Widerstand in Berlin
Als "Europäische Union" ist nicht nur die europäische Staatengemeinschaft, sondern auch eine Berliner Gruppe bekannt, die Widerstand gegen das NS-Regime leistete. Heute vor 65 Jahren richteten die Nazis drei Köpfe dieser "Europäischen Union" hin: Herbert Richter, Paul Rentsch und Georg Groscurth. Die Exekution eines weiteren wurde aufgeschoben: Robert Havemann überlebte das Dritte Reich und sollte einer der bekanntesten Dissidenten der DDR werden.
"Liebe gute treue Anneliese. Nun ist es also so weit. In einer halben Stunde wird das Urteil vollstreckt. [..] Sie rappeln schon mit den Schlüsseln! Grüße alle, die mir nahe standen. [..] Lass Dich umarmen. Denke daran, dass wir für eine bessere Zukunft sterben, für ein Leben ohne Menschenhass. Ich habe die Menschen sehr geliebt und hätte sicher noch viel Gutes getan. Es hat nicht sollen sein. [..] Dein Georg.]"
Am 8. Mai 1944 wurde der Arzt Georg Groscurth im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet. Nach ihm, jeweils im Abstand von fünf Minuten, wurden der Architekt Herbert Richter und der Zahnarzt Paul Rentsch zum Richtplatz geführt. Das Fallbeil setzte ihrem Leben und der nur kurzen Existenz ihrer Widerstandsgruppe, die sich "Europäische Union" nannte, ein brutales Ende. Nur einer aus der von der Gestapo als "Viererbande" bezeichneten Gruppe überlebte: der spätere DDR-Dissident Robert Havemann.
"Meine Freunde, meine Genossen, wir waren nur ein kleines Häuflein, muss man natürlich heute sagen, kämpften eben gegen die Nazis und fühlten uns also verpflichtet, etwas zu tun. Lange Zeit haben wir uns sehr darum gekümmert, um Verfolgten zu helfen, einfach das Einfachste, Menschliche zu tun. Aber schließlich wuchsen die Aufgaben, und wir erlangten eben die Verbindungen zu den ausländischen Zwangsarbeitern, die sich auch schon etwas organisiert hatten und gründeten die Widerstandsgruppe 'Europäische Union'. Und als solche Organisation schwebte uns eben vor Augen ein Europa des Sozialismus, ein Europa der Freundschaft der Völker untereinander, ein Europa, in dem kein Krieg mehr ist, sondern in dem das verwirklicht wird, was die Menschen aus tiefster Seele in allen Ländern der Welt wünschen."
Die "Europäische Union" ging seit 1942 davon aus, dass der Sturz Hitlers unausweichlich sei. Die Berliner Widerstandsgruppe wollte den Sturz beschleunigen. Dabei spielten die Zwangsarbeiter, so Havemann, der theoretische Kopf der Gruppe, eine wichtige Rolle.
"Wir suchten uns besondere Leute, die verschiedene europäische Sprachen beherrschten. Leute, die Französisch, Tschechisch, Dänisch, Polnisch und Russisch sprachen. Leute, die durch ihren Beruf in der Lage waren, Briefe und Nachrichten zwischen ausländischen Arbeitern in Deutschland und ihren nationalen Widerstandsorganisationen in den besetzten Ländern zu befördern. Wir verschafften uns Beziehungen zu den verschiedensten Regierungsstellen der Nazis und konnten dort Informationen erhalten, die für die ausländischen Arbeiter von Bedeutung waren. Wir konnten sie zum Beispiel vor geplanten Gestapo-Razzien warnen."
Robert Havemann wurde im April 1942 zum politischen und 1943 sogar zum militärischen Abwehrbeauftragten am Pharmakologischen Institut der Friedrich-Wilhelm-Universität ernannt. So hatte er nicht nur Zugang zu Informationen über das Kriegsgeschehen; seine Funktionen und die Mitgliedschaft in NS-Organisationen waren auch ein wichtiger Schutz für die "Europäische Union".
Das galt auch für den Georg Groscurth. Er half Kriegsgegnern, mit Medikamenten bei der Musterung Wehruntauglichkeit vorzutäuschen, er versteckte Untergetauchte in seiner Wohnung und verschaffte ihnen Papiere. Sein guter Ruf als Arzt führte seiner Patientenkartei verschiedene Nazi-Größen zu, unter anderem die beiden Brüder Rudolf und Alfred Heß.
Noch am 28. Juli 1943 schrieb die Widerstandsgruppe "Europäische Union" in einer Mitteilung:
"Bisherigen Berichten zufolge hat die Gestapo noch keinerlei Kenntnis von der Tätigkeit der 'Europäischen Union'."
Nach heutigen Erkenntnissen war ihr die Gestapo bereits auf der Spur. Am 5. September verhaftete die Gestapo Havemann, Groscurth, Rentsch und Richter. Der Volksgerichtshof sprach am 16. Dezember 1943 das Urteil gegen alle vier: Tod durch Enthaupten. Die Vollstreckung gegen Robert Havemann wurde nur aufgeschoben, weil das Heereswaffenamt sein fachliches Wissen für den Krieg noch ausnutzen wollte.
