Wie Deutschland ein Einwanderungsland wurde

Von Dorothea Jung |
Die Angeworbenen hießen "Gastarbeiter". Sie sollten und wollten nicht bleiben. Doch es kam anders. Im Oktober 1961 unterzeichneten die Bundesrepublik und die Türkei ein Anwerbeabkommen. Nun jährt sich der Beginn der türkischen Einwanderung.
Das Abkommen legte fest, dass die Angeworbenen nach zwei Jahren Deutschland wieder verlassen. Dann sollten den Unternehmen neue türkische Gastarbeiter zur Verfügung stehen. Das war den türkischen Arbeitern anfangs ganz Recht, meint der Berliner Reise-Unternehmer Bahattin Kaya.

"Die türkischen sogenannten Gastarbeiter damals, die haben hier gearbeitet und dann versucht, irgendwas zu schaffen, dass sie in die Türkei zurückkehren können. "

Aber für die Unternehmen war es unrentabel, gerade angelernte Arbeitskräfte nach kurzer Zeit durch neue ungelernte zu ersetzen. Bereits 1964 verschwand das sogenannte Rotationsprinzip aus dem Vertrag. Und die Gastarbeiter selbst mussten realisieren, dass ihr Traum von der schnellen Mark eine Illusion war. Deswegen ließen Etliche ihre Familien in die Bundesrepublik nachkommen.

Als 1973 die deutsche Regierung wegen der Ölkrise und der beginnenden Rezession einen Anwerbestopp für alle ausländischen Arbeitnehmer erließ, verstärkte sich der Familiennachzug noch. In den 10 Jahren nach dem Anwerbestopp verdoppelte sich die Zahl der türkischstämmigen Menschen in Deutschland von 750 000 auf anderthalb Millionen.

Doch für diese "ausländischen Mitbürger", wie man sie jetzt nannte, gab es kaum Integrationshilfen. Die Folge: Verfestigte Sprachbarrieren und soziale Spannungen. 1983 beschloss der Deutsche Bundestag eine Prämie für rückkehrwillige Türken. Doch die Prämie war kein Erfolg. Denn die meisten türkischstämmigen Familien wollten in Deutschland bleiben. Das hinderte Bundeskanzler Helmut Kohl nicht, 1989 in seiner Regierungserklärung zu verkünden:

"Wir sind kein Einwanderungsland. Und wir können es auch nicht werden."

Zu Beginn der 90er Jahre verstärkte sich der Fremdenhass in Deutschland. Türkische Einwanderer starben nach Brandanschlägen in Mölln und Solingen. In die Einwanderungsdebatte kam Bewegung. Jetzt sprach man von Migranten und Migrationshintergrund. Seit Anfang 2000 ist ein neues Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft, das die Einbürgerung erleichtert. Später wurden Integrations- und Sprachkurse Pflicht. Seitdem ist trotz ressentiment-geladener Debatten für die deutsche Leitkultur oder gegen die Islamisierung Europas klar, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.

Links:
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Kommentar - Türken sind keine Bittsteller mehr
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