Wie deutsche Museen ein ganzes Jahrzehnt verschliefen
In den Achtzigerjahren trafen kalte Abstraktionen und heftiger Neo-Expressionismus in der damaligen Kunstszene aufeinander. Dieser Generation widmete sich niemand intensiver als der Schweizer Galerist Bruno Bischofberger. In der Kunsthalle Bielefeld wird nun dieses Jahrzehnt wiederbelebt.
Sechs Meter breit ist das eindrucksvolle Triptychon des Italieners Francesco Clemente: Ein komplexes Selbstporträt, der Maler nackt, neben sich zwei riesige rote Zungen, dann das fein ziselierte Rankenwerk einer Girlande. Gemalt 1980 für die Biennale in Venedig, empfängt Clementes Arbeit nun die Besucher der Bielefelder Kunsthalle. Und signalisiert unübersehbar: Die Achtziger waren - nach einer Epoche von Konzeptkunst und Minimal Art - das Jahrzehnt der figurativen Maler.
Bruno Bischofberger: "Wie jede Schrift verschieden ist und wie jedes Gesicht verschieden ist, ist auch die Kunst sehr verschieden. Alle sind Individualisten. Und dieses mehr private, feine, von allerlei östliche Kulturen geprägte in sich Hineinhören von Clemente ist natürlich schon sehr verschieden von Werken wie die Neuen Wilden. Vor allem die Berliner Jungens vom Moritzplatz. Das ist noch weniger konzeptuell, es ist vor allem tolle Bilddarstellung anhand eines Stiles, der früher einmal da war, eben die Brücke-Maler oder so."
Für Bruno Bischofberger, den Sammler und Galeristen, charakterisieren die Neuen Wilden, allen voran die Berliner Rainer Fetting oder Salomé, gleichermaßen die achtziger Jahre: orientiert an der dynamischen, mit aggressiv leuchtenden Farben ausgeführten Malweise eines Ludwig Kirchner sahen sie das Lebensgefühl der roaring twenties unter S-Bahn-Bögen oder in New Yorker Schwulendiscos.
Und noch ein Club der ruppigen, selbstbewussten Maler war mit von der Partie: die "Mülheimer Freiheit". Die Bilder der Kölner Gruppe um Walter Dahn und Jiri Dokupil zeigte 1980 der Galerist Paul Maenz - und Bruno Bischofberger kaufte gleich die komplette Ausstellung:
"Ich hatte die Mülheimer wahrscheinlich als erster Kunsthändler besucht. Und als ich das hörte, habe ich Paul Maenz angerufen und gefragt, was kann ich denn kaufen? Da hat er gesagt, was Du willst, auch alle. Na gut, habe ich gesagt, dann kaufe ich alle. Ich habe erst Jahre später gehört, dass die Burschen hingingen und noch vor der Eröffnung am Abend diese 16 Bilder wieder umgehängt haben und 16 neue gebracht haben. Und das noch drei- oder viermal während der Ausstellung, weil immer alles verkauft war."
Hastig gemalt, bewusst nachlässig auf die Leinwand geklatscht wirken diese Arbeiten - und lassen Bezüge auf einprägsame Motive erkennen: japanische Theatermasken, Jesusfiguren oder auch ein Totenkopf als Vergänglichkeitssymbol.
Bruno Bischofberger: "Ganz entscheidend ist diese postmoderne Art Malerei von Mythen bis zu dem, was gerade passiert ist in der Kunst kurz vorher. Ich habe mich ja auch seit den frühen Sechzigern, als ich meine erste Galerie aufmachte, mit den Großen der Minimal und Concept Art herumgeschlagen, die aber wenig verstanden wurden, weil es einfach noch zu früh war. Und ich habe immer versucht, noch mit dabei zu sein, dass ich als Kunsthändler auch Künstler vertreten kann, von Anfang an, bevor sie in irgendwelchen anderen berühmten Galerien vertreten sind und ich dort Schlange stehen muss."
Anfang der Achtzigerjahre war der Kunstkenner Bruno Bischofberger davon fasziniert, wie die Maler mit provozierend stümperhaft ausgeführten Arbeiten nicht nur auf eine massenmediale Bilderschwemme reagierten, sondern zugleich diese Inflation reflektieren, eine Analyse des Zustandekommens der Bilder anregen wollten.
Mit dem lukrativen Nebeneffekt, dass durch eine polarisierte Kunstkritik und die kräftig angeheizte öffentliche Debatte die Werke zeitgenössischer Künstler sehr schnell sehr teuer wurden. Der Markt zwang die Museen zum Handeln.
