Wie ein Autor eine Region wiederbelebte

Die Eifel - Deutschlands Krimi-Landschaft Nr. 1

Über Nebelschwaden geht die Sonne am Montagmorgen (23.07.2007) über Üxheim in der Vulkaneifel an der Landesgrenze von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz auf.
Über Nebelschwaden geht die Sonne am Montagmorgen (23.07.2007) über Üxheim in der Vulkaneifel an der Landesgrenze von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz auf. © picture alliance / dpa / Gero Breloer
Von Sabine Fringes |
In der Eifel waren viele Menschen depressiv und gelangweilt: Dann kam Krimiautor Michael Preute, besser bekannt als Jacques Berndorf, und gab der Region neues Selbstbewusstsein. Er schreibt Bücher über Land und Leute und hat die Eifel weltbekannt gemacht.
Jacques Berndorf: "Ich habe mal einige Szenen in einem Steinbruch spielen lassen und das habe ich soweit getrieben, dass ich beschrieben habe, man kann auf dem und den Weg dahinkommen - und dann sammelten sich da in der sehr menschenfernen Umgebung sehr viele Leute an und ich hatte das was ich wollte, weil ich gesagt habe: Hier leben Glockenunken."

Autorin: "Wer? Glockenunken!"

Berndorf: "Ja, das ist Teil meiner Arbeit – also Pflanzen zu beschreiben, oder halt Tiere wie die Glockenunken, die haben so kleine Gänge gegraben und hören sich tatsächlich so an wie Glocken, ein bisschen. Und im Juli verkriechen sich die Tiere in diese Hänge da und stoßen ununterbrochen merkwürdige Laute aus. Und Leute, die keine Ahnung davon haben, das kann dann schon passieren, dass die erschreckt zusammenfahren und denken: Zum Teufel, was ist das! Vor allem, weil sie nichts sehen. Denn diese Tiere sitzen in so Röhren. Und sie sind halt – schrecklich harmlos. Halt Glockenunken!"


Ein schlichtes Bauernhaus an einer Durchfahrtsstraße nach Hillesheim mitten in der
Vulkaneifel. Wir sind zu Besuch bei Jacques Berndorf, einem groß gewachsenen Mann Mitte 70. Feines seidenweißes Haar bedeckt Kopf, Kinn und Wangen, unter zusammengezogenen Brauen leuchten meerblaue Augen. Es ist ein kühler, aber klarer Montagmorgen. Berndorf macht in der Küche Kaffee. Der Kühlschrank summt. Als ihn Mitte der 80er Jahre ein Reportageauftrag von München in die Eifel führte, schrieb der ehemalige Journalist noch unter seinem bürgerlichen Namen Michael Preute.

"Wie soll ich Sie nennen, Jacques Berndorf oder Michael Preute?"

"Das ist mir eigentlich wurscht. Sprechen Sie mich einfach mit Berndorf an, diesen Namen kennt jeder. Und ich leide auch nicht unter der Schizophrenie mit dem anderem Namen nicht klarzukommen. Du lieber Gott, da fällt mir ein, wir haben ja Kaffee!"

Nichts deutet auf den großen Erfolg von Berndorfs Eifelkrimis hin, die sich inzwischen millionenfach verkauft haben. Aber vieles auf Siggi Baumeister, der Hauptfigur der Berndorf-Krimis. Wie Baumeister auch so liebt Jacques Berndorf seinen Garten, seine zwei Katzen und seine Pfeife. Und auch bei ihm wird viel Kaffee getrunken.
Krimiautor Jacques Berndorf alias Michael Preute blättert am 30.09.2016 in seinem Haus in Dreis-Brück (Rheinland-Pfalz) im neuesten Buch. Der "Eifel Krimi-Guru", der in 30 Jahren mehr als fünf Millionen Bücher zum Thema Mord und Totschlag verkauft hat, wird am 22. Oktober 80 Jahre alt. 
Krimiautor Jacques Berndorf alias Michael Preute blättert am 30.09.2016 in seinem Haus in Dreis-Brück (Rheinland-Pfalz) im neuesten Buch.© picture alliance / dpa / Harald Tittel



Bevor Berndorf Ende der 80er Jahre anfing Krimis zu schreiben, arbeitete er als Journalist für den "Spiegel" und den "Stern", die "Quick" und die "Burda", schrieb über Morde, politischen Filz und Kriege. Als Nachrichtenreporter bereiste er Krisengebiete in Israel, Beirut und Vietnam.

