Wie anders ist Frankreich?
Alfred Grosser ist ein rastloser wie mitleidener Vermittler und Versöhner zwischen Franzosen und Deutschen. Zu seinem 80. Geburtstag ist nun der zweite Teil seines Gesamtwerkes über deutsch-französische Beziehungen erschienen. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die Ähnlichkeiten größer sind als man denken mag.
Zunächst sollte ein Wort nur dem Menschen, Historiker, Politikwissenschaftler und Intellektuellen Alfred Grosser gelten. Je älter der Mann wird, der uns da verschmitzt vom Schutzumschlag zulächelt, desto persönlicher werden seine Bücher. Vor allem - wie im vorliegenden Fall - die, in denen dieser als Jude in Deutschland Geborene mit ganz besonderer Empathie die Menschen aus Frankreich mit uns Deutschen vergleicht. Da schreibt keiner, der mit gebotener wissenschaftlicher Distanz zur Historisierung der problematischen deutsch-französischen Beziehungen seit dem ersten Weltkrieg beitragen will. Sondern da wirbt ein Grenzgänger um Verständnis für seine über 48 Jahre hinweg gewachsenen französische Identität, die ihn ganz besondere private und nationale Erfahrungen hat machen lassen. Von denen spricht er in "intimeren" Geschichten, sobald er von "den Deutschen" erzählt. Während er merkbar "offiziöser" wird, wenn er von "Frankreich" redet, unserem gar nicht so unterschiedlichen Nachbarn. Die Programmatik für beides versteckt er in der vorletzten Zeile des Nachwortes: "Erweitertes Einfühlen in die Realität des Nachbarlandes" zu begründen.
Mit einer ganz ungewohnten Vergleichsebene überrascht der Moralist Grosser schon gleich zu Anfang. Da heißt es nämlich: "Das Selbstmitleid ist in der Bundesrepublik seit Kriegsende stets massiv hervorgetreten. In Frankreich fand man eher die Selbstüberschätzung" (Grosser, S. 9). Folgen 230 Seiten, die versuchen, beiden Missempfindungen einen entsprechend einfühlsamen aber selbstbewussteren Umgang mit der eigenen wie der anderen Realität entgegen zu setzen:
- Den Umgang mit dem kollektiven Gedächtnis, das Vergangenheit
gegenwärtig macht.
- Den Umgang mit der politischen Macht, die sich zunehmend ins
Private drängt.
- Den Umgang mit einer Krisenwirtschaft, die Wohlfahrtsstaat und
Zivilgesellschaft gefährdet.
- Und den Umgang mit Kunst und Kultur, die aus ihrer
bildungsbürgerlichen Klausur heraus wollen.
Das Ganze fasst Alfred Grosser dann in ein paar Erwägungen zur französischen Europa- und Weltpolitik zusammen, die in drei bestürzende Maximen münden: Frankreich will führen - auch uns Deutsche. Frankreich will geliebt werden - und ganz besonders von uns Deutschen. Und ... am französischen Wesen soll die Welt genesen (sic!). "Die Schwäche Frankreichs ist in der Selbstverherrlichung zu finden" (Grosser, S. 197).
Trotzdem lautet die Antwort von Alfred Grosser auf seine selbstgestellte Titel-Frage "Wie anders ist Frankreich?" überraschenderweise: Viel ähnlicher als der deutsche Leser wahrscheinlich vermutet. Und tatsächlich nimmt das Lese-Vergnügen zu, sobald der "Connaisseur" (…) seine Übereinstimmungen vorträgt. Zum zeitgenössischen Theater zum Beispiel, das auf Grund "gegenseitiger deutsch-französischer Beeinflussung" hie wie da gleich ekelhaft sei. Oder zur politischen Heuchelei, mit der "Eingereiste und schwarz Arbeitende" auf der einen Seite abgestraft werden, während man sich auf der anderen Seite gerne ihrer billigen Dienste bediene. Bei der Weinlese im Languedoc und Elsass genauso wie zum Spargelstechen in Schwetzingen und Beelitz.
Kenntnisreich und detailgenau erzählt Grosser jedoch auch von dem großen Unterschied zwischen Franzosen und Deutschen: Nämlich von der Bedeutung des kollektiven Gedächtnisses, vom Weiterwirken einer "Vergangenheit, die nicht vergeht" - für das private und individuelle Leben ebenso wie für die politische Öffentlichkeit. Unter Berufung auf den Standortvorteil Frankreich, was den Geschichtsunterricht in der Schule und das weit verbreitete Interesse für Geschichte betrifft ("...keine Kluft zwischen den Berufshistorikern und dem kultivierten Publikum", Grosser S. 20), werden wir Deutschen als weitgehend geschichtsvergessen vorgeführt. Und das trotz der offiziell verordneten Vergangenheitsbewältigung in der Nachkriegszeit in beiden deutschen Staaten.
