Wie Deutsche und Franzosen Vertrauen lernten
Aus Feinden wurden Freunde: Band 10 der "Deutsch-Französischen Geschichte" von Corine Defrance und Ulrich Pfeil beschäftigt sich mit den beiden Nachkriegs-Jahrzehnten und gibt gute Einblicke in die Beziehungen beider Länder, bevor die entscheidenden Verträge unterzeichnet wurden.
Die Nachkriegs-Geschichte zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich ist durch den symbolischen Schulterschluss der Staatsführer geprägt. So wie Nicolas Sarkozy und Angela Merkel heute - häufig zähneknirschend - auf europäischen Gipfeln Einigkeit demonstrieren, so haben Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing, Kohl und Mitterrand bei zahlreichen Gelegenheiten eine unverbrüchliche Verbindung nach außen getragen. Im Juli 1962 war es zur ersten dieser medienwirksamen Treffen gekommen: Konrad Adenauer und Charles de Gaulle besuchten gemeinsam die Kathedrale von Reims - ein für beide Länder emotional hoch aufgeladener Akt. Schließlich war die Krönungskirche der französischen Könige von den Deutschen im Ersten Weltkrieg schwer beschädigt worden, um Frankreich, den "Erzfeind", zu demütigen.
Bald nach dieser Versöhnungsgeste wurden die Elysée-Verträge unterzeichnet, im Januar 1963. Sie waren die Gründungsdokumente der viel beschworenen deutsch-französischen Aussöhnung, die die enge politische und vor allem kulturelle Verflechtung zwischen den beiden Ländern innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft ermöglicht hat.
Defrance und Pfeil betrachten die Zeit vor diesen Freundschafts-Verträgen. Denn in den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs galt es zunächst einmal - so die Autoren - "ein Vertrauenspotenzial aufzubauen, das in den vorangegangenen Jahrzehnten nie existiert hatte". Die Bereitschaft, überhaupt aufeinander zuzugehen, grenzte an ein Wunder, wurde durch den beginnenden Kalten Krieg jedoch zu einer Notwendigkeit. Es ging darum, die Bundesrepublik politisch und wirtschaftlich in den Westen zu integrieren und gleichzeitig zu verhindern, dass Frankreichs gefürchteter Nachbar Deutschland wieder zu mächtig wurde. Diese politischen Rahmenbedingungen waren das eine, das zweite war eine Europabegeisterung in Teilen der Bevölkerung. Nie wieder Krieg, das schien nur jenseits der Nationalstaaten möglich.
Das Buch beschreibt detailliert und aus der Perspektive beider Länder, wie und auf welchen Feldern die deutsch-französische Annäherung vonstatten ging: Überwindung der als besonders hart empfundenen französischen Besatzungspolitik; allmähliche Auflösung der Verbissenheit, mit der sich die beiden Nationen Jahrhunderte lang aufeinander bezogen hatten; die große Bedeutung der zivilgesellschaftlichen Kontakte und bestimmter Mittler-Persönlichkeiten; dazu die ersten Städtepartnerschaften und die Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (1963). Schon 1958 wurde das Deutsche Historische Institut in Paris gegründet, Gespräche über gemeinsame Schulbücher fanden statt. Bereits kurz nach dem Krieg waren das Deutsch-Französische Institut in Ludwigsburg und das "Comité français d'échanges avec l'Allemagne nouvelle" gegründet worden.
Defrance und Pfeil untersuchen auch das in anderen Darstellungen häufig nur am Rande behandelte Verhältnis Frankreichs zur DDR. Dabei waren gerade die französischen linken Intellektuellen, die der kommunistischen Partei nahestanden, durchaus an Kontakten mit der DDR interessiert. Und insgesamt war in Frankreich die Haltung verbreitet, dass die Teilung die Gefahr einer neuen Vormachtstellung Deutschlands gut begrenzen konnte.
