Wie Ernst Lustig zu seinem Namen kam

Moderation: Matthias Hanselmann |
Der Protagonist in Steffen Menschings Roman ist Literaturwissenschaftler. Er ist Mitte 40 und sitzt an einer Schiller-Biografie, mit der er nicht fertig wird. Mensching entwirft einen grotesken Typen mit seltsamen Hobbys. Ernst Lustig erfindet zum Beispiel den lustigen Kalender mit 36 Monaten, die er nach seinen Lieblingsautoren benennt.
Hanselmann: Bei uns der Berliner Schriftsteller Steffen Mensching und ich denke, er hat Grund zur Freude, denn sein neuer Roman ist soeben erschienen. Guten Tag, Steffen Mensching!

Mensching: Hallo!

Hanselmann: "Lustigs Flucht" - Grund zur Freunde?

Mensching: Na, wenn ein neues Buch erscheint, dann trägt man das ja erstmal mit sich rum wie so ein Baby die nächste Zeit. Ja, ich bin froh, dass es da ist, dass es fertig ist und ich hoffe, es funktioniert!

Hanselmann: Wie lange haben Sie daran gearbeitet, wie lange haben Sie es herumgetragen wie ein Baby?

Mensching: Wie lange ich es wie ein Baby herumgetragen habe? Nur ein paar Tage, aber daran gearbeitet habe ich natürlich etwas länger, also einige Wochen. Ich würde sagen, ein halbes Jahr intensiv geschrieben.

Hanselmann: Es erzählt die Geschichte eines Mannes namens Ernst Lustig, er ist 44 Jahre alt und Literaturwissenschaftler, er schreibt an einer Schiller-Biografie und ist ansonsten arbeitslos. Man fragt sich natürlich sofort, wieso heißt der Mann Ernst Lustig. Sie müssen es wissen!

Mensching: Na, er ist ein Sohn eines deutschen Eisenbahners und dieser Eisenbahner hatte die Marotte, der hieß natürlich auch Lustig, sein Vater Paul, der hatte die Marotte, der deutschen Gesellschaft, das heißt im Wesentlichen Ostdeutschland, einen Stellwerker oder Eisenbahner zu schenken, der auf diesen schönen Namen Ernst Lustig hört. Und dieser Marotte folgend hat er seinen Sohn so getauft, und der musste mit diesem nicht ganz einfachen dialektischen Namen leben lernen.

Hanselmann: Ist er deswegen der arme Ernst Lustig?

Mensching: Er ist nicht arm, aber er ist in sich gespalten. Er ist einerseits ein sehr grotesker Typ, er hat obskure, seltsame Hobbys. Er sammelt Schiller-Straßen, er entwickelt einen neuen Kalender, er hat sehr spezielle Vorlieben erotischer Natur und anderer Art, eine schräge Persönlichkeit und andererseits ein sehr verzweifelter Mensch vielleicht auch, der an dem Zustand der Welt, in dem er lebt, leidet, der mit dem Thema, das er bearbeitet, nämlich Friedrich Schiller, immer weniger Gehör findet und also auch große Schwierigkeiten hat, diese Schiller-Biografie, an der er arbeitet irgendwie fertig zu kriegen. Also ein in sich zerrissener Mensch, der auf sehr groteske und komische Art die Welt versucht, zu beschreiben und zu existieren.

Hanselmann: Wobei natürlich jeder bei dem Wort Schiller-Biografie das große Gähnen bekommt. Wozu die 500., besonders nach dem Film und so weiter, und darauf zielen Sie ja sicherlich auch bewusst ab, oder?

Mensching: Ja, Schiller spielt als Hintergrund in diesem Buch eine wichtige Rolle, nie vordergründig. Es ist auch so, dass der Ernst Lustig zu dieser Figur Schiller in einer Art Hassliebe steht. Also einerseits verehrt er den Mann sehr, und da gibt es ja auch wirklich Gründe, und andererseits fragt er sich natürlich, warum gerade so ein sehr trockener Mann zum Säulenheiligen der deutschen Literatur aufsteigen konnte. Es geht unter anderem um die Frage, was … wie lebt man überhaupt mit solchen klassischen Bildern, mit solchen klassischen Vorbildern, spielen die noch eine Rolle in unserer Gesellschaft oder ist das mehr so eine Art museale Pflicht, der da genügt wird.

Hanselmann: Was meint denn der Schriftsteller Steffen Mensching, spielen die noch eine Rolle in unserer Gesellschaft oder in unserem Leben, diese klassischen Vorbilder?

Mensching: Ich habe vor einem Dreivierteljahr in Esslingen Balladenabend von Schiller inszeniert und das Textbuch sozusagen selbst zusammengestellt. Ich glaube, man kann diese Texte durchaus heutig und modern sprechen und spielen und man muss sie entstauben, man muss sie versuchen, auf ihren Kern zurückzuführen, dann, glaube ich, funktioniert das. Nicht alles, es gibt manches gerade im lyrischen Werk von Schiller, wo auch mich das Gähnen ankommt und wo ich sage mein Gott, hätte er vielleicht etwas mehr drastischer beschreiben können, etwas mehr lebensprall und nicht so kopflastig, wie er mitunter ist. Goethe ist mir eigentlich lieber als Schiller.

