Wie bilden sich Eliten?
Vor einem guten Jahr hatte der Bundeskanzler die Parole ausgegeben - und schon war das Wort "Elite" ein paar intensive Wochen und nachhallende Monate lang in aller Deutschen Munde. Teils (mit etwas waidwunder Resignation) beistimmend, teils (mit der Verbissenheit ehemaliger Ideologen) eine Linie des Widerstands haltend, sprach man über "Elite" erstaunlich offen in einem Land, dessen Grundkonsens seit geraumer Zeit das ebenso soziale wie demokratische Wachen über möglichst viel Gleichheit ist.
Mittlerweile wird öffentlich über Eliten wieder weniger geredet, aber das machtvolle Kanzlerwort hat einen Wettbewerb ins Leben gerufen, welcher die Universitäten der Republik nach einem sehr gründlichen - weil sehr auf Gleichheit achtenden - Verfahren um offiziellen Elitestatus und die daran als Versprechen geknüpften finanziellen Segnungen kämpfen lässt. Dabei geht es weniger um die Frage, ob einige - eben die besseren - Universitäten ihren Studenten optimale Möglichkeiten bieten, um zu den Eliten der Zukunft zu werden. Vielmehr streiten die Hochschulen selbst als kollektive Subjekte um die Ehre, von Vater Staat als Elite-Institution anerkannt zu werden.
So sehr die Gleichheits-Vigilanz inzwischen zu einer gemeineuropäischen Leidenschaft geworden ist, so viele historische Gründe gibt es doch auch für die Vermutung, dass sich Deutschland schon immer besonders schwer getan hat mit den Eliten als institutioneller Form. Nicht zufällig fällt einem ja fast unvermeidlich zuerst die SS ein, wenn man an deutsche Elite-Gründungen denkt, die Wirkung gezeigt haben. Auf der positiven europäischen Seite gibt es in Frankreich und in Italien zwei Institutionen, die Ecole Normale Supérieure in Paris und die Scuola Normale Superiore in Pisa, die unter Napoleon als einfache Lehrerbidungsanstalten eingerichtet wurden und sich über die vergangenen zwei Jahrhunderte dank ihrer unprogammatischen Freiheiten zu international bewunderten Schulen entwickelt haben, in denen für beide Länder die Eliten immer neuer Generationen entstanden sind. Die aus der Privatschatulle des bayerischen Königs Maximilian II. Mitte des 19. Jahrhunderts finanzierte "Stiftung Maximilianeum" hingegen war gleich dazu bestimmt, ein Instrument zur Ausbildung von Staats-Eliten zu werden, beschränkt sich aber seit vielen Jahrzehnten darauf, ihren Studenten keinesfalls mehr als freie Kost und Logis zu bieten und ansonsten regelmäßig zu dokumentieren, dass sich die Stipendiaten im Normalfall gerade nicht durch außergewöhnliche Karrieren auszeichnen.
Was macht dann aber, bleibt zu fragen, das tragikomische Verhältnis der deutschen Bürger und Staaten zur Elite-Idee aus? Vielleicht hat man vor lauter Gründlichkeit - in einem doppelten Sinn - schon immer übersehen, dass Eliten - auch in einem doppelten Sinn - vor allem mit Vertrauen zu tun haben. Und zwar mit Vertrauen als einem Verfahren der Komplexitätsreduktion, wie es Niklas Luhmann einmal in genialer Prägnanz formuliert hat. Das betrifft zunächst die Entstehung von Eliten, die sich eben nicht generalstabsmäßig planen und evaluieren lassen, sondern nach aller konkreten Erfahrung nur dort emergieren, wo man darauf verraut, dass bestimmte Institutionen Förderung verdienen, um da jeweils erste Anzeichen von Exzellenz zu verstärken und in langfristig erfolgreiche Strukturen ausbauen zu können. Ohne Risiko und potentielle Fehlschläge geht dabei nichts - das genau ist die Kehrseite von Komplexitätsreduktion durch Vertrauen und von Emergenz als freier Entwicklung.
Wo einmal Eliten entstanden sind, da werden sie gewiss nicht zuerst durch Finanz- oder Macht-Privilegien sichtbar, gegen die übereifrige Elito-Phobie den bürgerlichen Gleichheitsanspruch schon immer vorab beschützen möchte. Zu einer Elite gehören, heißt nicht einmal unbedingt, dass man über bestimmte Sachverhalte mehr weiß als andere. Eher erkennt man Eliten an ihrer Phantasie, die über das je Bestehende hinausgehen will, an ihrer Urteilskraft, an der Fähigkeit zur psychischen und auch körperlichen Anspannung, vor allem aber an der Bereitschaft, mehr zu investieren - in jeder Hinsicht - als vorschriftsgemäß gefordert wird. Zu einer Elite gehören heißt, dass man die Gelegenheit, mehr leisten zu können, als das eigenste Privileg ansieht, statt auf Privilegien als Belohnung für mehr Geleistetes zu pochen.
Genau hier setzt die andere Verfugung zwischen Elite als Form und Vertrauen als Komplexitätsreduktion an. Eliten bewähren sich nicht in der Übernahme langfristiger Aufgaben - dafür braucht man Kader, kompetente Bürokratien und ihre Gewerkschaften. Eliten bewähren sich genau und nur dann, wenn man ihnen vertraut bei der Bewältigung außergewöhnlicher und mithin nicht vorgesehener Probleme. Unter diesen spezifischen Bedingungen wachsen Eliten tatsächlich - aber immer nur kurzfristig - Privilegien der Handlungsfreiheit zu. Belohnt werden können Eliten eigentlich nur durch die Anerkennung ihrer Leistungen in solchen Momenten der Bewährung - durch eine Anerkennung, die sich eben am besten ausdrückt in weiter steigendem Vertrauen.