Alfred Grosser schätzt die politische Kultur Frankreichs auch und ganz besonders wegen ihrer öffentlichen Gesten, die es wohl so oder ähnlich bei den Politikern diesseits des Rheins nie geben wird. Zum Beispiel diese: "Als Francois Mitterand zum Präsidenten gewählt wurde, ging er zum Pantheon, trat alleine ein und legte eine Rose auf das Grabmahl der Toten, die er politisch als Vorbild betrachten wollte". Frankreich, du hast es besser!
Alfred Grosser: "Wie anders ist Frankreich?"
Verlag C.H. Beck, München 2005
240 Seiten
Mit einer ganz ungewohnten Vergleichsebene überrascht der Moralist Grosser schon gleich zu Anfang. Da heißt es nämlich: "Das Selbstmitleid ist in der Bundesrepublik seit Kriegsende stets massiv hervorgetreten. In Frankreich fand man eher die Selbstüberschätzung" (Grosser, S. 9). Folgen 230 Seiten, die versuchen, beiden Missempfindungen einen entsprechend einfühlsamen aber selbstbewussteren Umgang mit der eigenen wie der anderen Realität entgegen zu setzen:
- Den Umgang mit dem kollektiven Gedächtnis, das Vergangenheit
gegenwärtig macht.
- Den Umgang mit der politischen Macht, die sich zunehmend ins
Private drängt.
- Den Umgang mit einer Krisenwirtschaft, die Wohlfahrtsstaat und
Zivilgesellschaft gefährdet.
- Und den Umgang mit Kunst und Kultur, die aus ihrer
bildungsbürgerlichen Klausur heraus wollen.
Das Ganze fasst Alfred Grosser dann in ein paar Erwägungen zur französischen Europa- und Weltpolitik zusammen, die in drei bestürzende Maximen münden: Frankreich will führen - auch uns Deutsche. Frankreich will geliebt werden - und ganz besonders von uns Deutschen. Und ... am französischen Wesen soll die Welt genesen (sic!). "Die Schwäche Frankreichs ist in der Selbstverherrlichung zu finden" (Grosser, S. 197).
Trotzdem lautet die Antwort von Alfred Grosser auf seine selbstgestellte Titel-Frage "Wie anders ist Frankreich?" überraschenderweise: Viel ähnlicher als der deutsche Leser wahrscheinlich vermutet. Und tatsächlich nimmt das Lese-Vergnügen zu, sobald der "Connaisseur" (…) seine Übereinstimmungen vorträgt. Zum zeitgenössischen Theater zum Beispiel, das auf Grund "gegenseitiger deutsch-französischer Beeinflussung" hie wie da gleich ekelhaft sei. Oder zur politischen Heuchelei, mit der "Eingereiste und schwarz Arbeitende" auf der einen Seite abgestraft werden, während man sich auf der anderen Seite gerne ihrer billigen Dienste bediene. Bei der Weinlese im Languedoc und Elsass genauso wie zum Spargelstechen in Schwetzingen und Beelitz.
Kenntnisreich und detailgenau erzählt Grosser jedoch auch von dem großen Unterschied zwischen Franzosen und Deutschen: Nämlich von der Bedeutung des kollektiven Gedächtnisses, vom Weiterwirken einer "Vergangenheit, die nicht vergeht" - für das private und individuelle Leben ebenso wie für die politische Öffentlichkeit. Unter Berufung auf den Standortvorteil Frankreich, was den Geschichtsunterricht in der Schule und das weit verbreitete Interesse für Geschichte betrifft ("...keine Kluft zwischen den Berufshistorikern und dem kultivierten Publikum", Grosser S. 20), werden wir Deutschen als weitgehend geschichtsvergessen vorgeführt. Und das trotz der offiziell verordneten Vergangenheitsbewältigung in der Nachkriegszeit in beiden deutschen Staaten.
Alfred Grosser schätzt die politische Kultur Frankreichs auch und ganz besonders wegen ihrer öffentlichen Gesten, die es wohl so oder ähnlich bei den Politikern diesseits des Rheins nie geben wird. Zum Beispiel diese: "Als Francois Mitterand zum Präsidenten gewählt wurde, ging er zum Pantheon, trat alleine ein und legte eine Rose auf das Grabmahl der Toten, die er politisch als Vorbild betrachten wollte". Frankreich, du hast es besser!
Alfred Grosser: "Wie anders ist Frankreich?"
Verlag C.H. Beck, München 2005
240 Seiten