Wie die Liebe die Welt in Unordnung versetzt
Die adlige Autorin Marie-Madeleine de La Fayette schuf mit diesem Buch den ersten psychologischen Roman der Literaturgeschichte. Und noch immer hat das Schicksal der schönen "Prinzessin von Clèves", die sich trotz Ehemann in einen anderen verliebt, Relevanz.
1678 erschien in Frankreich ein anonymer Roman aus der Feder der Adeligen Marie-Madeleine de La Fayette, dessen Handlung am Hofe des französischen Königs Heinrich II. Mitte des 16. Jahrhunderts angesiedelt ist: "Die Prinzessin von Clèves". Der Titel wurde ein Bestseller und gilt heute als Klassiker nicht nur der französischen, sondern der europäischen Literatur. Er wurde mehrfach verfilmt. Als sich Frankreichs derzeitiger Präsident Nicolas Sarkozy vor einigen Jahren darüber lustig machte, dass bei Aufnahmeprüfungen für den Beamtendienst in Frankreich die Bewerber nach der "Prinzessin von Clèves" gefragt werden, war die Empörung groß und französische Intellektuelle protestierten überall im Land mit Lesungen des Romans gegen den Präsidenten und seine Bildungspolitik.
Die junge Mademoiselle de Chartres, spätere Prinzessin von Clèves, kommt im Alter von 16 Jahren mit ihrer Mutter an den Hof des französischen Königs. Körperlich und charakterlich von außergewöhnlicher Schönheit, dazu reich und wohlerzogen, sorgt sie, ohne sich dessen bewusst zu sein, für Aufsehen und allgemeine Bewunderung. An heiratswilligen Bewerbern mangelt es nicht.
Doch Madame de Chartres, die Mutter, ist lebensklug. Sie will ihr Kleinod nicht unter Preis hergeben, erlebt aber, wie Intrigen und Standespolitik akzeptable Kandidaten ausschalten. Das Rennen um die Hand der Mademoiselle macht nach Überwindung einiger Schwierigkeiten der Prinz von Clèves, dessen Liebe als grundehrlich und tief empfunden dargestellt wird. Und den - für die Mutter beruhigend - ihre Tochter sympathisch findet, jedoch nicht liebt.
So bleibt der Mutter, darauf weist Alexander Kluge in einem äußerst luziden Nachwort des Romans hin, die Position als Beraterin, der Einfluss auf das Leben der Tochter auch nach deren Verheiratung erhalten. Nach dem Tod der Mutter jedoch ereilt die Prinzessin bei der Begegnung mit dem Herzog von Nemours die Liebe als Passion, eine Überraschung, die sie selbst in höchstes Erstaunen versetzt. Und auch dem Herzog ergeht es nicht anders: Gezeichnet als Pendant zur Prinzessin, umschwärmt, edel, heldenhaft, stellt er nach der ersten Begegnung alle Amouren mit anderen Frauen ein, sucht die Nähe der Prinzessin und leidet, wenn er ihr nicht begegnet.
Der Skandal des Buches bestand darin, dass die Prinzessin angesichts der wachsenden Versuchung, ihrem Mann schließlich gesteht, den Herzog zu lieben - ohne jedoch untreu geworden zu sein und in der festen Absicht, den Herzog nicht wiederzusehen. Der Prinz von Clèves stirbt an dem Geständnis, doch statt sich nun mit dem Herzog von Nemours zu verbinden - was der gesamte Hof begrüßen würde - geht die Prinzessin von Clèves ins Kloster. Was paradox erscheint, ist folgerichtig: Nur dort kann sie ihre Liebe bewahren, in der Ehe, so mutmaßt sie, würde sich diese nur abnutzen. Für eine 18-Jährige eine beachtenswerte Erkenntnis.
Doch nicht die überraschende Entsagung am Ende, auch nicht die literaturhistorische Bedeutung als erster psychologischer Roman - der auf weitaus bekanntere Nachfolgewerke wie "Manon Lescaut" des Abbé Prévost und die "Gefährlichen Liebschaften" Cloderos de Laclos' einwirkte - macht La Fayettes "Prinzessin von Clèves" heute noch lesenswert.
Wie die Liebe die Welt in Unordnung versetzt, das ist hier ganz großartig beschrieben. Und wie sich die Betroffenen gegen ihre Gefühle wehren, wie sie haarscharf immer an der Erfüllung vorbei schrammen, wie sie Spielbälle auch der Leidenschaften anderer sind. Mustergültig zeigt der Roman das nervenkitzelnde und kraftraubende Unterfangen, ein offenes Geheimnis zu wahren. Und faszinierend ist er auch als Dokument einer schreibenden Frau, als Respekt gebietende gut 300-seitige Vorstellung einer selbstbewussten Autorin. Die ständig neue Macht und ewig gleichbleibende Mechanik menschlicher Liebe durchschaut sie - und vermag sie zeitlos auch literarisch zu gestalten.