Thomas Kellein: "Was die Museumsleute in der Regel alle verpasst haben, war das große Spektrum. Jeder hatte sich eingeredet, er finde den besten der insgesamt ja doch dann fast 100 Künstler auf Anhieb von selbst - und dann auch noch jeweils die drei besten Werke! Und dann haben sich natürlich alle ganz furchtbar in die Tasche gelogen.
Von daher würde ich mal sagen, die meisten Museen gucken besser nicht in ihr Depot, was aus den achtziger Jahren da wirklich angekauft wurde, denn ich fresse mal jeden Besen, dass es in der Regel das Falsche war."
Dagegen setzt Thomas Kellein, Direktor der Kunsthalle Bielefeld, nun das Panorama von "The 80s Revisited", einer Schau, die er zusammen mit Bruno Bischofberger und dessen Sammlung erarbeitet hat. Denn im Gegensatz zu vielen Museumstankern, so die unausgesprochene Grundthese dieser Schau, war der Privatsammler nicht überfordert durch die plötzliche Fülle von Kunst, insbesondere vom Boom der Malerei.
Mit seinem als Kunsthistoriker geschulten Blick, aber auch mit subjektivem Gespür für die entscheidenden Jahre in der oft wechselvollen Karriere von Malern wie Fetting oder Salomé traf Bischofberger seine Kaufentscheidungen - sozusagen direkt vor der noch malfrischen Leinwand.
Bruno Bischofberger: "Alle die Künstler waren sehr oft bei uns in der Schweiz, oft auch in Sankt Moritz, wo wir dann ein Atelier bauten im Garten, weil die Künstler immer arbeiten wollten. Oft waren Künstler zusammen, ich kann mich erinnern, als der Clemente da war, kamen Dahn und Dokupil."
Genauso oft jettete Bischofberger, als Galerist der Vertreter von Andy Warhol in Europa, nach New York. Davon zeugt eine kleine, aber feine Auswahl der Ornament-Bilder von Philippe Taffe, darunter eine Anspielung auf Barnett Newmans Farbfelder, diese Feldzeichen einer bis dato übermächtigen Abstraktion. Taffe durchbohrt eine gelbe Fläche mit drei filigranen Endlosschrauben.
Thomas Kellein: "Bei dem Bild ist natürlich zunächst die Frage, ob die Betrachter Barnett Newman kennen. Dann die Frage, ob sie Philipp Taffe kennen. Wenn sie beide nicht kennen, dann könnte es natürlich passieren, dass jemand der Meinung ist, dass ist einfach ein Stück gelber Leinwand mit einer herrlichen Girlande darauf. Dann hat man sicherlich auch etwas Schönes gesehen - aber die Hälfte nicht mitgekriegt."
Ganz so einfach ist diese Kunstgeschichte der Achtziger nicht zu haben - die Bielefelder Ausstellung verleitet nicht nur zum Schauen, sondern zwingt auch zum Lesen: Der Katalog ist umfangreich, nicht nur der Bilder wegen.
Bruno Bischofberger: "Wie jede Schrift verschieden ist und wie jedes Gesicht verschieden ist, ist auch die Kunst sehr verschieden. Alle sind Individualisten. Und dieses mehr private, feine, von allerlei östliche Kulturen geprägte in sich Hineinhören von Clemente ist natürlich schon sehr verschieden von Werken wie die Neuen Wilden. Vor allem die Berliner Jungens vom Moritzplatz. Das ist noch weniger konzeptuell, es ist vor allem tolle Bilddarstellung anhand eines Stiles, der früher einmal da war, eben die Brücke-Maler oder so."
Für Bruno Bischofberger, den Sammler und Galeristen, charakterisieren die Neuen Wilden, allen voran die Berliner Rainer Fetting oder Salomé, gleichermaßen die achtziger Jahre: orientiert an der dynamischen, mit aggressiv leuchtenden Farben ausgeführten Malweise eines Ludwig Kirchner sahen sie das Lebensgefühl der roaring twenties unter S-Bahn-Bögen oder in New Yorker Schwulendiscos.
Und noch ein Club der ruppigen, selbstbewussten Maler war mit von der Partie: die "Mülheimer Freiheit". Die Bilder der Kölner Gruppe um Walter Dahn und Jiri Dokupil zeigte 1980 der Galerist Paul Maenz - und Bruno Bischofberger kaufte gleich die komplette Ausstellung:
"Ich hatte die Mülheimer wahrscheinlich als erster Kunsthändler besucht. Und als ich das hörte, habe ich Paul Maenz angerufen und gefragt, was kann ich denn kaufen? Da hat er gesagt, was Du willst, auch alle. Na gut, habe ich gesagt, dann kaufe ich alle. Ich habe erst Jahre später gehört, dass die Burschen hingingen und noch vor der Eröffnung am Abend diese 16 Bilder wieder umgehängt haben und 16 neue gebracht haben. Und das noch drei- oder viermal während der Ausstellung, weil immer alles verkauft war."
