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Bündnis gegen Tradition des Wegschauens
24:33 Minuten
Österreich streitet, und zwar darüber, was für das Land gut ist. Sebastian Kurz und die ÖVP glauben, dass Österreich sie und ihre rechtspopulistische FPÖ-Allianz braucht. Doch es gibt da ein paar Rentner und ihre Anhänger, die dem etwas entgegen setzen.
Eine Demonstration im Zentrum Wiens. Auch dieses Mal dabei: eine Gruppe älterer Damen. Sie treffen sich auf dem Plateau der Staatsoper und singen sich zuerst einmal ein.
Die Erkennungszeichen der Damen sind schreiend bunte Strickmützen und weiße Anstecker mit dem Schriftzug "Omas gegen Rechts". Brunhilde und Elisabeth, beide über 70, sind gerade angekommen. Sie helfen einander beim Aufsetzen der Mützen, schauen, ob die Anstecker richtig sitzen. Die beiden haben gute Laune und sind zu Scherzen aufgelegt: "Die Omas haben halt a bisserl mehr Zeit manchmal, um sich um die anderen wichtigen Dinge des Lebens zu kümmern."
Beim Stichwort "österreichische Regierung" werden Brunhilde und Elisabeth aber sofort ernst.
"Auf der Regierungsbank, im Parlament – schrecklich, einfach schrecklich."
"Das ganze wiederholt sich von früher, wir wandeln wieder zurück in die 30er-Jahre, und das ist schlimm. Diese Zukunft haben unsere Kinder nicht verdient."
"Auf der Regierungsbank, im Parlament – schrecklich, einfach schrecklich."
"Das ganze wiederholt sich von früher, wir wandeln wieder zurück in die 30er-Jahre, und das ist schlimm. Diese Zukunft haben unsere Kinder nicht verdient."
Die Omas gegen Rechts sind inzwischen zu den Galionsfiguren der Proteste gegen die konservativ/rechtspopulistische Regierung Österreichs geworden. Von der BBC bis zum Frankfurter Rundschau – kaum ein Bericht über anti-Regierungsproteste in Österreich kommt ohne sie aus. Gegründet als geschlossene Facebookgruppe vor gerade mal sieben Monaten in der Zeit des österreichischen Regierungswechsels haben die Omas mittlerweile mehr als 3000 Mitglieder.
Sehr ernst gemeint, aber auch mit einen Augenzwinkern
Die ehemalige ORF-Auslandskorrespondentin Susanne Scholl ist Gründungsmitglied und vom Erfolg der Bewegung geradezu überwältigt:
"Wir sind eine Gruppe von Menschen, die sich vor nichts mehr fürchten müssen. Wir haben nicht zu verlieren. Das ist gut. Wir haben aber auch einen Auftrag für unsere Kinder und Enkelkinder. Weil wir nicht wollen, dass sie plötzlich in einem Land leben, wo der Sozialstaat nicht mehr existent ist, wo man sich nicht um die Menschen kümmert, wo man Menschen, die auf der Flucht sind, einfach abweist oder rausschmeißt. Das alles wollen wir nicht und da können wir auch nicht zuschauen. Unsere Stärke ist, dass wir das alles mit einem gewissen Augenzwinkern machen können und das erstaunt die meisten Menschen. Und deswegen haben wir auch so einen Zulauf."
"Wir sind eine Gruppe von Menschen, die sich vor nichts mehr fürchten müssen. Wir haben nicht zu verlieren. Das ist gut. Wir haben aber auch einen Auftrag für unsere Kinder und Enkelkinder. Weil wir nicht wollen, dass sie plötzlich in einem Land leben, wo der Sozialstaat nicht mehr existent ist, wo man sich nicht um die Menschen kümmert, wo man Menschen, die auf der Flucht sind, einfach abweist oder rausschmeißt. Das alles wollen wir nicht und da können wir auch nicht zuschauen. Unsere Stärke ist, dass wir das alles mit einem gewissen Augenzwinkern machen können und das erstaunt die meisten Menschen. Und deswegen haben wir auch so einen Zulauf."
Sebastian Kurz hatte mit seiner ÖVP die Parlamentswahlen im Oktober 2017 klar gewonnen. Schon im Wahlkampf hatte sich abgezeichnet, dass er mit der rechtspopulistischen FPÖ eine Koalition eingehen wird und es keine Neuaufllage der bisherigen Koalition mit der SPÖ geben würde. Am späten Abend des 15. Dezember 2017 trat der gerade mal 31 Jahre alte Sebastian Kurz dann vor die Medien:
"Es gibt eine türkis-blaue Einigung. Sie wissen, vor genau zwei Monaten haben die Österreicher und Österreicherinnen gewählt. Sie haben eine Richtungsentscheidung getroffen, für Veränderungen in unserem Land."
