen, Menschen mit verschiedenen Behinderungen, auch solche mit Down-Syndrom; nicht weit von Kampnagel gibt es obendrein auch ein Heim, dessen Bewohner als Autisten gelten. Dort durften Kolosko, Ender und das Theater-Team filmen, aus den übrigen Wohngruppen kamen unterschiedlichste Menschen als Gäste ins Kampangel-Projekt.
In dem steckt nun auch darum viel Erinnerung an den verstorbenen Theater-Einzelgänger Christoph Schlingensief. Wie er setzen auch Ender und Kolosko, der Schlingensief ja in dessen letzter Inszenierung "Intolleranza II" oft auf der Bühne vertrat, ganz grundsätzlich auf die künstlerische Begegnung mit Menschen, deren Leben normalerweise überhaupt nicht im Theater spielt. Allein auf sich gestellt oder in der Begegnung mit literarischen Texten und Theaterprofis, eröffnen diese "Fremden" im günstigsten Fall immer von neuem Erfahrungsräume, die uns "Normalos" auf immer verschlossen bleiben.
Zumindest dann, wenn es um sie, die Anderen, auch tatsächlich geht.
Ender und Kolosko haben den "Parzivalpark" als Forschungsphantasie entworfen – was geschieht, bevor sich Behinderung oder Fremdheit tatsächlich ereignet im wirklichen Leben? Mit einer Art Demo eröffnet das Regie- und Autoren-Duo den Abend – der nämlich (angeblich!) per einstweiliger Verfügung von "der Pharma-Industrie" verboten worden ist. Das ist natürlich leicht zu durchschauen als "fake"; und im folgenden ist von pränatalen Tests und Indikationen auch nur noch sehr am Rande die Rede. Auch so nah ans Thema gelangt das Projekt in der Folge nicht mehr.
Autorin Ender geißelt lautstark die Hybris der menschlichen Rasse an sich und die – angeblich - direkte Herleitung jeglicher prägeburtlichen Diagnostik aus der Nazi-Forschung. Im Chor der unanpassbaren Gast-Mitspieler trägt einer auch ein Schild vor sich her, auf dem "Samenabgaberaum" geschrieben steht.
Aber derart intim wird der Abend natürlich nicht. Er erzählt zunächst viel - auch per Video - von den sonderbaren Menschen, die ganz in Patienten-Weiß über die Bühne wimmeln; zu wenig übrigens erzählen die von sich selber. Dafür aber tobt Kolosko als eine Art immer lächelnder Jürgen Klopp des Alternativ-Theaters durch die Video-Sequenzen. Auch wird mitgeteilt, dass Kolosko und Ender schon das "Mitwohnen" bei ihren Gästen beantragt hätten.
Auf der Bühne geht’s naturgemäß lange Zeit recht wirr durcheinander, nur Lukas Rauchsteins laue Liedlein bieten Orientierung – dann singen halt immer alle mit. Und immer wieder beschwört der Abend das ja auch bei Schlingensief nicht nur in Bayreuth dauerpräsente "Parzival"-Thema: Wunde zeigen, lautet das Motto; Sprechen über den Schmerz, der der Alltag des Lebens ist.
Bald verwebt sich die Fabel vom "reinen Tor", der ja solche Fragen zu stellen wagt, mit der Geschichte vom unglücklich realisierten Kinderwunsch – bis schließlich Schlingensiefs einstiger Weggefährte, der frühere Hamburger Staatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt, das Kind nicht nur zeugt, sondern selber auch als greises Kind geboren wird; gleichzeitig berichtet - nur im Video! - der Gast Thomas Thieme vom Schmerz eines Vaters über den Befund, dass das Kind mit genetischen Schäden zur Welt kommen wird. Leben lassen oder abtreiben? An diesen Schmerzpunkt führt die Aufführung mit großer Wucht und Wut – und sie zeigt Abtreibungsvideos dazu. Das ist sehr unappetitlich, aber sehr alltäglich.
Nur das Thieme-Video blieb übrigens übrig von der schönen (und natürlich publizitätsstiftenden) Spekulation um Rolf Zacher, Anne Ratte-Polle und eben Thieme als leibhaftige Mitspieler. Derlei Rattenfängerei ist nicht mehr unüblich, wenn es um die Einwerbung von Fördergeldern geht. Die kaum erkennbar beschäftigte Lea Draeger (aus dem Ensemble der Schaubühne) und eben der für jede Absonderlichkeit einsetzbare Kuhlbrodt sind wahrscheinlich die "Einspringer" gewesen.
Aber nicht das ist das zentrale Problem des natürlich viel zu langen und viel zu fahrigen Spektakels. Autorin Ender - immerhin schon mal Stück-Preisträgerin an der Schaubühne! - lässt den Besuch im "Parzivalpark" schwer erträglich werden. Denn sie spielt mit – und poltert und kapriolt dabei derart rücksichtslos durch die eigenen Texte, dass die vor lauter Geschrei und Gerenne und Gezeter kaum kenntlich werden. Autoren und –Innen sind ja auch sonst eher gefürchtet als Interpreten ihrer selbst auf der Bühne. Hier wird’s ganz schlimm. Und Kolosko, geschult bei Einar Schleef in chorischem Sprechen, stiftet zwar ein wenig Ordnung – aber nie genug für über zwei Stunden.
Aber Produktionen wie diese sind ja "in progress" – und diese hat nächstes Jahr sicher noch ein paar Chancen.