"Mein Gang in die Eifel von München aus war ja auch Flucht. Aber was ich anfangs oder ganz schnell auch nicht kapieren konnte, war, dass diese Landschaft mein Zuhause war. Also, ich habe es geschafft, um es ganz einfach zu sagen."

Die Idee zum Eifelkrimi

Im Auto

"Können wir anlassen? – Ja!"

"Niemand soll mich fragen, ob der Mörder das wusste. Tatsache war, dass er an der Strecke aus dem Ahrtal hoch nach Hillesheim, von Adorf nach Ahütte auf uns wartete und er wartete teuflischerweise präzise an dem Punkt, an dem nach rechts ein traumhaft schöner Weg in das Unkental abzweigt."

"Ja, also ich fahre jetzt mit euch zu einem Steinbruch, in dem die Idee der Eifelkrimis geboren wurde, wobei man das sehr vorsichtig ausdrücken muss, denn ich hatte nicht die geringste Idee, dass sich das so ausweiten würde und ich hauptberuflich für Krimi zuständig sein würde. Das war undenkbar. Als ich kam, 1984, war die Eifel depressiv. Aber das habe ich Anfangs nicht verstanden, da saßen in vielen Küchen alte Männer mit ihren Frauen und starrten nach draußen. Ich hab’s nicht kapiert. Bis irgendwann ein freundlicher Mensch mich darauf aufmerksam machte, dass diesen Menschen nichts mehr geblieben war.

D.h. sie hatten kein Land mehr zu bearbeiten, sie hatten das Vieh und die Landwirtschaft abgeschafft, sie saßen rum und das einzige was sie noch besaßen war der Trekker und ich kenne Landwirte, die definitiv jeden Tag mit ihrem Trekker auf ihre ehemaligen Felder fuhren und die dann eigentlich nichts mehr zu tun hatten. Es gab nichts mehr. Ehe ich das geschnallt habe, das muss ich ihnen offen sagen, da sind Monate vergangen. Und immer wieder dieses Bild des Eiflers: schweigsam, kleinwüchsig, bösartig, manchmal unhöflich. Bis ich dann merkte, was da los war, d.h. bis mir Leute halfen, bis sie sagten, du musst das verstehen, die können nicht anders. Und das war schon Jesusmaria! Das war schon sehr schlimm."

"Hach, jetzt ist hier gesperrt. Das ist der berühmte Steinbruch hier, da können wir reingehen, da hab ich kein Problem. - Ja."

"Da geht ein Weg quer rüber über Weideland zu einem Waldrand. Alter Buchenbestand. Da müssen Sie durch, da gibt es keinen Weg."

"Also dies ist ein Steinbruch, der als ich ankam, hier, vor 25 Jahren schon alt war. Sieht völlig undramatisch aus, aber da unten ist ein Teich, merkwürdigerweise, da leben immer Glockenunken. Und zu dem Zeitpunkt als ich kam, war das so, dass ich aus Berndorf von da rechts zu Fuß hierherging, ich hatte nämlich ein Problem, das Problem hieß Preute, denn dass man hier keinen Journalisten braucht, das ist klar. Und ich hockte dann immer da unten an dem Teich und hab immer überlegt, was ich denn wohl tun könnte. Und einer der ganz letzten Ideen war, ich könnte zur Abwechslung mal einen Krimi schreiben. Das war wirklich so. Also völlig undramatisch, es war eigentlich gar nichts."


Eigentlich gar nichts, völlig undramatisch? Mit der Ankunft dieses Mannes und der Entwicklung seiner Eifelkrimis - mittlerweile sind es über 20 - hat sich die Landschaft in der Vulkaneifel dramatisch verändert. Der kleine, rund 3000 Einwohner fassende Ort Hillesheim wirbt für sich als "Krimi-Hauptstadt" von "Deutschlands Krimi-Landschaft Nr. 1", der Eifel. Es gibt eine Krimi-Buchhandlung, ein Krimi-Archiv, ein Krimi-Café, in dem man zwischen Kerzenleuchtern und Mordwaffen eine "Chocolat Poirot" oder eine Kaffeespezialität namens "Schwarzer Tod" einnehmen kann.

