Wie ein Roman entsteht
Isaac Rosas "Das Leben in Rot" kommt zwar zunächst daher wie ein typischer historischer Roman: Basierend auf Fakten wird die Geschichte zweier Verfolgter des Franco-Regimes erzählt. Doch immer wieder unterbricht er die Handlung, schaltet sich mit Überlegungen ein, wie der Text weitergehen könnte. Daneben gibt es dokumentarische Passagen, die die ganze Gewalt der Franco-Diktatur wiedergeben.
Wie schreibt sich, wie schreibt man Geschichte? Wie wäre eine Prosa zu verfassen, die sich auf Historisches stützt, dabei aber ganz gegenwärtig sein sollte? Eine Fülle von historischer Literatur scheint klare Antworten zu formulieren: Man nehme eine konkrete Situation, reichere das dokumentierte Personal (und Material) mit erfundenen Figuren an und entwickele daraus eine Geschichte, die den Leser gleichsam zum Augenzeugen, wenn nicht gar eingefühlten Teilnehmer des Geschehenen werden lässt. Gegenwärtigkeit ist allein auf diese Weise gewährleistet, und da zudem letztlich alle Literatur um unvergängliche Motive wie Macht, Liebe, Eifersucht usw. kreist, lässt sich die Aktualität jedweden historischen Materials eigentlich immer behaupten.
Isaac Rosa aber ist ein "besonnener Autor". Jedenfalls behauptet das jenes Erzähler-Ich, das als Autorenstimme in diesem Roman stets anwesend ist. In den Produkten derartiger Rekonstruktionen sieht er eine "ekelerregende Nostalgie" am Werk. Wie ließe sich die aber verhindern? Isaac Rosa hat mit seinem Roman eine rasante und raffinierte Antwort gefunden, die in jeder Hinsicht überzeugt.
Zunächst scheint er ganz nach Rezept vorzugehen: Er nimmt sich eine gut dokumentierte Episode aus dem Jahr 1965, als Studentenproteste an der Madrider Universität, aus denen sich eigentlich ein Generalstreik entwickeln sollte, das Franco-Regime in erhebliche Unruhe versetzten. Der Unterdrückungsapparat wurde auf Hochtouren gebracht, die Proteste wurden niedergeschlagen, der Streik kam nicht zustande.
Zu den Repressalien gehörte auch die Entlassung von mehreren Universitätsprofessoren, die sich auf der Seite der Studenten engagiert hatten. Unter diesen Professoren taucht ein gewisser Julio Denis auf, der nach kurzer Verhaftung nach Paris abgeschoben wurde. Soweit die verbürgten Tatsachen, die Isaac Rosa mit Quellenangaben zitiert.
Aus dem Rätsel, dass der Name dieses Literaturprofessors im Zusammenhang mit antifranquistischen Aktivitäten sonst nirgends genannt wird und dass sich die Spur dieses Professors nach jener Episode komplett verliert, entwickelt der Autor seine Geschichte. Er lässt ihn, einen ganz und gar unpolitischen Literaten, kurz vor seiner Verhaftung mit jenem (fiktiven, aber sehr glaubwürdigen) Studenten zusammentreffen, der der Cheforganisator der Proteste und zugleich der Verbindungsmann zur Kommunistischen Partei war.
Auch dieser junge Mann, den der Autor nicht als Helden, sondern als ziemlichen Widerling zeichnet, wird im Zusammenhang mit den Protesten verhaftet, auch seine Spur verliert sich danach komplett. Aus dieser Episode entspringt eine wahrhaft kriminalistische Handlung, in der alle Zuordnungen fragwürdig erscheinen. Wer hat da wen ans Messer geliefert, wer wen bespitzelt? Episodenhaft spielt der Autor alle denkbaren Varianten durch, schildert dabei meisterhaft die Milieus (Studenten, politischer Untergrund, Polizeiapparat, Medien) und deren Akteure, die freilich oft nicht als handelnde Figuren in Erscheinung treten, sondern als "Stimmen", die ihre Erinnerungen und Ansichten zu Protokoll geben.
Unterbrochen werden diese Episoden zum einen durch die Reflexionen des Autors darüber, wie er seine Geschichte fortspinnen will. Seine Überlegungen geschliffen vorbringend, polemisch seine Entscheidungen begründend, erzählerisch theoretisierend (wie es jetzt eigentlich weitergehen müsste), nimmt der Leser im Grunde teil an der Entstehung des Romans.
