Wie das Trauern zur Privatsache wurde
Wie man am besten trauert, in welchen Etappen der Verlust eines Menschen durchlitten wird, darüber geben unzählige Psycho-, Esoterik- und theologische Ratgeber Auskunft. Allgemeine Regeln gibt es dafür keine. Jeder trauert heute für sich. Dass das einmal anders war, daran erinnert Reiner Sörries in dem Buch "Herzliches Beileid".
Dabei widmet sich der Professor für christliche Archäologie nicht dem Ausmaß der Emotionen. Es geht nicht um eine Geschichte der Gefühle als vielmehr um die äußerlich sichtbaren Zeichen der Trauer, ihrer Rituale und Requisiten.
In einem historischen Abriss schildert er kursorisch die sich wandelnden Stationen der Trauer: von den ersten Begräbniszeremonien vor rund 120.000 Jahren bis zur Individualisierung der Trauer im 19. Jahrhundert. Er beschreibt, wie in ländlichen Regionen die Verstorbenen eine Lücke in der Gemeinschaft hinterließen – der Bäcker, Winzer oder Schuster fehlte zunächst nicht nur der Familie, sondern allen, weshalb er von allen betrauert wurde.
Heute hingegen ist der Verlust des Einzelnen im Wesentlichen für die unmittelbaren Hinterbliebenen schmerzlich. Denn heute, so seine These, ist die Lücke, die der Einzelne hinterlässt, für das Gemeinwesen nicht mehr existenziell. Der Umbruch von der öffentlichen zur privatisierten Trauer vollzog sich, wie Sörries betont, im 19. Jahrhundert, als die Industrialisierung die Menschen in die Städte und in die Anonymität trieb.
Dass die Formen, in denen Trauer sich äußert, sozialen Regeln unterliegen, und deshalb immer wieder neu gelernt werden, illustriert er anschaulich an früheren Trauerriten wie der Totenwache, dem Andenkenkult in Gestalt von Totenkrone oder Sterbebildchen, die heute von der Urne im Wohnzimmerschrank oder der in einen Diamant verschlossenen Asche ersetzt wird. Seine Beispiele, die sich volkskundlichen und ethnologischen Studien verdanken, bezieht der Autor, der zugleich das einzige deutsche Museum für Sepulkralkultur in Kassel leitet, ausschließlich aus dem mitteleuropäischen Raum.
Sachlich, robust und ohne zu lamentieren widmet er sich den neuen Medien, dem Internet etwa und dessen Einfluss auf die Trauerkultur. Ob es sich um Traueranzeigen als E-Cards anstelle handgeschriebener Briefe handelt, ob um die Funktion des Internets bei der Kommerzialisierung von Trauerarbeit durch Coaches oder "Ritualdesigner" – Sörries vermerkt solche Tendenzen ohne Wertung. Denn, so relativiert er mögliche Vorwürfe der Pietätlosigkeit, seit jeher prägten technische Neuerungen auch die Formen der Trauer. Zum Beispiel, als mit den ersten Zeitungen im 17. Jahrhundert die gedruckten Todesanzeigen den "Leichenbitter" überflüssig machten, den Ausschreier des Todes im Dorf.
Kritik am "anything goes" der heutigen Trauerrituale äußert er in seiner informativ geschriebenen Studie nur, wenn es um das Zelebrieren der Trauer geht, um ihre vermeintlich sinnstiftende Größe. Wenn die Trauer einen Sinn hat, so das knappe, irgendwie tröstliche Resümee des Buches, dann besteht er darin, sie zu überwinden – und damit ins Leben zurückzuführen.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Reiner Sörries: Herzliches Beileid. Eine Kulturgeschichte der Trauer
Primus Verlag, Darmstadt 2012
256 Seiten, 24,90 Euro
In einem historischen Abriss schildert er kursorisch die sich wandelnden Stationen der Trauer: von den ersten Begräbniszeremonien vor rund 120.000 Jahren bis zur Individualisierung der Trauer im 19. Jahrhundert. Er beschreibt, wie in ländlichen Regionen die Verstorbenen eine Lücke in der Gemeinschaft hinterließen – der Bäcker, Winzer oder Schuster fehlte zunächst nicht nur der Familie, sondern allen, weshalb er von allen betrauert wurde.
Heute hingegen ist der Verlust des Einzelnen im Wesentlichen für die unmittelbaren Hinterbliebenen schmerzlich. Denn heute, so seine These, ist die Lücke, die der Einzelne hinterlässt, für das Gemeinwesen nicht mehr existenziell. Der Umbruch von der öffentlichen zur privatisierten Trauer vollzog sich, wie Sörries betont, im 19. Jahrhundert, als die Industrialisierung die Menschen in die Städte und in die Anonymität trieb.
Dass die Formen, in denen Trauer sich äußert, sozialen Regeln unterliegen, und deshalb immer wieder neu gelernt werden, illustriert er anschaulich an früheren Trauerriten wie der Totenwache, dem Andenkenkult in Gestalt von Totenkrone oder Sterbebildchen, die heute von der Urne im Wohnzimmerschrank oder der in einen Diamant verschlossenen Asche ersetzt wird. Seine Beispiele, die sich volkskundlichen und ethnologischen Studien verdanken, bezieht der Autor, der zugleich das einzige deutsche Museum für Sepulkralkultur in Kassel leitet, ausschließlich aus dem mitteleuropäischen Raum.
Sachlich, robust und ohne zu lamentieren widmet er sich den neuen Medien, dem Internet etwa und dessen Einfluss auf die Trauerkultur. Ob es sich um Traueranzeigen als E-Cards anstelle handgeschriebener Briefe handelt, ob um die Funktion des Internets bei der Kommerzialisierung von Trauerarbeit durch Coaches oder "Ritualdesigner" – Sörries vermerkt solche Tendenzen ohne Wertung. Denn, so relativiert er mögliche Vorwürfe der Pietätlosigkeit, seit jeher prägten technische Neuerungen auch die Formen der Trauer. Zum Beispiel, als mit den ersten Zeitungen im 17. Jahrhundert die gedruckten Todesanzeigen den "Leichenbitter" überflüssig machten, den Ausschreier des Todes im Dorf.
Kritik am "anything goes" der heutigen Trauerrituale äußert er in seiner informativ geschriebenen Studie nur, wenn es um das Zelebrieren der Trauer geht, um ihre vermeintlich sinnstiftende Größe. Wenn die Trauer einen Sinn hat, so das knappe, irgendwie tröstliche Resümee des Buches, dann besteht er darin, sie zu überwinden – und damit ins Leben zurückzuführen.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Reiner Sörries: Herzliches Beileid. Eine Kulturgeschichte der Trauer
Primus Verlag, Darmstadt 2012
256 Seiten, 24,90 Euro