Das Krimi-Hotel mit 24 verschiedenen Krimi-Suiten ist stets ausgebucht und lockt mit 5 o’Clock Teatime und Krimi-Dinner und einer Lesung von Krimi-Autoren zum Anfassen, denn mittlerweile gibt es eine Menge weiterer Autoren, die ihre Krimis in der Eifel spielen lassen. Alles für die Touristen, von denen viele hierherkommen, um auf den Spuren seines Protagonisten Siggi Baumeister zu reisen. Doch auch Einheimische zählen zu den Berndorf-Lesern...

Stolz auf Eifelkrimi

"Ich bekam seinen ersten Band Eifel-Blues in die Hände und dann hat sich ein Virus in mir festgesetzt und der besteht heute noch im Körper. Weil sie machen süchtig. Man will immer wieder den neuen haben und gucken, was treibt der Siggi denn jetzt. Es liest sich einfach gut. Es ist wirklich faszinierend, dass er das alles so sehr genau beschreibt, dass die Leute das wiederfinden, das macht den Leuten so viel Spaß. Und gibt den Eiflern so einen gewissen Stolz zurück, wir sind wer, man kennt uns, in Deutschland und in Europa."

Helmut Schäfer, Polizeioberkommissar in Daun.

"Den Michael lernte ich vor zwölf Jahren kennen durch einen dummen Zufall. Wir telefonierten miteinander und in einem Nebensatz erwähnte ich, dass ich ein Bulle aus Daun sei und seine Bücher gut fände. Da meinte er: ´Ja. Da müssen wir uns mal treffen!` Das haben wir dann zwei Wochen später gemacht. Für mich war das ein bisschen konspirativ, Polizist - Journalist, muss man vorsichtig sein. Sind wir spazieren gegangen, haben viel geredet, viel geschwiegen, und damit begann das eigentlich.

Wenn wir unterwegs sind, unterhalten wir uns viel und ich erzähle, was mich gerade bewegt in meinem Job oder der Familie und dann hakt er nach. Und wichtig ist bei ihm: Alles, was ich ihm erzähle, bleibt auch in ihm drin. - Die Verschwiegenheit. - Teilweise ist die Fiktion, die er aufzeichnet, weniger realistisch, wenn zum Beispiel hier Terroristen tätig werden. Oder, was sehr realistisch ist, z.B. die Schilderung der Drogenszene hier in der Eifel. Weil er sehr gut recherchiert, ist er nah an der Realität."


Berndorf: "Ich habe vorher mit Lehrern gesprochen, in drei Gymnasien, in Gerolstein und Daun, Vertrauenslehrer, die mir ins Gesicht hinein gesagt haben: ´Wir haben hier keine großen Drogen`. Da habe ich gesagt: Habt Ihr noch alle Tassen im Schrank? Ihr lügt, ihr bescheißt Euch selber. Hier waren extreme Drogenprobleme: Ich war in einem Jugendhaus in Jünkerath und traf auf 14, 15, 18-Jährige, um den Dreh rum.

Und die erzählten mir mit Schaudern und Verachtung - ihre Eltern hätten Null Ahnung - und jeder von denen hätte irgendwas in der Tasche: Also Extasy oder einen Treiber oder einen Beruhiger oder weiß der Geier was. Und die hatten das tatsächlich auch. Und da habe ich mit ihnen diskutiert - drei Stunden - und dann hatte ich eine komplette Story. Und ich bin hinterher tatsächlich von Eltern angesprochen worden, ob das nicht alles übertrieben sei, da kann ich nur sagen: naja, also ok."

"Sag mal, Baumeister, was war das für ein Brand heute Nacht?”
"Es hat zwei junge Leute erwischt. Sieht nach Doppelmord aus. Erst sind sie getötet worden. Dann ist ihnen Heroin gespritzt worden. Dann wurde ihnen die Bude überm Kopf angezündet. Frag mich nicht, was das alles soll.”


