Wie die Kunst die Arbeit spiegelt

Von Thomas Migge |
Von Idealisierung bis Gesellschaftskritik reichen die Bilder der italienischen Künstler, die die Arbeit abbilden. Sie zeigen idyllische Szenen von Bauern bei der Landarbeit oder aber den harten Existenzkampf. Die Ausstellung "Arte e lavoro '800/'900" ist in Pontedera bei Pisa im Museum des zum FIAT-Konzern gehörenden Unternehmens Piaggio zu sehen.
Ein Land ohne wichtige Industrien. Ein Land, das nur aus Kleinstaaten bestand, die sich gegenseitig mit hohen Zöllen belegt hatten. Erste Fabriken waren im Norden entstanden, der Süden aber war benachteiligt, es herrschten Armut und Unterentwicklung. Italien präsentierte sich 1861, im Jahr der Entstehung des Nationalstaates, als ein Entwicklungsland, das in Europa vor allem wegen seines kunsthistorischen Erbes berühmt und angesehen war und bereist wurde. Der Kunsthistoriker Tommaso Fanfani wählte das Jahr 1861 als Ausgangspunkt für die von ihm organisierte Ausstellung "Kunst und Arbeit im 19. und 20. Jahrhundert":

"Unser Ziel ist es, die Arbeit innerhalb der künstlerischen Entwicklung Italiens seit der Staatsgründung vorzustellen. Arbeit verstanden als dynamischer Prozess, als ein Vorgang, der sich vom 19. zum 20. Jahrhundert wesentlich veränderte und damit auch das Land veränderte. Dargestellt werden alle Bereiche der Arbeit, von der Landwirtschaft bis zum Handel."

Ähnlich wie im Deutschen Reich, das auch erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstand, setzte der Einigungsprozess in Italien vor allem in der Wirtschaft eine ungeheure Dynamik frei. Zollgrenzen fielen und in nur wenigen Jahrzehnten machte das Land enorme ökonomische Sprünge, entstanden riesige Fabrikkomplexe, Stahlwerke und später auch die größten Produktionsstätten für Autos in Europa, das Unternehmen FIAT in Turin. Die Ausstellung in Pontedera, bei Pisa, im Museumdes zum FIAT-Konzern gehörenden Unternehmens Piaggio, zeigt anhand chronologisch konzipierter Sektionen den Einfluss, den die Arbeit im weitesten Sinne auf das Schaffen italienischer Künstler hatte.

Tommaso Fanfani: "Wir behandeln auch die sozialen Konflikte und gewerkschaftlichen Kämpfe, die der Wirtschaftsboom provozierte. Das Sujet der Arbeit und des Arbeitens wurde von italienischen Künstlern immer wieder auch als Thema der Sozialkritik genutzt. Vor allem in der Zeit vor dem Faschismus. Unsere Künstler waren, so will ich es nennen, Antennen der sozialpolitischen Entwicklung."

Wie zum Beispiel Ardengo Soffici, der um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert lebte. Soffici stellt auf seinen Ölgemälden das harte Leben der Bauern in der Toskana dar. Bauern, die damals noch in einer Art reduzierter Leibeigenschaft lebten. Seine Gemälde sind keine hübschen Landschaftsbilder mit arbeitenden Bauern, sondern zeigen unverblümt den Existenzkampf.

Gleichzeit wurden das Landleben und die Landarbeit idealisiert. Telemaco Signorini und Giovanni Fattori zeigen die Arbeit der Menschen auf dem Land in idyllischen Szenen, die bei der Großbourgeoisie in den Großstädten beliebt waren. Gesellschaftskritik und Idealisierung, die Darstellung des Überlebenskampfes in der Landwirtschaft und der Ausbeutung in den Fabriken einerseits und die Ästhetisierung des Landlebens und der damit verbundenen Arbeitsprozesse andererseits: Das waren bis 1922, bis Benito Mussolini die Macht übernahm, die beiden wichtigsten Trends in der künstlerischen Umsetzung des Themas Arbeit.

Mit dem Aufkommen des Faschismus fiel der gesellschaftskritische Aspekt des Sujets Arbeit in der Kunst weg, meint Ausstellungskurator Tommaso Fanfani:

"Mit dem Faschismus kam es zu einem neuen Denken. Das Thema Arbeit wurde deutlich hervorgehoben, dramatisiert, denn der faschistische Mensch sollte ein Arbeiter der Nation sein. Das Sujet Arbeit wurde zum Synonym für andere Dinge, zum Beispiel für die Kraft, den Willen, die Entscheidungsfreude."

Die Ausstellung macht deutlich, wie die Ideen der Künstlergruppe der Futuristen - die Anfang des 20. Jahrhunderts den totalen Bruch mit den traditionellen Kunstformen propagierten - die Darstellung der Arbeit beeinflussten. Futuristische Maler wie Depero, Carrà und Balla bevorzugten die Darstellung moderner und technologischer Arbeitsprozesse, die Schnelligkeit und Kraft zum Ausdruck bringen sollten. Arbeit, das war für diese faschistischen Maler der Motor des Lebens und der Zukunft. Der Mensch verschwand auf ihren Bildern oder verschmolz mit den Maschinen. Mit dem Ende des faschistischen Regimes endete auch diese Ideologisierung der künstlerischen Darstellung der Arbeit und des arbeitenden Menschen.

Fortan nahmen sich nur noch wenige italienische Künstler dieses Sujets an.

Vor allem waren es Fotografen und Filmemacher, die in den Nachkriegsjahren und mit den Mitteln des so genannten Neorealismus das Leben der Arbeiter in den Fabrikstädten und auf den Feldern darstellten. Berühmt wurden zum Beispiel die sozialkritischen Spielfilme "Bitterer Reis" von Giuseppe De Santis aus dem Jahr 1949 oder auch der 1960 von Luchino Visconti gedrehte Film "Rocco und seine Brüder". Die bildenden Künste hingegen interessierten sich nicht mehr für das Thema Arbeit. Wohl aber für Arbeitsmaterialien. So nutzten Alberto Burri und später auch Jannis Kounellis Arbeitsmaterialien für ihre Werke: Sackleinen, Kohle, Stahl, Holz etc. Der Arbeiter aber und seine Lebensumstände wurden von Italiens Künstlern nach den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts nicht mehr thematisiert.