Besprochen von Carsten Hueck
Madame de La Fayette: Die Prinzessin von Clèves
Aus dem Französischen übersetzt von Ferdinand Hardekopf
Nachwort von Alexander Kluge
Manesse Verlag, Zug 2011
363 Seiten, 19,95 Euro
Die junge Mademoiselle de Chartres, spätere Prinzessin von Clèves, kommt im Alter von 16 Jahren mit ihrer Mutter an den Hof des französischen Königs. Körperlich und charakterlich von außergewöhnlicher Schönheit, dazu reich und wohlerzogen, sorgt sie, ohne sich dessen bewusst zu sein, für Aufsehen und allgemeine Bewunderung. An heiratswilligen Bewerbern mangelt es nicht.
Doch Madame de Chartres, die Mutter, ist lebensklug. Sie will ihr Kleinod nicht unter Preis hergeben, erlebt aber, wie Intrigen und Standespolitik akzeptable Kandidaten ausschalten. Das Rennen um die Hand der Mademoiselle macht nach Überwindung einiger Schwierigkeiten der Prinz von Clèves, dessen Liebe als grundehrlich und tief empfunden dargestellt wird. Und den - für die Mutter beruhigend - ihre Tochter sympathisch findet, jedoch nicht liebt.
So bleibt der Mutter, darauf weist Alexander Kluge in einem äußerst luziden Nachwort des Romans hin, die Position als Beraterin, der Einfluss auf das Leben der Tochter auch nach deren Verheiratung erhalten. Nach dem Tod der Mutter jedoch ereilt die Prinzessin bei der Begegnung mit dem Herzog von Nemours die Liebe als Passion, eine Überraschung, die sie selbst in höchstes Erstaunen versetzt. Und auch dem Herzog ergeht es nicht anders: Gezeichnet als Pendant zur Prinzessin, umschwärmt, edel, heldenhaft, stellt er nach der ersten Begegnung alle Amouren mit anderen Frauen ein, sucht die Nähe der Prinzessin und leidet, wenn er ihr nicht begegnet.
Der Skandal des Buches bestand darin, dass die Prinzessin angesichts der wachsenden Versuchung, ihrem Mann schließlich gesteht, den Herzog zu lieben - ohne jedoch untreu geworden zu sein und in der festen Absicht, den Herzog nicht wiederzusehen. Der Prinz von Clèves stirbt an dem Geständnis, doch statt sich nun mit dem Herzog von Nemours zu verbinden - was der gesamte Hof begrüßen würde - geht die Prinzessin von Clèves ins Kloster. Was paradox erscheint, ist folgerichtig: Nur dort kann sie ihre Liebe bewahren, in der Ehe, so mutmaßt sie, würde sich diese nur abnutzen. Für eine 18-Jährige eine beachtenswerte Erkenntnis.
Doch nicht die überraschende Entsagung am Ende, auch nicht die literaturhistorische Bedeutung als erster psychologischer Roman - der auf weitaus bekanntere Nachfolgewerke wie "Manon Lescaut" des Abbé Prévost und die "Gefährlichen Liebschaften" Cloderos de Laclos' einwirkte - macht La Fayettes "Prinzessin von Clèves" heute noch lesenswert.
Wie die Liebe die Welt in Unordnung versetzt, das ist hier ganz großartig beschrieben. Und wie sich die Betroffenen gegen ihre Gefühle wehren, wie sie haarscharf immer an der Erfüllung vorbei schrammen, wie sie Spielbälle auch der Leidenschaften anderer sind. Mustergültig zeigt der Roman das nervenkitzelnde und kraftraubende Unterfangen, ein offenes Geheimnis zu wahren. Und faszinierend ist er auch als Dokument einer schreibenden Frau, als Respekt gebietende gut 300-seitige Vorstellung einer selbstbewussten Autorin. Die ständig neue Macht und ewig gleichbleibende Mechanik menschlicher Liebe durchschaut sie - und vermag sie zeitlos auch literarisch zu gestalten.
Besprochen von Carsten Hueck
Madame de La Fayette: Die Prinzessin von Clèves
Aus dem Französischen übersetzt von Ferdinand Hardekopf
Nachwort von Alexander Kluge
Manesse Verlag, Zug 2011
363 Seiten, 19,95 Euro