"Es gibt eine türkis-blaue Einigung. Sie wissen, vor genau zwei Monaten haben die Österreicher und Österreicherinnen gewählt. Sie haben eine Richtungsentscheidung getroffen, für Veränderungen in unserem Land."
Irgendwie machen lassen? - Nein!
Sebastian Kurz musste von Anfang an viel Kritik einstecken, weil er mit der FPÖ zusammenregiert - einer rechtspopulistischen Partei mit rechtsextremen Wurzeln und engen Verbindungen zu deutschnationalen Burschenschaften. Seine Standardantwort auf Kritik war, dass man die Regierung nach ihren Taten beurteilen und zuerst machen lassen sollte. Für Susanne Scholl von den Omas gegen Rechts war das schon damals keine Option:
"Ich war nie der Meinung, dass man diese Regierung irgendwie machen lassen soll. Und das haben sie auch sofort bewiesen in ihren ersten Aktionen innerhalb der ersten paar Monate. Das ist eine Regierung von Menschen, denen ganz egal ist, was die Leute betrifft, denen es nicht darum geht, in diesem Land irgendwas zu reformieren, irgendwas voranzutreiben. Sondern denen geht es um ihre Macht und um ihren Machterhalt. Sie färben das Land um, sie kürzen überall im Sozialbereich, wo man nur kürzen kann. Das sind alles keine Aktionen von einer Regierung, der man die ersten 100 Tage zugestehen kann."
"Ich war nie der Meinung, dass man diese Regierung irgendwie machen lassen soll. Und das haben sie auch sofort bewiesen in ihren ersten Aktionen innerhalb der ersten paar Monate. Das ist eine Regierung von Menschen, denen ganz egal ist, was die Leute betrifft, denen es nicht darum geht, in diesem Land irgendwas zu reformieren, irgendwas voranzutreiben. Sondern denen geht es um ihre Macht und um ihren Machterhalt. Sie färben das Land um, sie kürzen überall im Sozialbereich, wo man nur kürzen kann. Das sind alles keine Aktionen von einer Regierung, der man die ersten 100 Tage zugestehen kann."
Sebastian Kurz wird von vielen vor allem dafür kritisiert, dass er seinen Weg ins Kanzleramt fast monothematisch bestritten hat. Das Thema Zuwanderung überlagerte im Wahlkampf fast alle anderen Politikfelder. Auch als Bundeskanzler blieb Sebastian Kurz dem Thema treu. Aktuell etwa warnt er vor der so genannten Albanienroute – einer angeblich neuen Migrationsbewegung auf dem Balkan, deren Existenz selbst bei Experten umstritten ist. Franz Vranitzky ist einer der erfahrensten Politiker Österreichs. Der 81-jährige Sozialdemokrat war von 1986 bis 1997 Bundeskanzler und kennt die Mechanismen des hiesigen Politikbetriebs wie kaum ein anderer. Zu Sebastian Kurz sagt er:
"Sie können die Katze in die Luft werfen und sie kommt immer wieder auf dieselben vier Füße. Und diese selben vier Füße des Sebastian Kurz sind die Flüchtlinge."
"Sie können die Katze in die Luft werfen und sie kommt immer wieder auf dieselben vier Füße. Und diese selben vier Füße des Sebastian Kurz sind die Flüchtlinge."
Ein Bundeskanzler, der den Freiheitlichen kaum widerspricht
Ex-Bundeskanzler Vranitzky hatte in den 80er-Jahren für kurze Zeit mit der rechtspopulistischen FPÖ zusammen regiert. Die Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen, wie diese Partei in Österreich genannt wird, beendete er nach wenigen Monaten und schloss sie für die Zukunft kategorisch aus. Zu groß waren die moralischen und weltanschaulichen Differenzen. Franz Vranitzky sieht es deshalb kritisch, dass sich die konservative ÖVP von Sebastian Kurz und ihr Koalitionspartner FPÖ – wie er findet – heute inhaltlich immer mehr angleichen:
"Diese Regierung hat noch etliche Jahre Zeit, ihre wahren Gesichter zu zeigen. Es gibt aber schon Anzeichen dafür, dass der Einfluss der Freiheitlichen Partei in der Flüchtlingsfrage oder in der Sozialpolitik erkennbar ist. Die derzeitige Konstellation ist insofern eine neue, als in den Grundzügen der Politik zwischen den Freiheitlichen und den Exponenten der Volkspartei also dem Bundeskanzler und den anderen keine großen Unterschiede bestehen. In etlichen Aspekten ist der Bundeskanzler jemand, der den Freiheitlichen kaum widerspricht."
