Wie die Spiegel-Affäre das Land veränderte
Vor rund 50 Jahren durchsuchte die Polizei die Redaktion des "Spiegel" und nahm Mitarbeiter fest. Der Vorwurf: Landesverrat. Kürzlich lud der Verlag zu einer Konferenz ein, um die Folgen des Skandals zu erörtern. Aus dem Material haben Marin Doerry und Hauke Janssen einen Sammelband erstellt.
Die meisten Redakteure des "Spiegel" hatten die Titelgeschichte gar nicht gelesen. Was Conrad Ahlers als Autor am Montag, den 8. Oktober 1962 berichtete, schien allein für Militärexperten interessant zu sein, warum nämlich die Bundeswehr beim Nato-Herbstmanöver "Fallex" lediglich die Note "bedingt abwehrbereit" erhalten hatte.
Doch gerade das erwies sich als brisant. Denn der Artikel stellte die Leitungsebene des Bundesverteidigungsministeriums unter Franz-Josef Strauß bloß - und das vor aller Welt, wie der Marburger Historiker Eckhart Conze feststellt:
"Die Botschaft war eindeutig: Das Nuklearisierungskonzept der Bundeswehr, für das Strauß seit 1956 stand, würde das ihm zugrunde liegende Ziel nicht erreichen, es war damit gescheitert."
Der CSU-Minister warb für Atomwaffen, ja sogar für einen präventiven Erstschlag im Ernstfall. Beides war unter Offizieren wie in der Öffentlichkeit heftig umstritten – auch im nordatlantischen Bündnis, seit die Kennedy-Administration sich für konventionelle Verteidigung unter dem Schirm nuklearer Abschreckung entschieden hatte.
Strauß misstraute den Amerikanern - und Washington ihm. Im Hintergrund standen Freunde einer atlantischen Achse gegen jene einer deutsch-französischen. Und dann beschreibt das Hamburger Nachrichtenmagazin - mitten in der Kuba-Krise - auch noch die Bonner Politik als wenig verlässlichen Bündnispartner, ja bestätigt die Furcht, würde Deutschland Schlachtfeld, wäre es gar nicht zu verteidigen.
Außen- wie innenpolitisch war das gesellschaftliche Klima aufgeladen, erläutert der Hamburger Forscher Axel Schildt:
"Aus rechtskonservativer Ecke wurden in den frühen 1960er-Jahren noch kritische Intellektuelle notorisch als Kommunisten denunziert. Liberale Intellektuelle sahen sich von Mächten der Finsternis bedroht, die noch dazu mit der NS-Vergangenheit verbunden schienen."
Die Chefredaktion wusste um die Brisanz ihrer Titelgeschichte. Jahrelang hatte sich Rudolf Augstein eine Fehde mit der Regierung Konrad Adenauers und vor allem mit Franz Josef Strauß geleistet. Mehr noch in einem Artikel über Militärisches durfte sie nur Informationen verwenden, die bereits irgendwie bekannt waren.
Doch gerade das erwies sich als brisant. Denn der Artikel stellte die Leitungsebene des Bundesverteidigungsministeriums unter Franz-Josef Strauß bloß - und das vor aller Welt, wie der Marburger Historiker Eckhart Conze feststellt:
"Die Botschaft war eindeutig: Das Nuklearisierungskonzept der Bundeswehr, für das Strauß seit 1956 stand, würde das ihm zugrunde liegende Ziel nicht erreichen, es war damit gescheitert."
Der CSU-Minister warb für Atomwaffen, ja sogar für einen präventiven Erstschlag im Ernstfall. Beides war unter Offizieren wie in der Öffentlichkeit heftig umstritten – auch im nordatlantischen Bündnis, seit die Kennedy-Administration sich für konventionelle Verteidigung unter dem Schirm nuklearer Abschreckung entschieden hatte.
Strauß misstraute den Amerikanern - und Washington ihm. Im Hintergrund standen Freunde einer atlantischen Achse gegen jene einer deutsch-französischen. Und dann beschreibt das Hamburger Nachrichtenmagazin - mitten in der Kuba-Krise - auch noch die Bonner Politik als wenig verlässlichen Bündnispartner, ja bestätigt die Furcht, würde Deutschland Schlachtfeld, wäre es gar nicht zu verteidigen.
Außen- wie innenpolitisch war das gesellschaftliche Klima aufgeladen, erläutert der Hamburger Forscher Axel Schildt:
"Aus rechtskonservativer Ecke wurden in den frühen 1960er-Jahren noch kritische Intellektuelle notorisch als Kommunisten denunziert. Liberale Intellektuelle sahen sich von Mächten der Finsternis bedroht, die noch dazu mit der NS-Vergangenheit verbunden schienen."
Die Chefredaktion wusste um die Brisanz ihrer Titelgeschichte. Jahrelang hatte sich Rudolf Augstein eine Fehde mit der Regierung Konrad Adenauers und vor allem mit Franz Josef Strauß geleistet. Mehr noch in einem Artikel über Militärisches durfte sie nur Informationen verwenden, die bereits irgendwie bekannt waren.
Vier Wochen lang war die Spiegel-Redaktion besetzt
Gestützt auf ein Gutachten des Verteidigungsministeriums ermittelte denn auch die Bundesanwaltschaft und hielt vier Wochen die Redaktion besetzt, um die Tatvorwürfe zu prüfen. Der Bundesgerichtshof erkannte jedoch darin keinen publizistischen Landesverrat und das Bundesverfassungsgericht gab der Pressefreiheit zumindest so viel Gewicht, dass sie mit staatlichem Interesse an Geheimhaltung rechtlich konkurrieren kann.