Hanselmann: Zurück zu Ihrer Figur, zu Ernst Lustig. Sie haben zwei Punkte erwähnt, auf die ich noch mal zu sprechen kommen möchte. Der eine denkt sich einen eigenen Kalender aus, was ist das für ein Kalender?

Mensching: Das ist ein Kalender, den er im Gegensatz zum gregorianischen den lustigen Kalender nennt, er entwickelt 36 Monate statt der zwölf, die wir haben, und er glaubt vielleicht, durch so einen neuen Kalender, eine neue Einfühlung in die Zeit zu finden, sich eine neue Ordnung aufzubauen, und andererseits überlegt er auch, wie viele Monate er eigentlich noch hat. Nach dem normalen Kalender hat er noch etwa 900 Monate zu leben, wenn er etwa so alt wird wie sein Vater, und nach dem von ihm entwickelten sind es dann schon 9000. Es ist ja auch ein bisschen sich austricksen und vielleicht seine eigene Lebenszeit zumindest psychologisch glaubhaft zu verlängern. Er benennt die dann alle nach seinen Lieblingsautoren, nach 36 Lieblingsautoren und einer Sonderperiode, weil bei 365 Tagen kommt man natürlich mit dem Dezimalsystem nicht ganz hin und es bleiben dann fünf oder sechs Tage übrig.

Hanselmann: Und die erotischen Phantasien, die besonderen?

Mensching: Nun, der Mann lebt mit einer jüngeren Frau zusammen, mit seiner Geliebten, in der er allerdings an dem Zeitpunkt, als das Buch sozusagen spielt, gerade in Trennung lebt, und ja, auch das wiederum so ein Versuch auszutesten, was ist noch drin in einem Leben, auch in einer solchen Situation, wo man mit dem Stoff, den man eigentlich behandelt, schwer klarkommt, wo man vielleicht auch sich die Frage stellt, was ist jetzt, ich bin 44, dieses Problem der Midlife-Crisis spielt natürlich eine gewisse Rolle, kann man noch mal neu anfangen oder ist man in so eingefahrenen Bahnen, dass das alles so weiterläuft. Und er ist ein Typ, der eigentlich mit solchen eingefahrenen Bahnen nicht glücklich ist, der will wieder neu anfangen, der hat immer wieder neu versucht, anzufangen. Er ist eigentlich ein Nonkonformist, also eine aussterbende Art in dieser Gesellschaft, jemand, der mit dem Osten nicht klarkam, der mit dem Westen große Schwierigkeiten hat, nicht hineinpasst, und der sehr seinen eigenen Stiefel lebt. Dadurch viel Freiheit erfährt, was wiederum auch mit Schiller zu tun hat, aber natürlich immer gegen Grenzen rennt und immer ausgegrenzt wird.

Hanselmann: Wie kommt ein solcher Mensch klar mit dem gegenwärtig herrschenden Literaturbetrieb, mit der Vermarktung von Literatur in diesem Lande?

Mensching: Das ist eins seiner Hauptprobleme, er schreibt zwar Bücher, die auch begründet und anerkannt werden als wichtig, aber die im Verlag natürlich mit gewisser Skepsis betrachtet werden, weil sie sich nicht verkaufen. Er hat eine Jochmann-Biografie geschrieben, kein Mensch weiß, wer Jochmann ist, er hat Ifland-Biografie geschrieben, kennt man vielleicht noch, ein Kinderbuch über Goethe und jetzt eben Schiller. Alles keine Bestseller. Und es gibt dann eben in seinem Verlag einen Plan, diese Schiller-Biografie durch eine Showgröße, die als D. auftaucht in dem Buch, promoten zu lassen, der dann sozusagen populistische Kommentare zu dem akademischen Teil schreibt, den der Lustig schreibt. Und erst weigert er sich vehement, aber dann muss er da sozusagen die Kröte schlucken, weil man ihm sagt, entweder der D. wird Koautor oder das Buch erscheint nicht.

Hanselmann: Ich habe den Verdacht, dass Sie so zumindest die letzten zwei Minuten auch von sich geredet haben.

Mensching: Man schreibt natürlich immer aus bestimmten Erfahrungen heraus und versucht, eigene Frustration, eigene Probleme und vielleicht auch Hoffnungen in so einem Buch unterzubringen.

Hanselmann: Sind Sie Nonkonformist?

Mensching: Ich bin, glaube ich, vielleicht nicht in jeder Hinsicht Nonkonformist, aber als Grundtendenz glaube ich, ist das schon, ja, vielleicht mein Problem.

Hanselmann: Wollen Sie immer wieder von vorne anfangen?

