"Wie die Geburtsstunde der modernen menschlichen Seele"
In seinem Dokumentarfilm "The Cave of Forgotten Dreams" zeigt Werner Herzog die mehr als 30.000 Jahre alten Tiermalereien in der französischen Chauvet-Höhle in beeindruckenden 3D-Bildern.
Nana Brink: Letztes Jahr war er noch Jury-Präsident der Berlinale, dieses Jahr hat Regisseur Werner Herzog einen eigenen Film auf der Berlinale, im Wettbewerb außer Konkurrenz: "Cave of Forgotten Dreams", Höhle der vergessenen Träume, so die Übersetzung, eine 3D-Dokumentation über die Höhlenmalereien von Chauvet-Pont-d’Arc, über 500 Wandbilder mit gemalten und gravierten Tier- und symbolischen Darstellungen, zum Teil bis zu 35.000 Jahre alt – sehr spektakulär also, und damit diese Höhle nicht zerstört werden kann, ist sie, da sie erst 1994 entdeckt worden ist, nicht öffentlich zugängig. Und am Telefon ist jetzt Werner Herzog. Einen schönen guten Morgen beziehungsweise einen schönen guten Abend in die USA, Herr Herzog!
Werner Herzog: Danke, ja!
Brink: Wie sind Sie denn zu diesem spektakulären Höhlenthema gekommen?
Herzog: Ich glaube, das allererste Interesse, das ich jenseits von Schule hatte oder jenseits von dem, was ich im Elternhaus erfahren hatte, war ein Buch über Höhlenmalerei, das ich in München in einem Schaufenster einer Buchhandlung sah, und es hat mich so erregt, und ich konnte dieses Buch nicht kaufen und habe dann als Balljunge halt auf Tennisplätzen gearbeitet, und hatte dann schließlich nach vier, fünf Monaten das Geld zusammen und kaufte das Buch. Ich hatte immer gehofft, dass es niemand sonst kauft. Ich dachte damals wohl mit 13 Jahren, ich war ja auch aus den Bergen gekommen nach München, ich dachte, das Buch gibt es nur einmal, und kaufte das, und dieses große Staunen, als ich in dieses Buch hineingeblättert habe, hat mich nie ganz verlassen.
Brink: Und das haben Sie jetzt auch wiedergefunden, also jetzt bei diesem aktuellen Film in Frankreich?
Herzog: Ich habe das ja auch dem französischen Kultusminister Frédéric Mitterand erzählt, der glücklicherweise ein Fan meiner Filme ist. Es war ja sehr schwierig, die Drehgenehmigung zu bekommen, und die Franzosen sind da relativ territorial, wenn es um deren kulturelles Erbe geht. Und ich habe dann vorgeschlagen, ich würde gerne im Auftrag und für das Kultusministerium in Frankreich arbeiten, und meine Gage, meine Gagenforderung war ein Euro, und ich habe dann tatsächlich die Genehmigung bekommen, da zu drehen. Es ist sehr schwierig, weil verschiedene andere berühmte Höhlen wie Lascaux, die berühmteste eigentlich von allen Höhlen bis dahin, musste geschlossen werden, weil zu viele Leute drin waren, Touristen auch, und der Atem von Menschen hat eine Art von Schimmelpilz an den Wänden entstehen lassen, der sich vorwärts frisst und nicht richtig gestoppt werden kann. Und deswegen ist man extrem vorsichtig mit der Höhle, die ja über 20.000 Jahre vollkommen durch einen Felssturz versiegelt war. Da haben Sie ganz frische Spuren von Höhlenbären, ein Fußabdruck von einem achtjährigen Jungen auf einmal in der Höhle, als wäre das gestern hinterlassen worden.
Brink: Ich sehe schon, wenn Sie das erzählen, dass muss eine unglaubliche Faszination für Sie gewesen sein, als Sie dort drinstanden als einer der wenigen Menschen, die es gesehen haben, sehen konnten.
Herzog: Ja, sicher, Sie wissen, wenn Sie da drin sind, es ist ganz, ganz etwas Besonderes, und Sie wissen, die Zeit, die Sie da drin haben, ist kostbar. Wir durften nur eine Woche lang drehen, aber nur vier Stunden am Tag drehen, und wir konnten nur Gerät mitnehmen, das wir tragen konnten in der Hand, und wir mussten unsere Kameras vollkommen – wir haben ja in 3D gedreht – umbauen auf eine völlig andere Konfiguration der Optiken und der Kameras selbst.
Brink: Diese Malereien gelten ja – Sie haben es schon angedeutet – als die ältesten überhaupt. Haben Sie eine Erklärung für dieses frühe kulturelle Phänomen, oder ist das vielleicht so etwas wie die Geburtsstunde der Kunst?
