Mit Grundbuch und Grundgesetz für den Erhalt des Heimatdorfs
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Damit das Dorf Kuckum nicht für den Braunkohletagebau abgerissen wird, hat eine Gruppe von Bewohnern dort ein Grundstück gekauft. Sie setzt darauf, dass Klimawandel und Kohlekompromiss Enteignungen erschweren.
"Mama, bleibst du hier, dass die Hühner nicht auf die Straße laufen?"
Marita Dresen steht vor ihrem Haus im Dorf Kuckum, südlich von Mönchengladbach, am Rande des Niederrheins. Heller Backstein, die Grundmauern sind ein paar hundert Jahre alt. Im Vorderhaus wohnen ihre Eltern. Sie selbst hat für ihre Familie den ehemaligen Kuhstall des Anwesens liebevoll umgebaut.
"Das ist von meiner Mama das Elternhaus und das hat davor den Eltern ihrer Eltern gehört …"
15.000 Quadratmeter ist das gesamte Grundstück groß. Auf den langgestreckten, grünen Wiesen hinter dem Haus grasen Pferde, das Flüsschen Niers läuft weiter hinten entlang.
"Meine Kinder sind hier mit meiner Oma spazieren gegangen, die sind runter zur Niers, Schiffchen fahren gegangen", erinnert sich Dresen. "Einfach nur schön. Das kann man sich gar nicht vorstellen, dass das irgendwann in so einem riesen Loch verschwinden soll."
Kuckums Zukunft heißt keine Zukunft
Denn das ist die Zukunft von Kuckum. Das Jahrhunderte alte Dorf soll dem Tagebau Garzweiler II weichen, wie auch die benachbarten Ortschaften Keyenberg, Berverath, Ober- und Unterwestrich. So steht es seit Jahren in einer Leitentscheidung der nordrhein-westfälischen Landespolitik, so plant es der Energieversorger RWE und so wird es, Stand heute, umgesetzt.
"Es ist erschreckend, wie oft ich daran denke, wenn ich die Niers lang laufe, durch das kleine Wäldchen. Dann kommen mir schon öfters die Tränen."
Wie tausende Bewohner aus mehr als einem Dutzend Dörfer zuvor, werden auch Marita Dresen, ihre Familie und ihre Eltern in den nächsten Jahren die Koffer packen und umziehen müssen – wenn nicht doch noch die Politik oder die Gerichte es anders entscheiden.
Widerstand mit dem Gesetzbuch in der Hand
Darauf setzt Marita Dresen jetzt – und mit ihr eine kleine Gruppe an Widerständlern aus den Dörfern rund um den Tagebau Garzweiler II.
Am Küchentisch der Dresens sitzt Birgit Cichy. Sie ist Teil dieser Gruppe, die sich "Menschenrecht vor Bergrecht" nennt. Sie wird nicht umgesiedelt, sondern irgendwann ganz nah dran wohnen am Tagebau. "Ich sage immer: Umsiedeln selber ist die Vollkatastrophe, aber Grubenrand kommt direkt dahinter. Ich möchte auch nicht, dass meine Spazierwege wegfallen. Dieses kleine Wäldchen, wo ich so gerne unterwegs bin, die Freunde, die ich in den Dörfern habe, das würde sich alles auflösen im Nichts."
Deswegen hat sie jetzt mit Marita Dresen und knapp einem Dutzend anderer Mitstreiter im Nachbarort Keyenberg ein Grundstück gekauft. Es liegt am Ortsrand des Dorfes. Wenn die Braunkohlebagger wie geplant 2023 kommen, um die Kohle unter Keyenberg zu holen, wäre es eines der ersten Grundstücke, das verschwinden würde.
"Solange dieses Grundstück da ist, ist Keyenberg da. Anders geht’s nicht."
Gekauft, um zu bleiben
Der Plan: Dieses Grundstück wird nicht an RWE verkauft, das hat sich die neue Eigentümergemeinschaft versprochen. RWE bleibt dann nur noch der Weg über ein sogenanntes Grundabtretungsverfahren, kurz: Enteignung – und dagegen könne geklagt werden, so dass letztlich ein Gericht entscheiden müsste, ob Enteignungen für die Braunkohleverstromung heutzutage noch rechtens sind.
