Wie die Sowjet-Kultur nach Deutschland kam
Im Jahr 1951 berief das SED-Regime eine "Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten der DDR". Ihre Aufgabe war es, die DDR-Kunst an den Dogmen der sowjetischen Kulturpolitik auszurichten.
Als im Januar 1951 die "Tägliche Rundschau", das Organ der Sowjetischen Kontrollkommission, einen Aufsatz mit dem Titel "Wege und Irrwege der modernen Kunst" abdruckte, schrillten bei den Kulturfunktionären der DDR die Alarmglocken. Schließlich hatte den Artikel ein gewisser N. Orlow unterzeichnet, von dem gemutmaßt wurde, dass sich dahinter Wladimir S. Semjonow, der spätere Hohe Kommissar der UdSSR für Deutschland höchstselbst verbarg. Ein halbes Jahr und eine Plenartagung des ZK der SED später wurde die "Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten der DDR" gegründet, die als "Stakuko" traurige Berühmtheit erlangen sollte.
Was hatte der sowjetische Genosse ihr als Hauptaufgabe mit auf dem Weg gegeben?
Alles in allem lief Orlows Leitgedanke darauf hinaus, die Kulturpolitik in der DDR an den herrschenden Dogmen der sowjetischen Kulturpolitik und Ästhetik bzw. am Vorbild der sowjetischen Kunst und Literatur auszurichten. Zum einen hieß das, die Kunst direkt und umfassend in den Dienst der staatstragenden Partei zu stellen, sie auf deren Weltanschauung und Wertvorstellungen zu verpflichten, und zum anderen, die Künste einem starren eingeengten Kanon, einem ästhetischen Regelwerk und dessen Realismus-Kriterien zu unterwerfen.
Dieses Regelwerk war seit den 30er-Jahren bekannt, als Stalin und Shdanow den "Sozialistischen Realismus" als Gegenentwurf zum dekadenten "Formalismus" und "Kosmopolitismus" propagierten, worunter man alles summierte, was den Sowjetgenossen verdächtig oder schlicht unverständlich war. Dass man gerade auch in Sachen der Kultur mit harten Bandagen zu kämpfen hatte, wussten ihre deutschen Vasallen, die ja häufig die Erfahrungen des sowjetischen Exils hinter sich hatten, und gingen entsprechend energisch zu Werke. Zum Vorsitzenden der Kommission wurde der sächsische Volksbildungsminister Helmuth Holtzhauer berufen, in dessen Fragebogen unter "selbst verfasste wissenschaftliche Arbeiten" zwar der Eintrag "keine" auftaucht, der sich aber als linientreuer Funktionär und versierter Organisator empfohlen hatte.
Und zu organisieren gab es mehr als genug. So einförmig sich nämlich die Genossen die Kulturlandschaft vorstellten, so vielfältig waren die Institutionen, die sie zu gestalten und überwachen hatten. Da gab es die über allem thronende Abteilung des ZK, die neu gegründete Akademie der Künste, den Kulturbund, die Berufsverbände, das "Amt für Literatur", die Staatlichen Rundfunk- und Filmkommissionen, die Institutionen der Länder und, nach deren Auflösung, die der Bezirke und Kreise. Aus diesem Apparat wurden rund 200 Mitarbeiter abgezogen und Holtzhauer zur Verfügung gestellt, damit sie ihm beim Kampf um die Durchsetzung der Parteilinie in den Sektionen Darstellende Kunst und Musik, Bildende Kunst, Nachwuchsfragen und Lehranstalten, sowie Laienkunst unterstützten, während die Bereiche Literatur, Film- und Rundfunkwesen nach wie vor separat verwaltet wurden.
Die Autoren des Bandes haben akribisch die Klein- und Großkriege, Intrigen und gegenseitigen Denunziationen nachgezeichnet, die die knapp dreijährige Existenz der Stakuko charakterisierten. Sie reichten vom Kampf gegen den übermäßigen Einsatz der Schlagzeuge in Paul Dessaus "Die Verurteilung des Lukullus" über die Kontrolle der Theaterspielpläne und Gleichschaltung der Kunsthochschulen bis zur Kampagne um die Gestaltung der III. Deutschen Kunstausstellung in Dresden 1953, dessen Ton Otto Grotewohl vorgegeben hatte:
Eine Kunst, die nicht die befreite Arbeit, die nicht den schöpferischen Menschen, diesen wahren Prometheus der menschlichen Kultur, seine Sehnsüchte und Leiden, seine Kämpfe und Siege in den Mittelpunkt ihrer gesamten Anschauung rückt, ist weltfremd und ohne Existenzberechtigung.