Im Kalten Krieg geriet das Andenken an die Widerstandsgruppe zwischen die ideologischen Fronten. Die Autoritäten der sowjetisch besetzten Zone vereinnahmten die "Europäische Union" für den kommunistischen Widerstand, die Westberliner Behörden verweigerten Hinterbliebenen der Gruppe finanzielle Unterstützung. Als Robert Havemann zum prominentesten Dissidenten der DDR avancierte, fiel die "Europäische Union" schließlich auch im Osten in Ungnade. In Israel wird seit 2006 in der Gedenkstätte Yad Vashem an die Mitglieder der Widerstandsgruppe erinnert.
Am 8. Mai 1944 wurde der Arzt Georg Groscurth im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet. Nach ihm, jeweils im Abstand von fünf Minuten, wurden der Architekt Herbert Richter und der Zahnarzt Paul Rentsch zum Richtplatz geführt. Das Fallbeil setzte ihrem Leben und der nur kurzen Existenz ihrer Widerstandsgruppe, die sich "Europäische Union" nannte, ein brutales Ende. Nur einer aus der von der Gestapo als "Viererbande" bezeichneten Gruppe überlebte: der spätere DDR-Dissident Robert Havemann.
"Meine Freunde, meine Genossen, wir waren nur ein kleines Häuflein, muss man natürlich heute sagen, kämpften eben gegen die Nazis und fühlten uns also verpflichtet, etwas zu tun. Lange Zeit haben wir uns sehr darum gekümmert, um Verfolgten zu helfen, einfach das Einfachste, Menschliche zu tun. Aber schließlich wuchsen die Aufgaben, und wir erlangten eben die Verbindungen zu den ausländischen Zwangsarbeitern, die sich auch schon etwas organisiert hatten und gründeten die Widerstandsgruppe 'Europäische Union'. Und als solche Organisation schwebte uns eben vor Augen ein Europa des Sozialismus, ein Europa der Freundschaft der Völker untereinander, ein Europa, in dem kein Krieg mehr ist, sondern in dem das verwirklicht wird, was die Menschen aus tiefster Seele in allen Ländern der Welt wünschen."
Die "Europäische Union" ging seit 1942 davon aus, dass der Sturz Hitlers unausweichlich sei. Die Berliner Widerstandsgruppe wollte den Sturz beschleunigen. Dabei spielten die Zwangsarbeiter, so Havemann, der theoretische Kopf der Gruppe, eine wichtige Rolle.
"Wir suchten uns besondere Leute, die verschiedene europäische Sprachen beherrschten. Leute, die Französisch, Tschechisch, Dänisch, Polnisch und Russisch sprachen. Leute, die durch ihren Beruf in der Lage waren, Briefe und Nachrichten zwischen ausländischen Arbeitern in Deutschland und ihren nationalen Widerstandsorganisationen in den besetzten Ländern zu befördern. Wir verschafften uns Beziehungen zu den verschiedensten Regierungsstellen der Nazis und konnten dort Informationen erhalten, die für die ausländischen Arbeiter von Bedeutung waren. Wir konnten sie zum Beispiel vor geplanten Gestapo-Razzien warnen."
Robert Havemann wurde im April 1942 zum politischen und 1943 sogar zum militärischen Abwehrbeauftragten am Pharmakologischen Institut der Friedrich-Wilhelm-Universität ernannt. So hatte er nicht nur Zugang zu Informationen über das Kriegsgeschehen; seine Funktionen und die Mitgliedschaft in NS-Organisationen waren auch ein wichtiger Schutz für die "Europäische Union".
Das galt auch für den Georg Groscurth. Er half Kriegsgegnern, mit Medikamenten bei der Musterung Wehruntauglichkeit vorzutäuschen, er versteckte Untergetauchte in seiner Wohnung und verschaffte ihnen Papiere. Sein guter Ruf als Arzt führte seiner Patientenkartei verschiedene Nazi-Größen zu, unter anderem die beiden Brüder Rudolf und Alfred Heß.
Noch am 28. Juli 1943 schrieb die Widerstandsgruppe "Europäische Union" in einer Mitteilung:
"Bisherigen Berichten zufolge hat die Gestapo noch keinerlei Kenntnis von der Tätigkeit der 'Europäischen Union'."
Nach heutigen Erkenntnissen war ihr die Gestapo bereits auf der Spur. Am 5. September verhaftete die Gestapo Havemann, Groscurth, Rentsch und Richter. Der Volksgerichtshof sprach am 16. Dezember 1943 das Urteil gegen alle vier: Tod durch Enthaupten. Die Vollstreckung gegen Robert Havemann wurde nur aufgeschoben, weil das Heereswaffenamt sein fachliches Wissen für den Krieg noch ausnutzen wollte.
Im Kalten Krieg geriet das Andenken an die Widerstandsgruppe zwischen die ideologischen Fronten. Die Autoritäten der sowjetisch besetzten Zone vereinnahmten die "Europäische Union" für den kommunistischen Widerstand, die Westberliner Behörden verweigerten Hinterbliebenen der Gruppe finanzielle Unterstützung. Als Robert Havemann zum prominentesten Dissidenten der DDR avancierte, fiel die "Europäische Union" schließlich auch im Osten in Ungnade. In Israel wird seit 2006 in der Gedenkstätte Yad Vashem an die Mitglieder der Widerstandsgruppe erinnert.