Das Buch ist zwar wissenschaftlich ausführlich und komplex, aber durchaus verständlich geschrieben. Es gibt einen sehr guten Einblick in die Vorgeschichte der deutsch-französischen Freundschaft, die bis heute so grundlegend für das geeinte Europa ist. Und: Es hält Überraschungen bereit wie ein - visionäres - Zeitungs-Interview Konrad Adenauers, in dem er 1950 "eine vollständige Union zwischen Deutschland und Frankreich mit einem einzigen Parlament" vorschlug, einschließlich eines "deutsch-französischen Wirtschaftsparlaments".
Besprochen von Dirk Fuhrig
Corine Defrance/Ulrich Pfeil: Deutsch-Französische Geschichte, Band 10
Eine Nachkriegsgeschichte in Europa 1945-1963
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
336 Seiten; 69,90 Euro
Bald nach dieser Versöhnungsgeste wurden die Elysée-Verträge unterzeichnet, im Januar 1963. Sie waren die Gründungsdokumente der viel beschworenen deutsch-französischen Aussöhnung, die die enge politische und vor allem kulturelle Verflechtung zwischen den beiden Ländern innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft ermöglicht hat.
Defrance und Pfeil betrachten die Zeit vor diesen Freundschafts-Verträgen. Denn in den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs galt es zunächst einmal - so die Autoren - "ein Vertrauenspotenzial aufzubauen, das in den vorangegangenen Jahrzehnten nie existiert hatte". Die Bereitschaft, überhaupt aufeinander zuzugehen, grenzte an ein Wunder, wurde durch den beginnenden Kalten Krieg jedoch zu einer Notwendigkeit. Es ging darum, die Bundesrepublik politisch und wirtschaftlich in den Westen zu integrieren und gleichzeitig zu verhindern, dass Frankreichs gefürchteter Nachbar Deutschland wieder zu mächtig wurde. Diese politischen Rahmenbedingungen waren das eine, das zweite war eine Europabegeisterung in Teilen der Bevölkerung. Nie wieder Krieg, das schien nur jenseits der Nationalstaaten möglich.
Das Buch beschreibt detailliert und aus der Perspektive beider Länder, wie und auf welchen Feldern die deutsch-französische Annäherung vonstatten ging: Überwindung der als besonders hart empfundenen französischen Besatzungspolitik; allmähliche Auflösung der Verbissenheit, mit der sich die beiden Nationen Jahrhunderte lang aufeinander bezogen hatten; die große Bedeutung der zivilgesellschaftlichen Kontakte und bestimmter Mittler-Persönlichkeiten; dazu die ersten Städtepartnerschaften und die Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (1963). Schon 1958 wurde das Deutsche Historische Institut in Paris gegründet, Gespräche über gemeinsame Schulbücher fanden statt. Bereits kurz nach dem Krieg waren das Deutsch-Französische Institut in Ludwigsburg und das "Comité français d'échanges avec l'Allemagne nouvelle" gegründet worden.
Defrance und Pfeil untersuchen auch das in anderen Darstellungen häufig nur am Rande behandelte Verhältnis Frankreichs zur DDR. Dabei waren gerade die französischen linken Intellektuellen, die der kommunistischen Partei nahestanden, durchaus an Kontakten mit der DDR interessiert. Und insgesamt war in Frankreich die Haltung verbreitet, dass die Teilung die Gefahr einer neuen Vormachtstellung Deutschlands gut begrenzen konnte.
Das Buch ist zwar wissenschaftlich ausführlich und komplex, aber durchaus verständlich geschrieben. Es gibt einen sehr guten Einblick in die Vorgeschichte der deutsch-französischen Freundschaft, die bis heute so grundlegend für das geeinte Europa ist. Und: Es hält Überraschungen bereit wie ein - visionäres - Zeitungs-Interview Konrad Adenauers, in dem er 1950 "eine vollständige Union zwischen Deutschland und Frankreich mit einem einzigen Parlament" vorschlug, einschließlich eines "deutsch-französischen Wirtschaftsparlaments".
Besprochen von Dirk Fuhrig
Corine Defrance/Ulrich Pfeil: Deutsch-Französische Geschichte, Band 10
Eine Nachkriegsgeschichte in Europa 1945-1963
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
336 Seiten; 69,90 Euro