Dies zu bewerten, überlässt der Journalist Peter Merseburger, dem prominenten Anwalt des Spiegel-Verlages.
"Erst seither, meint Horst Ehmke, sei es in der Bundesrepublik möglich, 'ungefährdet eine offene sicherheitspolitische Debatte zu führen'".
Es stand damals viel auf dem Spiel: das Wochenmagazin hätte ruiniert und seine Chefs verurteilt werden können. Stattdessen hatte das Blatt nun erst recht wirtschaftlichen Erfolg, so wie Franz Josef Strauß politischen - trotz seines Rücktritts - und wie viele andere Beteiligte später dann beruflichen.
Die Regierenden aber begannen zu lernen, kritische Öffentlichkeit zu akzeptieren und obrigkeitsstaatliches Denken zu hinterfragen.
"Die mobilisierende Kraft der 'Spiegel-Affäre' beflügelte den Umbau der postnationalsozialistischen Volksgemeinschaft in die Gesellschaft der Bundesrepublik."
… so der Jenaer Zeitgeschichtler Norbert Frei. Natürlich nahmen die Wissenschaftler, höflich wie Gäste nun mal sind, dem "Spiegel" nicht den Mythos des Skandals und seiner Folgen, mahnten gleichwohl es nicht zu übertreiben.
Dies zu bewerten, überlässt der Journalist Peter Merseburger, dem prominenten Anwalt des Spiegel-Verlages.
"Erst seither, meint Horst Ehmke, sei es in der Bundesrepublik möglich, 'ungefährdet eine offene sicherheitspolitische Debatte zu führen'".
Es stand damals viel auf dem Spiel: das Wochenmagazin hätte ruiniert und seine Chefs verurteilt werden können. Stattdessen hatte das Blatt nun erst recht wirtschaftlichen Erfolg, so wie Franz Josef Strauß politischen - trotz seines Rücktritts - und wie viele andere Beteiligte später dann beruflichen.
Die Regierenden aber begannen zu lernen, kritische Öffentlichkeit zu akzeptieren und obrigkeitsstaatliches Denken zu hinterfragen.
"Die mobilisierende Kraft der 'Spiegel-Affäre' beflügelte den Umbau der postnationalsozialistischen Volksgemeinschaft in die Gesellschaft der Bundesrepublik."
… so der Jenaer Zeitgeschichtler Norbert Frei. Natürlich nahmen die Wissenschaftler, höflich wie Gäste nun mal sind, dem "Spiegel" nicht den Mythos des Skandals und seiner Folgen, mahnten gleichwohl es nicht zu übertreiben.
Auswirkungen der Spiegel-Affäre
Westdeutschland befand sich ja schon im Wandel: Nach dem Ringen um das Soziale in der Marktwirtschaft und nach dem Streit um Atomwaffen ging die Ära Adenauer bereits zu Ende. Der Schreck über den Kalten Krieg begann vorsichtig Entspannung hervorzubringen.
Auch sei nicht etwa der linksliberale Protest mit dem Ruf nach Pressefreiheit ausschlaggebend gewesen, sondern der aufgestaute Ärger über Fehler der schwarz-gelben Bundesregierung: In der Spiegel-Affäre habe sich das gesamte Parlament hintergangen und der Koalitionspartner FDP düpiert gefühlt, erinnert der Historiker Frank Bösch aus Potsdam.
"Diese Empörung im eigenen Lager ist bei den meisten Skandalen das entscheidende Moment."
Und dies ist nicht die einzige Schlussfolgerung der Konferenz des Hamburger "Spiegel" im letzten Herbst, die es lohnt nachzulesen – und nicht nur für den, der die Ereignisse einst miterlebt hat. Die Titelgeschichte wäre vielleicht weitgehend unbeachtet geblieben, hätten Politiker und Staatsanwälte es gehalten wie die Redakteure.
Nur - verändert hätte sich das Land sowieso.
Auch sei nicht etwa der linksliberale Protest mit dem Ruf nach Pressefreiheit ausschlaggebend gewesen, sondern der aufgestaute Ärger über Fehler der schwarz-gelben Bundesregierung: In der Spiegel-Affäre habe sich das gesamte Parlament hintergangen und der Koalitionspartner FDP düpiert gefühlt, erinnert der Historiker Frank Bösch aus Potsdam.
"Diese Empörung im eigenen Lager ist bei den meisten Skandalen das entscheidende Moment."
Und dies ist nicht die einzige Schlussfolgerung der Konferenz des Hamburger "Spiegel" im letzten Herbst, die es lohnt nachzulesen – und nicht nur für den, der die Ereignisse einst miterlebt hat. Die Titelgeschichte wäre vielleicht weitgehend unbeachtet geblieben, hätten Politiker und Staatsanwälte es gehalten wie die Redakteure.
Nur - verändert hätte sich das Land sowieso.
Martin Doerry, Hauke Janssen (Hg.): Die Spiegel-Affäre. Ein Skandal und seine Folgen. Ein Spiegel-Buch
DVA Deutsche Verlagsanstalt, München 2013
464Seiten, 29,99 Euro
DVA Deutsche Verlagsanstalt, München 2013
464Seiten, 29,99 Euro
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