Hans Ulrich Gumbrecht zählt zu den deutschen Literaturwissenschaftlern mit internationalem Renommee. Er studierte Romanistik, Germanistik, Philosophie und Soziologie in Deutschland, Spanien und Italien, lehrte dann an den Universitäten Konstanz, Bochum und Siegen. Seit 1989 ist er Inhaber des Lehrstuhls für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Stanford in Kalifornien.
So sehr die Gleichheits-Vigilanz inzwischen zu einer gemeineuropäischen Leidenschaft geworden ist, so viele historische Gründe gibt es doch auch für die Vermutung, dass sich Deutschland schon immer besonders schwer getan hat mit den Eliten als institutioneller Form. Nicht zufällig fällt einem ja fast unvermeidlich zuerst die SS ein, wenn man an deutsche Elite-Gründungen denkt, die Wirkung gezeigt haben. Auf der positiven europäischen Seite gibt es in Frankreich und in Italien zwei Institutionen, die Ecole Normale Supérieure in Paris und die Scuola Normale Superiore in Pisa, die unter Napoleon als einfache Lehrerbidungsanstalten eingerichtet wurden und sich über die vergangenen zwei Jahrhunderte dank ihrer unprogammatischen Freiheiten zu international bewunderten Schulen entwickelt haben, in denen für beide Länder die Eliten immer neuer Generationen entstanden sind. Die aus der Privatschatulle des bayerischen Königs Maximilian II. Mitte des 19. Jahrhunderts finanzierte "Stiftung Maximilianeum" hingegen war gleich dazu bestimmt, ein Instrument zur Ausbildung von Staats-Eliten zu werden, beschränkt sich aber seit vielen Jahrzehnten darauf, ihren Studenten keinesfalls mehr als freie Kost und Logis zu bieten und ansonsten regelmäßig zu dokumentieren, dass sich die Stipendiaten im Normalfall gerade nicht durch außergewöhnliche Karrieren auszeichnen.
Was macht dann aber, bleibt zu fragen, das tragikomische Verhältnis der deutschen Bürger und Staaten zur Elite-Idee aus? Vielleicht hat man vor lauter Gründlichkeit - in einem doppelten Sinn - schon immer übersehen, dass Eliten - auch in einem doppelten Sinn - vor allem mit Vertrauen zu tun haben. Und zwar mit Vertrauen als einem Verfahren der Komplexitätsreduktion, wie es Niklas Luhmann einmal in genialer Prägnanz formuliert hat. Das betrifft zunächst die Entstehung von Eliten, die sich eben nicht generalstabsmäßig planen und evaluieren lassen, sondern nach aller konkreten Erfahrung nur dort emergieren, wo man darauf verraut, dass bestimmte Institutionen Förderung verdienen, um da jeweils erste Anzeichen von Exzellenz zu verstärken und in langfristig erfolgreiche Strukturen ausbauen zu können. Ohne Risiko und potentielle Fehlschläge geht dabei nichts - das genau ist die Kehrseite von Komplexitätsreduktion durch Vertrauen und von Emergenz als freier Entwicklung.
Wo einmal Eliten entstanden sind, da werden sie gewiss nicht zuerst durch Finanz- oder Macht-Privilegien sichtbar, gegen die übereifrige Elito-Phobie den bürgerlichen Gleichheitsanspruch schon immer vorab beschützen möchte. Zu einer Elite gehören, heißt nicht einmal unbedingt, dass man über bestimmte Sachverhalte mehr weiß als andere. Eher erkennt man Eliten an ihrer Phantasie, die über das je Bestehende hinausgehen will, an ihrer Urteilskraft, an der Fähigkeit zur psychischen und auch körperlichen Anspannung, vor allem aber an der Bereitschaft, mehr zu investieren - in jeder Hinsicht - als vorschriftsgemäß gefordert wird. Zu einer Elite gehören heißt, dass man die Gelegenheit, mehr leisten zu können, als das eigenste Privileg ansieht, statt auf Privilegien als Belohnung für mehr Geleistetes zu pochen.
Genau hier setzt die andere Verfugung zwischen Elite als Form und Vertrauen als Komplexitätsreduktion an. Eliten bewähren sich nicht in der Übernahme langfristiger Aufgaben - dafür braucht man Kader, kompetente Bürokratien und ihre Gewerkschaften. Eliten bewähren sich genau und nur dann, wenn man ihnen vertraut bei der Bewältigung außergewöhnlicher und mithin nicht vorgesehener Probleme. Unter diesen spezifischen Bedingungen wachsen Eliten tatsächlich - aber immer nur kurzfristig - Privilegien der Handlungsfreiheit zu. Belohnt werden können Eliten eigentlich nur durch die Anerkennung ihrer Leistungen in solchen Momenten der Bewährung - durch eine Anerkennung, die sich eben am besten ausdrückt in weiter steigendem Vertrauen.
Hans Ulrich Gumbrecht zählt zu den deutschen Literaturwissenschaftlern mit internationalem Renommee. Er studierte Romanistik, Germanistik, Philosophie und Soziologie in Deutschland, Spanien und Italien, lehrte dann an den Universitäten Konstanz, Bochum und Siegen. Seit 1989 ist er Inhaber des Lehrstuhls für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Stanford in Kalifornien.