Herzog: Ich glaube, es ist mehr als die Geburtsstunde der Kunst, und ich glaube, der Film macht es auch klar. Das ist wie die Geburtsstunde der modernen menschlichen Seele. Das heißt, plötzlich ist Kunst da, und zwar vollkommen, nicht von primitivem Gekritzel angefangen, vollkommen und außergewöhnlich entwickelt. Zur selben Zeit haben Sie Hinweise auf erste religiöse Rituale, Sie haben Beerdigungen, Sie haben tatsächlich auch Mythologie, die sich heute bis zu Picasso hinzieht, der Minotaurus und die Frau, da haben Sie auf einmal kulturelle Dinge, die bis heute noch ganz, ganz schwach, wie ein schwaches, entferntes Echo auf uns hinklingen.
Brink: Sie haben es erwähnt, Sie haben in 3D gefilmt, Sie haben auch die Schwierigkeiten erwähnt. Warum diese 3D-Technik für diesen Film?
Herzog: Ach, ich glaube, das ist vollkommen eindeutig, wenn Sie den Film sehen, das war zwingend, weil die Malereien ja nicht auf flachen Wänden sind, sondern da gibt es Nischen, aus denen ein Pferd auch einmal herauskommt, und es gibt Ausbuchtungen, und das haben die Maler, die Künstler damals genutzt, um zum Beispiel den Nacken eines Bisons zu malen, der vor ihnen steht in thronender Haltung. Und das war vollkommen klar: Das muss in 3D gemacht werden.
Brink: Nun ist das ja ein Dokumentarfilm, wo Sie sagen, okay, das gibt mir zwingend vor, in 3D zu filmen. Können Sie sich das auch vorstellen für Spielfilme?
Herzog: Ja, aber nicht für alles, und im Moment, Sie erreichen mich ja gerade im Bundesstaat Texas in den USA – ich drehe mit Todeskandidaten, also Leuten, die zum Tod verurteilt sind. Das drehe ich selbstverständlich nicht in 3D.
Brink: Aber wo könnten Sie sich das zum Beispiel vorstellen, um über die Zukunft von 3D ein bisschen zu spekulieren?
Herzog: Ach, sehen Sie, das menschliche Auge sieht in der Regel nicht ständig 3D. Das ist sehr anstrengend. Wir sehen normalerweise mit einem dominanten Auge 2D und nur peripher mit dem anderen Auge sehen wir die dritte Dimension, aber die verschwindet dann weitgehend, im normalen Alltagsleben, je nach Situation. Das Gehirn des Menschen ist sehr selektiv und schaut, dass es möglichst unangestrengt sozusagen die Umwelt absorbieren kann. Und insofern sind auch nur bestimmte Filme geeignet für 3D, also "Avatar" zum Beispiel, ich sage immer, das sind die großen Feuerwerke, ja, völlig in Ordnung, machen Sie das in 3D, aber eine romantische Komödie, die sollten wir besser nicht in 3D drehen.
Brink: Der Filmemacher Werner Herzog über 3D und seinen neuen Film "Caves of Forgotten Dreams", die Höhlen der vergessenen Träume, er war auf der Berlinale zu sehen.
Werner Herzog: Danke, ja!
Brink: Wie sind Sie denn zu diesem spektakulären Höhlenthema gekommen?
Herzog: Ich glaube, das allererste Interesse, das ich jenseits von Schule hatte oder jenseits von dem, was ich im Elternhaus erfahren hatte, war ein Buch über Höhlenmalerei, das ich in München in einem Schaufenster einer Buchhandlung sah, und es hat mich so erregt, und ich konnte dieses Buch nicht kaufen und habe dann als Balljunge halt auf Tennisplätzen gearbeitet, und hatte dann schließlich nach vier, fünf Monaten das Geld zusammen und kaufte das Buch. Ich hatte immer gehofft, dass es niemand sonst kauft. Ich dachte damals wohl mit 13 Jahren, ich war ja auch aus den Bergen gekommen nach München, ich dachte, das Buch gibt es nur einmal, und kaufte das, und dieses große Staunen, als ich in dieses Buch hineingeblättert habe, hat mich nie ganz verlassen.
Brink: Und das haben Sie jetzt auch wiedergefunden, also jetzt bei diesem aktuellen Film in Frankreich?
Herzog: Ich habe das ja auch dem französischen Kultusminister Frédéric Mitterand erzählt, der glücklicherweise ein Fan meiner Filme ist. Es war ja sehr schwierig, die Drehgenehmigung zu bekommen, und die Franzosen sind da relativ territorial, wenn es um deren kulturelles Erbe geht. Und ich habe dann vorgeschlagen, ich würde gerne im Auftrag und für das Kultusministerium in Frankreich arbeiten, und meine Gage, meine Gagenforderung war ein Euro, und ich habe dann tatsächlich die Genehmigung bekommen, da zu drehen. Es ist sehr schwierig, weil verschiedene andere berühmte Höhlen wie Lascaux, die berühmteste eigentlich von allen Höhlen bis dahin, musste geschlossen werden, weil zu viele Leute drin waren, Touristen auch, und der Atem von Menschen hat eine Art von Schimmelpilz an den Wänden entstehen lassen, der sich vorwärts frisst und nicht richtig gestoppt werden kann. Und deswegen ist man extrem vorsichtig mit der Höhle, die ja über 20.000 Jahre vollkommen durch einen Felssturz versiegelt war. Da haben Sie ganz frische Spuren von Höhlenbären, ein Fußabdruck von einem achtjährigen Jungen auf einmal in der Höhle, als wäre das gestern hinterlassen worden.
