Widerspruch gegen die Großarchitekten

Von Klaus Englert |
Häuser aus Schlamm und Schilf im irakischen Sumpfgebiet, 30 Meter hohe Lehmhochäuser im Jemen: Eine Ausstellung im Vitra Design Museums in Weil am Rhein zeigt 40 Modelle für ressourcenschonende Bauten, die sich auf der ganzen Welt perfekt an Umgebung, Klima und verfügbare Materialien anpassen.
Vor einigen Jahren lautete das Motto der Architekturbiennale Venedig "Less aesthetics, more ethics" - weniger Ästhetik, mehr Ethik. Der Titel war gemünzt auf die Stars der internationalen Architektenszene, die mit perfekten digitalen Bildern den Investoren und Politikern die schöne, bunte Welt der Architektur vorgaukeln. Und mit dem Taschenspielertrick fast jedes lukrative Projekt ergattern. Doch es wächst die Zahl derer, die das gockelhafte Gespreize der Großarchitekten für unsozial halten. Und so haben seit einiger Zeit namhafte und weniger namhafte Architekten Widerspruch angemeldet. Sie stehen für die Ethik der Profession ein, ohne dabei die Bauästhetik zu vernachlässigen.

Mateo Kries, Direktor des Vitra Design Museums in Weil am Rhein, dachte an diese Architekten, als er die Ausstellung "Learning from Vernacular" im Buckminster Fuller Dome vorbereitete. Vorbild der Ausstellung waren aber vor allem die zahl- und namenlosen Architekten, die weltweit, über Jahrhunderte hinweg, eine Bauweise prägten, die man heute als nachhaltig bezeichnen würde. Kries nennt sie "vernakuläre Architektur":

"Die Ausstellung ist ein Projekt, das zeigt, dass in vielen Ländern noch traditionelle Bauweisen existieren, die heute im Verschwinden begriffen sind. Andererseits möchten wir in der Ausstellung darauf hinweisen, dass diese traditionellen Architekturen auch starke Qualitäten haben, eben deshalb, weil sie über Jahrhunderte in Reaktion auf die klimatischen Bedingungen entstanden ist"

Westliche Architekten würden schier daran verzweifeln, in den Erdbebengebieten Afghanistans, in den Sumpfgebieten des südlichen Iraks oder in den heißen Wüstengebieten des Jemen zu bauen. Aber für die unbekannten Baumeister dieser Regionen war das nie ein Problem.

In der Nähe des südirakischen Basra leben wahre Baukünstler
Die Afghanen errichteten mit Holzbalken und Lehm nicht nur widerstandsfähige, sondern auch erdbebensichere Gebäude. Wahre Baukünstler leben bis heute in der Nähe der südirakischen Hafenstadt Basra. In den Sumpfgebieten, die Diktator Saddam Hussein einst trocken legen wollte, errichteten sie außergewöhnlich schöne Gemeinschaftshäuser – aus Schlamm und Schilf.

Last but not least: Die dreißig Meter hohen Lehmhochhäuser, Wunderwerke der arabischen Baukunst, im jemenitischen Shibam. Die Baumeister wussten genau, wie sich das sensible Ökosystem der Shibam-Oase aufrechterhalten lässt, damit eine ganze Hochhausstadt davon leben kann.

Diese Beispiele gehören zu den 40 Architekturmodellen, die Studenten der École Polytéchnique Fédérale de Lausanne in jahrelanger Kleinarbeit herstellten. Mateo Kries hat es besonders die Hofbauten der arabischen Bautradition angetan:

"Wir haben die Lehmbauweisen in vielen arabischen Ländern. Lehmbau-ten haben den Vorteil, dass sie im Sommer, wenn es heiß ist, die Kühle spei-chern und die Räume im Innern kühl bleiben und im Winter das Sonnenlicht aufgenommen wird und dann die Räume eher warm werden"

Kries erzählt, dass heute in Entwicklungsstaaten traditionelle Baumaterialien oft gering geschätzt werden. Das musste auch Francis Kéré erfahren, der aus dem bitterarmen Burkina Faso stammt und in Berlin Architektur studierte. Als er vor einigen Jahren in seinem Heimatdorf Gando eine Schule aus Lehmziegeln bauen wollte, stieß er im Dorf auf Misstrauen. Die Bewohner hielten ihm vor: Er habe wohl vergessen, dass man heute Schulen aus Beton baut. Der kolumbianische Architekt Simón Vélez erzählt sogar, dass die Baumafia in seiner Heimat durchsetzte, Bauen mit Bambus verbieten zu lassen:

"”Allein aus Scham verbot man in Kolumbien, den Gualda-Bambus beim Hausbau einzusetzen. Hartnäckig hält sich das Vorurteil, Bambus sei wert-los. Das änderte sich erst vor ein paar Jahren, als ich den Prince Claus Preis der Niederlande erhielt. Danach setzte sich unser Staatspräsident dafür ein, das Gesetz zu ändern und den Gualda-Bambus als Baumaterial zuzulassen. Denn Bambus ist ein außergewöhnliches Material mit großem Potenzial.""

Kurator Pierre Frey von der Universität Lausanne bestätigt die Erfahrungen von Vélez. Und kritisiert, dass die einflussreichen Baufirmen einen beispiellosen Verdrängungswettbewerb praktizierten:

"Eisenbeton hat seinen Anteil am globalen Markt mächtig verstärkt und hat andere Materialien regelrecht aus dem Markt durch Propaganda und marktfeindliche Aktionen verdrängt und die Leute überzeugt, das sei nichts wert. Und die Bauindustrie und die Hersteller von Baumaterialien verstehen es auf der ganzen Welt, die Bauverordnungen und Normen so zu gestalten, dass sich ihr Material praktisch natürlich aufdrängt und dass das andere Material verdrängt wird."

Arme Architektur mit reichen Qualitäten
Die Ausstellung "Learning from Vernacular" zeigt eine arme Architektur mit reichen Qualitäten. Sie hat nicht nur Potenzial für die Entwicklungsländer, in denen das Wissen um die eigene Bautradition stark bedroht ist. Gleichfalls bietet sie einen reichhaltigen Fundus für moderne Architekten, die auf Nachhaltigkeit setzen. Das hat bereits vor Jahrzehnten der ägyptische Pionier Hassan Fathy mustergültig vorgemacht. Einer, der Fathys Erbe fortführen möchte, ist Francis Kéré – der Grenzgänger zwischen Europa und Afrika. Der Wahlberliner, der das westafrikanische Gando zum Erfolgsmodell ausbaut, prophezeit für die vernakuläre Architektur eine lichte Zukunft:

"Ich hoffe, dass es mehr solcher Projekte in Burkina gibt. Es gibt viele junge Menschen, die sagen, sie wollen Architekten werden, und ihre Eltern wissen nicht einmal, was Architektur bedeutet. Das lässt mich glauben, dass das Projekt in Gando doch zum Modell in Burkina Faso avanciert ist, also über die Dorfgrenzen hinaus"

Francis Kéré gehört nicht zum Hauptprogramm der Ausstellung. Allerdings wirbt die Website zur Ausstellung mit Kérés Schule in Gando. Dort ist auch zu lesen: Am 19. September spricht Francis Kéré über seine Vision einer neuen afrikanischen Architektur.
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