Soweit sei es aber noch lange nicht, sagt der Sprecher von RWE, Guido Steffen. Man werde versuchen, sich mit der Eigentümergemeinschaft gütlich zu einigen. "Wenn diese Verhandlungen natürlich endgültig scheitern, dann müssen wir ein Grundabtretungsverfahren beantragen."
Der Sprecher des Energiekonzerns fährt fort: "Das ist nach allen Erfahrungen hier im Rheinischen Revier ja die absolute Ausnahme. Viele Verfahren werden begonnen und zwischendurch abgebrochen, weil man sich doch noch einigt."
Der Erhalt des Grundstücks und damit der Dörfer könne allerdings nicht Teil einer solchen Einigung sein. Denn der politisch beschlossene Ausstieg aus der Braunkohle soll erst bis 2038 – in etwa 18 Jahren – erfolgen.
"Wir haben also noch eine ganze Reihe von Jahren, in denen die Braunkohle, wenn auch mit einem abnehmendem Beitrag, weiterhin für die Sicherung der Energieversorgung benötigt wird", sagt RWE-Sprecher Steffen. "Und die Kohle muss irgendwo herkommen und schon in den frühen zwanziger Jahren wird die Kohle unter der Ortslage Keyenberg gebraucht."
Ein Viertel des Stroms aus Braunkohle
Auch NRWs Ministerpräsident Armin Laschet wird nicht müde zu betonen, dass die Stromversorgung im Land gesichert sein müsste, bevor die Braunkohle-Tagebaue geschlossen werden können.
Tatsächlich hat die Braunkohle im deutschen Strommix nach Zahlen von 2018 einen Anteil von knapp einem Viertel, gefolgt von Steinkohle und Atomenergie. Erneuerbare Energien tragen zu etwa 40 Prozent zum Strommix bei.
Weil Deutschland in zwei Jahren aus der Atomkraft aussteigt und auch die Steinkohlekraftwerke nach und nach vom Netz gehen sollen, wird die Braunkohle also noch so lange gebraucht, bis die Erneuerbaren Energien sie sicher ersetzen können.
Wann das der Fall sein wird – darüber gibt es unterschiedliche Meinungen und bisher keine verlässlichen Berechnungen.
Prüfen, ob Grundrechte verletzt werden
Einige Menschen in den betroffenen Dörfern haben sich mit ihrem Schicksal auch schon abgefunden, erzählt Marita Dresen: "Natürlich ist es so, dass manche sagen: Wie könnt ihr denn jetzt noch kämpfen, das macht doch keinen Sinn."
Knapp drei Viertel der Bewohner der fünf Dörfer haben sich laut RWE bereits mit dem Bergbauunternehmen geeinigt, manche sind auch schon in den neu geschaffenen Ort umgezogen. Mit vielen weiteren finden aktuell Verhandlungen statt.
Es sei wichtig, sagt RWE, die Dörfer in ihrer Gesamtheit umzusiedeln, so blieben auch gewachsene Strukturen zusammen.
Marita Dresen will da trotz allem nicht mitmachen. Sie will weiter kämpfen und hofft nun auf die Gerichte, wie der Frankfurter Anwalt der Gruppe, Dirk Teßmer, erklärt:
"Wir haben Grundrechte, die hier verletzt werden. Nur bei zwingenden Erfordernissen dürfen diese Rechte verletzt werden, das Eigentumsrecht, und diese Prüfung hat nicht stattgefunden."
Kohle im Zeitalter des Klimawandels
Anhand des Grundstücks in Keyenberg soll nun gerichtlich geklärt werden, ob eine Enteignung für die Stromerzeugung aus klimaschädlicher Braunkohle noch legal sei. Bisher hieß es, dass überwiegende Allgemeinwohlinteressen auf Stromversorgung Enteignungen rechtfertigten.
Das sei jetzt, mit beschlossenem Kohleausstieg und dem drohenden Klimawandel, nicht mehr der Fall, meint Teßmer: "Im Gegenteil, wir haben überwiegende Allgemeinwohlinteressen, dass der Tagebau nicht mehr so weitergeführt wird."
An der Hoffnung, dass die Gerichte, und möglicherweise letztinstanzlich das Bundesverfassungsgericht, das genauso sehen, hält sich Marita Dresen fest.
"Ich kann das hier nicht aufgeben für was, das nicht mehr notwendig ist."