Das zweite und überaus wichtige Element zwischen den eigentlichen Handlungsepisoden sind die dokumentarischen Passagen, die sich insbesondere um die Gewaltpraktiken der Franco-Polizei drehen. Auf diese Weise knüpft Isaac Rosa ein enges Erzählnetz, das nicht nur eine historische Episode nachzeichnet, sondern zugleich den Prozess und die Folgen des Erinnerns einblendet und verhandelt: Hier liegt die wahre Gegenwärtigkeit dieses großartigen Romans.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Isaac Rosa: Das Leben in Rot
Roman. Aus dem Spanischen von Ralph Amann
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2008
350 Seiten, 22,90 Euro.
Isaac Rosa aber ist ein "besonnener Autor". Jedenfalls behauptet das jenes Erzähler-Ich, das als Autorenstimme in diesem Roman stets anwesend ist. In den Produkten derartiger Rekonstruktionen sieht er eine "ekelerregende Nostalgie" am Werk. Wie ließe sich die aber verhindern? Isaac Rosa hat mit seinem Roman eine rasante und raffinierte Antwort gefunden, die in jeder Hinsicht überzeugt.
Zunächst scheint er ganz nach Rezept vorzugehen: Er nimmt sich eine gut dokumentierte Episode aus dem Jahr 1965, als Studentenproteste an der Madrider Universität, aus denen sich eigentlich ein Generalstreik entwickeln sollte, das Franco-Regime in erhebliche Unruhe versetzten. Der Unterdrückungsapparat wurde auf Hochtouren gebracht, die Proteste wurden niedergeschlagen, der Streik kam nicht zustande.
Zu den Repressalien gehörte auch die Entlassung von mehreren Universitätsprofessoren, die sich auf der Seite der Studenten engagiert hatten. Unter diesen Professoren taucht ein gewisser Julio Denis auf, der nach kurzer Verhaftung nach Paris abgeschoben wurde. Soweit die verbürgten Tatsachen, die Isaac Rosa mit Quellenangaben zitiert.
Aus dem Rätsel, dass der Name dieses Literaturprofessors im Zusammenhang mit antifranquistischen Aktivitäten sonst nirgends genannt wird und dass sich die Spur dieses Professors nach jener Episode komplett verliert, entwickelt der Autor seine Geschichte. Er lässt ihn, einen ganz und gar unpolitischen Literaten, kurz vor seiner Verhaftung mit jenem (fiktiven, aber sehr glaubwürdigen) Studenten zusammentreffen, der der Cheforganisator der Proteste und zugleich der Verbindungsmann zur Kommunistischen Partei war.
Auch dieser junge Mann, den der Autor nicht als Helden, sondern als ziemlichen Widerling zeichnet, wird im Zusammenhang mit den Protesten verhaftet, auch seine Spur verliert sich danach komplett. Aus dieser Episode entspringt eine wahrhaft kriminalistische Handlung, in der alle Zuordnungen fragwürdig erscheinen. Wer hat da wen ans Messer geliefert, wer wen bespitzelt? Episodenhaft spielt der Autor alle denkbaren Varianten durch, schildert dabei meisterhaft die Milieus (Studenten, politischer Untergrund, Polizeiapparat, Medien) und deren Akteure, die freilich oft nicht als handelnde Figuren in Erscheinung treten, sondern als "Stimmen", die ihre Erinnerungen und Ansichten zu Protokoll geben.
Unterbrochen werden diese Episoden zum einen durch die Reflexionen des Autors darüber, wie er seine Geschichte fortspinnen will. Seine Überlegungen geschliffen vorbringend, polemisch seine Entscheidungen begründend, erzählerisch theoretisierend (wie es jetzt eigentlich weitergehen müsste), nimmt der Leser im Grunde teil an der Entstehung des Romans.
Das zweite und überaus wichtige Element zwischen den eigentlichen Handlungsepisoden sind die dokumentarischen Passagen, die sich insbesondere um die Gewaltpraktiken der Franco-Polizei drehen. Auf diese Weise knüpft Isaac Rosa ein enges Erzählnetz, das nicht nur eine historische Episode nachzeichnet, sondern zugleich den Prozess und die Folgen des Erinnerns einblendet und verhandelt: Hier liegt die wahre Gegenwärtigkeit dieses großartigen Romans.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Isaac Rosa: Das Leben in Rot
Roman. Aus dem Spanischen von Ralph Amann
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2008
350 Seiten, 22,90 Euro.