Brink: Ich sehe schon, wenn Sie das erzählen, dass muss eine unglaubliche Faszination für Sie gewesen sein, als Sie dort drinstanden als einer der wenigen Menschen, die es gesehen haben, sehen konnten.
Herzog: Ja, sicher, Sie wissen, wenn Sie da drin sind, es ist ganz, ganz etwas Besonderes, und Sie wissen, die Zeit, die Sie da drin haben, ist kostbar. Wir durften nur eine Woche lang drehen, aber nur vier Stunden am Tag drehen, und wir konnten nur Gerät mitnehmen, das wir tragen konnten in der Hand, und wir mussten unsere Kameras vollkommen – wir haben ja in 3D gedreht – umbauen auf eine völlig andere Konfiguration der Optiken und der Kameras selbst.
Brink: Diese Malereien gelten ja – Sie haben es schon angedeutet – als die ältesten überhaupt. Haben Sie eine Erklärung für dieses frühe kulturelle Phänomen, oder ist das vielleicht so etwas wie die Geburtsstunde der Kunst?
Herzog: Ich glaube, es ist mehr als die Geburtsstunde der Kunst, und ich glaube, der Film macht es auch klar. Das ist wie die Geburtsstunde der modernen menschlichen Seele. Das heißt, plötzlich ist Kunst da, und zwar vollkommen, nicht von primitivem Gekritzel angefangen, vollkommen und außergewöhnlich entwickelt. Zur selben Zeit haben Sie Hinweise auf erste religiöse Rituale, Sie haben Beerdigungen, Sie haben tatsächlich auch Mythologie, die sich heute bis zu Picasso hinzieht, der Minotaurus und die Frau, da haben Sie auf einmal kulturelle Dinge, die bis heute noch ganz, ganz schwach, wie ein schwaches, entferntes Echo auf uns hinklingen.
Brink: Sie haben es erwähnt, Sie haben in 3D gefilmt, Sie haben auch die Schwierigkeiten erwähnt. Warum diese 3D-Technik für diesen Film?
Herzog: Ach, ich glaube, das ist vollkommen eindeutig, wenn Sie den Film sehen, das war zwingend, weil die Malereien ja nicht auf flachen Wänden sind, sondern da gibt es Nischen, aus denen ein Pferd auch einmal herauskommt, und es gibt Ausbuchtungen, und das haben die Maler, die Künstler damals genutzt, um zum Beispiel den Nacken eines Bisons zu malen, der vor ihnen steht in thronender Haltung. Und das war vollkommen klar: Das muss in 3D gemacht werden.
Brink: Nun ist das ja ein Dokumentarfilm, wo Sie sagen, okay, das gibt mir zwingend vor, in 3D zu filmen. Können Sie sich das auch vorstellen für Spielfilme?
Herzog: Ja, aber nicht für alles, und im Moment, Sie erreichen mich ja gerade im Bundesstaat Texas in den USA – ich drehe mit Todeskandidaten, also Leuten, die zum Tod verurteilt sind. Das drehe ich selbstverständlich nicht in 3D.
Brink: Aber wo könnten Sie sich das zum Beispiel vorstellen, um über die Zukunft von 3D ein bisschen zu spekulieren?
Herzog: Ach, sehen Sie, das menschliche Auge sieht in der Regel nicht ständig 3D. Das ist sehr anstrengend. Wir sehen normalerweise mit einem dominanten Auge 2D und nur peripher mit dem anderen Auge sehen wir die dritte Dimension, aber die verschwindet dann weitgehend, im normalen Alltagsleben, je nach Situation. Das Gehirn des Menschen ist sehr selektiv und schaut, dass es möglichst unangestrengt sozusagen die Umwelt absorbieren kann. Und insofern sind auch nur bestimmte Filme geeignet für 3D, also "Avatar" zum Beispiel, ich sage immer, das sind die großen Feuerwerke, ja, völlig in Ordnung, machen Sie das in 3D, aber eine romantische Komödie, die sollten wir besser nicht in 3D drehen.
Brink: Der Filmemacher Werner Herzog über 3D und seinen neuen Film "Caves of Forgotten Dreams", die Höhlen der vergessenen Träume, er war auf der Berlinale zu sehen.