Kritiker wie Franz Vranitzky werfen Sebastian Kurz vor, inhaltlich von der rechtspopulistischen FPÖ abgekupfert zu haben. So sei beim strengen Migrationskurs der neuen Regierung oder der kürzlich beschlossene Kürzung von Sozialleistungen vor allem für Migranten und ausländische Arbeitnehmer in erster Linie die Handschrift der Freiheitlichen Partei zu erkennen.
Die Mutter trug Kopftuch, und dann?
Direkt vor der Karlskirche in Wien demonstriert die Initiative "Wir für den ORF" für die Unabhängigkeit und den Erhalt des öffentlich rechtlichen Rundfunks in Österreich, der auch unter dieser Regierung stark unter Beschuss ist. Eine der Rednerinnen ist Ingrid Brodnig. Die Journalistin und Publizisten ist Expertin für Kommunikation in Sozialen Netzwerken. Auch sie bestätigt ein gewisses Übergewicht des Themas Zuwanderung in der öffentlichen Diskussion im Land:
"Aber nicht in der Frage 'Was können wir tun, dass diese Menschen hier ein gutes Leben führen und auch gut mit uns zusammenleben?', sondern immer unter der Frage 'Was machen wir, wenn die uns ausnutzen wollen?'. Und wenn ich so eine Debatte dauernd führe, dann wundert mich das überhaupt nicht, dass ein Teil der Bevölkerung auch sehr hart über Flüchtlinge urteilt, schlimmste Dinge postet. Wir erleben eine Diskussion in der Bevölkerung, die genau eine solche Politik hervorruft."
Ingrid Brodnig spricht von einem gespaltenen Land, den zwei Gesichtern Österreichs. Als Beispiel nennt sie die öffentliche Reaktion auf das erste Baby, das 2018 in Wien zur Welt kam. Eine Zeitung veröffentlichte das Bild des Kindes und ihrer kopftuchtragenden Mutter. Viele Österreicher reagierten mit Hass und Ablehnung, genauso viele aber auch mit Solidaritätsbekundungen:
"Jede dieser Seiten, also die, die ein Problem haben, mit einem Neujahrsbaby, dessen Mutter Kopftuch trägt und die andere Seite, die fühlen sich in ihrem Lager wohl. Aber man versteht einander nicht. Und das ist in Österreich seit einiger Zeit so. Für mich war der entscheidende Moment die Bundespräsidentschaftswahl 2016, wo wir den linksliberalen Kandidaten Van Der Bellen und den rechtspopulistischen Kandidaten Hofer hatten und wir diese Spaltung auch in Zahlen sehen konnten. Das war der Moment, wo es besonders erhitzt wurde und irgendwie sind wie nie da herausgekommen, ist mein Eindruck."
"Jede dieser Seiten, also die, die ein Problem haben, mit einem Neujahrsbaby, dessen Mutter Kopftuch trägt und die andere Seite, die fühlen sich in ihrem Lager wohl. Aber man versteht einander nicht. Und das ist in Österreich seit einiger Zeit so. Für mich war der entscheidende Moment die Bundespräsidentschaftswahl 2016, wo wir den linksliberalen Kandidaten Van Der Bellen und den rechtspopulistischen Kandidaten Hofer hatten und wir diese Spaltung auch in Zahlen sehen konnten. Das war der Moment, wo es besonders erhitzt wurde und irgendwie sind wie nie da herausgekommen, ist mein Eindruck."
Die zwei Gesichter Österreichs
Die Omas gegen Rechts sind eines dieser zwei Gesichter Österreichs. Beim Abschluss der Demonstration an der Staatsoper in Wien haben sich etwa 100 im Halbkreis aufgestellt und singen ihre Hymne. Pressefotografen lassen sich dieses Motiv nicht entgehen. Und Susanne Scholl freut sich auch dieses Mal über die öffentliche Aufmerksamkeit, denn:
"Ich glaube, dass es wichtig ist, die Leute auch aufzuwecken. Und außerdem ist es wichtig, sich selber in der Früh im Spiegel anschauen zu können. Wir haben in diesem Land ja leider eine Tradition im Wegschauen oder so tun, als ob man nicht dabei gewesen wäre. Was wir nicht wollen, ist dass die Leute noch mal die Möglichkeit haben zu sagen. Wir haben von nichts gewusst."
"Ich glaube, dass es wichtig ist, die Leute auch aufzuwecken. Und außerdem ist es wichtig, sich selber in der Früh im Spiegel anschauen zu können. Wir haben in diesem Land ja leider eine Tradition im Wegschauen oder so tun, als ob man nicht dabei gewesen wäre. Was wir nicht wollen, ist dass die Leute noch mal die Möglichkeit haben zu sagen. Wir haben von nichts gewusst."