Krimischreiben als Therapie

"Die meiste Gewalt, die Menschen austauschen, ist nicht körperlicher Natur, die meiste Gewalt besprechen wir, wir sprechen sie aus, und das ist schrecklich, eigentlich. Und wir haben so wenig kontrollierende Mechanismen, die uns sagen lassen: Um Gottes Willen, hör auf! Ja, ich denke, ich habe mich wirklich ganz gut unter Kontrolle, muss aber betonen, dass ich das nicht mein ganzes Leben hatte, das ist auch ein Lernprozess. Die Zeiten in denen ich gesoffen habe - ja, natürlich war das schrecklich und ist belastet mit Schuld, Scham, ich weiß ja, ich habe gekränkt, ich weiß ja, ich habe beleidigt, ich weiß ja, ich habe mein Maß verloren.

Es gibt für mich so ein Bild, das für mich ganz, ganz schrecklich ist: Der verheiratete Journalist Michael Preute wacht nachts nackt neben einer nackten Frau auf. Erstens, weiß er nicht, wer diese Frau ist, zweitens kennt er ihren Namen nicht, drittens er weiß nicht, wie die Stadt heißt, viertens, jetzt sitzt er da und weiß, das habe ich mit Suff angerichtet. Wie kommt man da wieder raus? Aber das allerschlimmste ist das Gefühl, diesen Frauen gegenüber, who ever, nichts gesagt zu haben, einfach zu gehen. Es würde mir heute nicht mehr im Ansatz so passieren. Aber Fakt ist: es ist so passiert. Und Sie haben in Wirklichkeit keine Entschuldigung. - Es hilft mir auch nicht zu sagen, es war ein Krankheitsbild. Es hilft nicht. Ich muss mit mir klar kommen und mit dem was ich versaut habe. Und ich denke: Es gibt keine göttliche Vergebung in diesem Sinn."

Aus der großen, braunen Flasche, die auf dem Tisch steht, schenkt er sich Traubensaft nach. Wie sein Protagonist Siggi Baumeister trinkt Jacques Berndorf keinen Alkohol. Seit über 35 Jahren ist er nun schon trocken.

"Weshalb also heute Krimischreiben für mich vielleicht eine Bewältigung war, kann ich sagen: für die ersten Bücher. Aber die sind mittlerweile verflossen, da es ja jetzt über 20 sind. Jetzt macht es mir Spaß, Geschichten zu erzählen, was mir übrigens immer schon Spaß gemacht hat."

"Wir hockten noch eine Weile träge bei einander. Die sanften Hänge links und rechts waren ein Meer in Gelb, der Ginster blühte. Da, wo die Hänge schroffer wurden, wo Schiefernasen sich weit vorschoben, waren die Standorte der Steingewächse, deren Farben von leuchtend hellem Grün bis zu tiefem Violett reichten. Das Altrosa der blühenden Wiesengräser hob sich klar von den unendlich vielfältigeren Grüntönen der Wälder ab. Das war die Eifel, die ich brauchte wie die Luft zum Atmen."

"Ich habe das ungeheure Schwein, dass ich etwas tue, was ich kann. - Und zuweilen
ist es dann ganz merkwürdig, dass mir Leute sagen, oh, da steckt aber viel Dichtung, also, drin. Und ich muss dann immer sagen: Seid vorsichtig, Kinder, so ist es nicht gemeint. Es ist wirklich..., ich mache Unterhaltung!"

"Irgendwo war eine Glockenunke zu hören, weit weg rief ein Kuckuck, dann kam eine Nachtigall hoch. Sie sang jubilierend..."

"Ich stell mir häufig vor, ist ganz logisch, mit 75 tut man das: Wie komme ich um, wie sterbe ich. Am liebsten wäre mir bei der Arbeit: Kurz und schmerzlos. Ich sitze oben und schreibe und sinne darüber nach, wie dieser Nebensatz anders formuliert werden soll und zack liege ich unten."

"... und ich zählte fünfzehn Strophen, ohne dass sie sich wiederholten."

"Aber das ist natürlich eine Idealvorstellung. Ich weiß."