Besonders erhellend ist das Kapitel über die Auseinandersetzung der Kulturfunktionäre mit Bertolt Brecht, weil es nicht nur die Arbeit der Stakuko mit all ihren Konferenzen, Rundschreiben und Beschlussfassungen beleuchtet, sondern auch die Reaktion eines Künstlers, der ihnen ausgesetzt war. Anders als viele seiner Kollegen, die, da "ohne Existenzberechtigung", in diesen Jahren den Exodus der ostdeutschen Künstlerschaft in den Westen eröffneten, wollte Brecht nicht auf die Privilegien verzichten, die die DDR zu bieten hatte. In seinem Fall hieß das, in einem eigenen Theater seine Vorstellungen von Kunst und Gesellschaft realisieren zu können. Als diese mit der zur Herrschaft gelangten "Stanislawski-Methode" kollidierten, die das genaue, nämlich auf Einfühlung und Identifizierung beruhende Gegenteil seiner eigenen war, gab er seinen Kritikern eine dialektische Lehrstunde, indem er nachwies, dass sich beide Methoden durchaus miteinander vereinbaren lassen.
Die Entscheidung wurde vertagt, weil plötzlich wichtigeres auf dem Programm stand: der Arbeiteraufstand des 17. Juni und seine Folgen. Wiederum angestoßen durch die sowjetischen Besatzer, sollte eine gemäßigtere Sozial- und Kulturpolitik die Lage entspannen. Brecht, der sich wie die meisten seiner Kollegen aus Akademie und Kulturbund während der Unruhe hinter die Parteiführung gestellt hatte, nutzte die Gelegenheit, um der zum Sündenbock erklärten Kulturkommission im 'Neuen Deutschland' einen Nachruf zu widmen, der ihren missglückten Versuch der Selbstkritik aufs Korn nimmt:
Trotz eifrigen Nachdenkens
Konnten sie sich nicht bestimmter Fehler erinnern, jedoch
Bestanden sie heftig darauf
Fehler gemacht zu haben - wie es der Brauch ist.
Zwei Monate und eine Plenartagung des ZK der SED später gab es keine Staatliche Kunstkommission mehr. Mit der "Holtzhauerei" war es vorbei, und ein Mann vom Fach, Johannes R. Becher, übernahm die Leitung des neu gebildeten "Ministeriums für Kultur", um den gleichen sauren Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen.
Jochen Staadt: 'Die Eroberung der Kultur beginnt!' Die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten der DDR (1951-1953) und die Kulturpolitik der SED
Verlag Peter Lang, Frankfurt/2010
Was hatte der sowjetische Genosse ihr als Hauptaufgabe mit auf dem Weg gegeben?
Alles in allem lief Orlows Leitgedanke darauf hinaus, die Kulturpolitik in der DDR an den herrschenden Dogmen der sowjetischen Kulturpolitik und Ästhetik bzw. am Vorbild der sowjetischen Kunst und Literatur auszurichten. Zum einen hieß das, die Kunst direkt und umfassend in den Dienst der staatstragenden Partei zu stellen, sie auf deren Weltanschauung und Wertvorstellungen zu verpflichten, und zum anderen, die Künste einem starren eingeengten Kanon, einem ästhetischen Regelwerk und dessen Realismus-Kriterien zu unterwerfen.
Dieses Regelwerk war seit den 30er-Jahren bekannt, als Stalin und Shdanow den "Sozialistischen Realismus" als Gegenentwurf zum dekadenten "Formalismus" und "Kosmopolitismus" propagierten, worunter man alles summierte, was den Sowjetgenossen verdächtig oder schlicht unverständlich war. Dass man gerade auch in Sachen der Kultur mit harten Bandagen zu kämpfen hatte, wussten ihre deutschen Vasallen, die ja häufig die Erfahrungen des sowjetischen Exils hinter sich hatten, und gingen entsprechend energisch zu Werke. Zum Vorsitzenden der Kommission wurde der sächsische Volksbildungsminister Helmuth Holtzhauer berufen, in dessen Fragebogen unter "selbst verfasste wissenschaftliche Arbeiten" zwar der Eintrag "keine" auftaucht, der sich aber als linientreuer Funktionär und versierter Organisator empfohlen hatte.