Mensching: Ja, das würde ich gerne, ja. Das ist so eine Art Verjüngungskur, weil wenn man immer wieder nach unten stürzt, muss man sich sehr genau befragen, was ist eigentlich wichtig und von welchen Dingen kann man sich trennen, und es hält fit, sagen wir mal so.

Hanselmann: Und haben Sie manchmal die Schnauze voll von dem ganzen Literatur- und Medien- und Promotionbetrieb?

Mensching: Das kann ich so nicht sagen, weil ich eigentlich in diesem Medienbetrieb gar nicht so sehr existiere. Ich habe immer alle Projekte, die ich gemacht habe, relativ für mich selbst verantwortet, habe mir da wenig reinreden lassen, bin auf bestimmten Ebenen vielleicht nur deswegen nicht so richtig wahrgenommen worden, aber das ist okay. Ich glaube, viel wichtiger ist, dass man davon überzeugt ist, dass das, was man macht, für einen selbst richtig ist. Und dann gibt es, glaube ich, auch Leute, die das anerkennen im Publikum. Ich glaube, die Leute sind gar nicht so blöd, die werden oft für ziemlich dumm gehalten, und man sagt dann, das ist nix für die Leute, das ist zu kompliziert. Ich glaube, die Leute sind da ganz anders eingestellt.

Hanselmann: Aber Ihr Buch soll sich doch auch verkaufen. Wie weit soll denn Ihrer Meinung nach oder darf der Verlag mit Werbung, Slogans und so weiter gehen oder haben Sie tatsächlich die romantische Vorstellung, dass sich Ihr Werk durch Hörensagen durchsetzt, also durch "Das musst du lesen" und irgendwann sind auf einmal 200.000 Bücher verkauft?

Mensching: Natürlich, in so einer Mediengesellschaft ist es ganz wichtig, deswegen machen wir ja auch so ein Gespräch heute, dass darüber geredet wird und dass es ins Gespräch kommt. Der Verlag soll so möglichst viel machen, wie ihm zur Verfügung steht, um das Buch zu promoten, es geht bloß darum, ob man eine Sache aus dem Inhalt heraus bewirbt oder ob man es an irgendeine Showgröße zum Beispiel ankettet, das halte ich für unsinnig. Alles, was irgendwie mit dem Showbusiness und diesem Unterhaltungsbetrieb zusammenhängt, wird wichtig- und wahrgenommen und inhaltlich wird nichts mehr berichtet beziehungsweise viel zu wenig. Man soll, ich glaube, auch die Medien haben die Pflicht, einfach intensiver auf bestimmte Inhalte und Texte einzugehen und sie zu beschreiben und das wird, glaube ich, Leute anlocken, nicht, wenn da ein Buch verbunden wird mit einer Größe, die eigentlich mit dem Buch gar nichts zu tun hat.

Hanselmann: Ich mache mal ein kleines Experiment: Sie sind in Ostberlin geboren und aufgewachsen, haben also die vielzitierte Ostsozialisation hinter sich. Wir haben gerade zum 15. Mal die Einheit gefeiert, alles wurde wieder hochgekocht. Dürfen oder sollen wir Deutsche immer noch die Deutschen in Ossis und Wessis unterteilen? Oder vielleicht gerade wieder?

Mensching: Ich glaube, das dürfen wir, das können wir machen, aber das ist eigentlich nicht so relevant. Ich glaube, es gibt viel mehr identische oder gemeinsame Probleme inzwischen in diesem Land. Ich habe nicht den Eindruck. Es gibt Leute im Osten, die es geschafft haben, hochzukommen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein, die haben ihre Ostsozialisation vergessen, benehmen sich teilweise schlimmer als die Westler, und es gibt im Westen genug Leute, die ähnliche Probleme haben wie irgendwelche Sozialhilfeempfänger oder Hartz-IV-Empfänger im Osten. Da gibt es ja auf eine gewisse traurige Art und Weise eine deutsche Einheit inzwischen. Ich glaube auch, dass viele Leute im Westen begriffen haben, dass der Weg, der eingeschlagen wurde, für sie wirkliche Veränderungen bringen wird. Und dass da vielleicht ein eher größeres gemeinsames Nachdenken entsteht in Deutschland.

Hanselmann: "Lustigs Flucht", Roman, erschienen im Aufbau Verlag, Autor Steffen Mensching. Wer soll das Buch kaufen?

Mensching: Na, alle!

Hanselmann: Alle natürlich. Wann sehen wir Sie wieder auf der Bühne als Clown oder in ähnlicher Rolle?

Mensching: Ich hoffe im nächsten Jahr, wenn ich das schaffe. Ich sitze an einem neuen Buchprojekt, an dem ich arbeite, ich sitze an der Arbeit mit einer Band namens Schnaftl Uftschik, mit der ich zusammenarbeite, ich will mit jungen Schauspielstudenten was machen. Ich habe genug Projekte, und wenn ich es schaffe, werde ich im nächsten Jahr auch noch einen eigenen Abend wieder starten.

Hanselmann: Vielen Dank und viel Erfolg weiterhin!

Mensching: Danke!
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