Hastig gemalt, bewusst nachlässig auf die Leinwand geklatscht wirken diese Arbeiten - und lassen Bezüge auf einprägsame Motive erkennen: japanische Theatermasken, Jesusfiguren oder auch ein Totenkopf als Vergänglichkeitssymbol.
Bruno Bischofberger: "Ganz entscheidend ist diese postmoderne Art Malerei von Mythen bis zu dem, was gerade passiert ist in der Kunst kurz vorher. Ich habe mich ja auch seit den frühen Sechzigern, als ich meine erste Galerie aufmachte, mit den Großen der Minimal und Concept Art herumgeschlagen, die aber wenig verstanden wurden, weil es einfach noch zu früh war. Und ich habe immer versucht, noch mit dabei zu sein, dass ich als Kunsthändler auch Künstler vertreten kann, von Anfang an, bevor sie in irgendwelchen anderen berühmten Galerien vertreten sind und ich dort Schlange stehen muss."
Anfang der Achtzigerjahre war der Kunstkenner Bruno Bischofberger davon fasziniert, wie die Maler mit provozierend stümperhaft ausgeführten Arbeiten nicht nur auf eine massenmediale Bilderschwemme reagierten, sondern zugleich diese Inflation reflektieren, eine Analyse des Zustandekommens der Bilder anregen wollten.
Mit dem lukrativen Nebeneffekt, dass durch eine polarisierte Kunstkritik und die kräftig angeheizte öffentliche Debatte die Werke zeitgenössischer Künstler sehr schnell sehr teuer wurden. Der Markt zwang die Museen zum Handeln.
Thomas Kellein: "Was die Museumsleute in der Regel alle verpasst haben, war das große Spektrum. Jeder hatte sich eingeredet, er finde den besten der insgesamt ja doch dann fast 100 Künstler auf Anhieb von selbst - und dann auch noch jeweils die drei besten Werke! Und dann haben sich natürlich alle ganz furchtbar in die Tasche gelogen.
Von daher würde ich mal sagen, die meisten Museen gucken besser nicht in ihr Depot, was aus den achtziger Jahren da wirklich angekauft wurde, denn ich fresse mal jeden Besen, dass es in der Regel das Falsche war."
Dagegen setzt Thomas Kellein, Direktor der Kunsthalle Bielefeld, nun das Panorama von "The 80s Revisited", einer Schau, die er zusammen mit Bruno Bischofberger und dessen Sammlung erarbeitet hat. Denn im Gegensatz zu vielen Museumstankern, so die unausgesprochene Grundthese dieser Schau, war der Privatsammler nicht überfordert durch die plötzliche Fülle von Kunst, insbesondere vom Boom der Malerei.
Mit seinem als Kunsthistoriker geschulten Blick, aber auch mit subjektivem Gespür für die entscheidenden Jahre in der oft wechselvollen Karriere von Malern wie Fetting oder Salomé traf Bischofberger seine Kaufentscheidungen - sozusagen direkt vor der noch malfrischen Leinwand.
Bruno Bischofberger: "Alle die Künstler waren sehr oft bei uns in der Schweiz, oft auch in Sankt Moritz, wo wir dann ein Atelier bauten im Garten, weil die Künstler immer arbeiten wollten. Oft waren Künstler zusammen, ich kann mich erinnern, als der Clemente da war, kamen Dahn und Dokupil."
Genauso oft jettete Bischofberger, als Galerist der Vertreter von Andy Warhol in Europa, nach New York. Davon zeugt eine kleine, aber feine Auswahl der Ornament-Bilder von Philippe Taffe, darunter eine Anspielung auf Barnett Newmans Farbfelder, diese Feldzeichen einer bis dato übermächtigen Abstraktion. Taffe durchbohrt eine gelbe Fläche mit drei filigranen Endlosschrauben.
Thomas Kellein: "Bei dem Bild ist natürlich zunächst die Frage, ob die Betrachter Barnett Newman kennen. Dann die Frage, ob sie Philipp Taffe kennen. Wenn sie beide nicht kennen, dann könnte es natürlich passieren, dass jemand der Meinung ist, dass ist einfach ein Stück gelber Leinwand mit einer herrlichen Girlande darauf. Dann hat man sicherlich auch etwas Schönes gesehen - aber die Hälfte nicht mitgekriegt."
Ganz so einfach ist diese Kunstgeschichte der Achtziger nicht zu haben - die Bielefelder Ausstellung verleitet nicht nur zum Schauen, sondern zwingt auch zum Lesen: Der Katalog ist umfangreich, nicht nur der Bilder wegen.