Und zu organisieren gab es mehr als genug. So einförmig sich nämlich die Genossen die Kulturlandschaft vorstellten, so vielfältig waren die Institutionen, die sie zu gestalten und überwachen hatten. Da gab es die über allem thronende Abteilung des ZK, die neu gegründete Akademie der Künste, den Kulturbund, die Berufsverbände, das "Amt für Literatur", die Staatlichen Rundfunk- und Filmkommissionen, die Institutionen der Länder und, nach deren Auflösung, die der Bezirke und Kreise. Aus diesem Apparat wurden rund 200 Mitarbeiter abgezogen und Holtzhauer zur Verfügung gestellt, damit sie ihm beim Kampf um die Durchsetzung der Parteilinie in den Sektionen Darstellende Kunst und Musik, Bildende Kunst, Nachwuchsfragen und Lehranstalten, sowie Laienkunst unterstützten, während die Bereiche Literatur, Film- und Rundfunkwesen nach wie vor separat verwaltet wurden.
Die Autoren des Bandes haben akribisch die Klein- und Großkriege, Intrigen und gegenseitigen Denunziationen nachgezeichnet, die die knapp dreijährige Existenz der Stakuko charakterisierten. Sie reichten vom Kampf gegen den übermäßigen Einsatz der Schlagzeuge in Paul Dessaus "Die Verurteilung des Lukullus" über die Kontrolle der Theaterspielpläne und Gleichschaltung der Kunsthochschulen bis zur Kampagne um die Gestaltung der III. Deutschen Kunstausstellung in Dresden 1953, dessen Ton Otto Grotewohl vorgegeben hatte:
Eine Kunst, die nicht die befreite Arbeit, die nicht den schöpferischen Menschen, diesen wahren Prometheus der menschlichen Kultur, seine Sehnsüchte und Leiden, seine Kämpfe und Siege in den Mittelpunkt ihrer gesamten Anschauung rückt, ist weltfremd und ohne Existenzberechtigung.
Besonders erhellend ist das Kapitel über die Auseinandersetzung der Kulturfunktionäre mit Bertolt Brecht, weil es nicht nur die Arbeit der Stakuko mit all ihren Konferenzen, Rundschreiben und Beschlussfassungen beleuchtet, sondern auch die Reaktion eines Künstlers, der ihnen ausgesetzt war. Anders als viele seiner Kollegen, die, da "ohne Existenzberechtigung", in diesen Jahren den Exodus der ostdeutschen Künstlerschaft in den Westen eröffneten, wollte Brecht nicht auf die Privilegien verzichten, die die DDR zu bieten hatte. In seinem Fall hieß das, in einem eigenen Theater seine Vorstellungen von Kunst und Gesellschaft realisieren zu können. Als diese mit der zur Herrschaft gelangten "Stanislawski-Methode" kollidierten, die das genaue, nämlich auf Einfühlung und Identifizierung beruhende Gegenteil seiner eigenen war, gab er seinen Kritikern eine dialektische Lehrstunde, indem er nachwies, dass sich beide Methoden durchaus miteinander vereinbaren lassen.
Die Entscheidung wurde vertagt, weil plötzlich wichtigeres auf dem Programm stand: der Arbeiteraufstand des 17. Juni und seine Folgen. Wiederum angestoßen durch die sowjetischen Besatzer, sollte eine gemäßigtere Sozial- und Kulturpolitik die Lage entspannen. Brecht, der sich wie die meisten seiner Kollegen aus Akademie und Kulturbund während der Unruhe hinter die Parteiführung gestellt hatte, nutzte die Gelegenheit, um der zum Sündenbock erklärten Kulturkommission im 'Neuen Deutschland' einen Nachruf zu widmen, der ihren missglückten Versuch der Selbstkritik aufs Korn nimmt:
Trotz eifrigen Nachdenkens
Konnten sie sich nicht bestimmter Fehler erinnern, jedoch
Bestanden sie heftig darauf
Fehler gemacht zu haben - wie es der Brauch ist.
Zwei Monate und eine Plenartagung des ZK der SED später gab es keine Staatliche Kunstkommission mehr. Mit der "Holtzhauerei" war es vorbei, und ein Mann vom Fach, Johannes R. Becher, übernahm die Leitung des neu gebildeten "Ministeriums für Kultur", um den gleichen sauren Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen.
Jochen Staadt: 'Die Eroberung der Kultur beginnt!' Die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten der DDR (1951-1953) und die Kulturpolitik der SED
Verlag Peter Lang, Frankfurt/2010