Wie Finnland mit den Nazis kollaboriert hat
Unter den Bösen wollen sie die Guten gewesen sein: die Finnen im Zweiten Weltkrieg. Doch der Mythos bekommt allmählich Risse. Der Historiker Oula Silvennoinen beschreibt die bislang unbekannte Kooperation der finnischen Geheimpolizei mit der Gestapo und dem SS-Sicherheitsdienst.
Unter den Bösen wollen sie die Guten gewesen sein: die Finnen im Zweiten Weltkrieg. Tatsächlich kämpften Mannerheims Truppen 1941-1944 an der Seite der Wehrmacht, um den Osten Kareliens zurückzuerobern – jenes Gebiet, das der sowjetische Aggressor während des "Winterkriegs" 1939/40 okkupiert hatte.
In den Holocaust war Finnland wenig verstrickt; 96 Prozent der einheimischen Juden überlebten. Ein finnischer Historiker schlussfolgerte deshalb Ende der 80er-Jahre, der deutsch-finnische Feldzug "war so sauber, wie Kriegsführung nur sein kann". Der Mythos vom sauberen Krieg ist die Basis der finnischen Identität. Und ausgerechnet diesen Mythos haben andere Wissenschaftler des Landes nun beschädigt.
Vor einigen Jahren schockierte eine Forscherin ihr Volk mit der Meldung, Finnland habe seinerzeit über 3000 Menschen, auch Juden, nach Deutschland deportiert. Und 2008 beschrieb der Historiker Oula Silvennoinen, Jahrgang 1970, noch eine skandalöse, bis dato unbekannte Tatsache: die enge Kooperation der finnischen "Staatspolizei" (Valpo), einer Geheimpolizei, mit der deutschen Gestapo und dem SS-Sicherheitsdienst (SD) im nicht besetzten Finnland.
Nun liegt Silvennoinens Dissertation als Buch auch auf Deutsch vor. Man erfährt: Deutsche und finnische Geheimpolizisten errichteten in Lappland in Lagern mit sowjetischen Kriegsgefangenen ein Terrorregime; Kommunisten, politische Kommissare der Roten Armee und Juden wurden "selektiert" und erschossen. Die Finnen sorgten für den Transport der Gefangenen, sie verhörten und übersetzten.
Befehlsgeber auf deutscher Seite war ein "Einsatzkommando Finnland" von Gestapo und SD, dessen Existenz erst jetzt, durch Silvennoinen, publik geworden ist. Zwölf finnische Beamte waren dem Kommando sogar unterstellt, einzelne Polizisten an den Verbrechen direkt beteiligt. Deutsche und Finnen machten außerdem gemeinsam Jagd auf Partisanen – selbst in Norwegen. Und: Die Valpo hat den Nazis jüdische Emigranten ausgeliefert; fast alle starben in Auschwitz.
Wie viele Menschen wurden während der Kollaboration ermordet? Die Zahl war nicht zu ermitteln, schreibt der Autor. Doch man wisse, wo Massengräber von Kriegsgefangenen liegen. Die finnischen Täter wurden nach 1945 überwiegend nicht belangt, einzelne Anklagen niedergeschlagen. Fortan, für Jahrzehnte, herrschte eine "Kultur des Schweigens" (Silvennoinen).
Die Studie ist ein großer Wurf. Und, auch nach Auffassung ihres Verfassers, gewiss Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen. Im Buch nutzt Oula Silvennoinen eine angenehm narrative, bisweilen fast thrillerartige Sprache. Bedauerlich sind stilistische Schwächen (zumindest in der deutschen Übersetzung) – der manchmal hölzerne, bürokratische Ausdruck, Schachtelsätze mit unklaren Verknüpfungen, die Flut von Füllwörtern.
Der Titel des Werks bezieht sich auf die Verschwiegenheit der Beteiligten: Die Kollaboration war aus finnischem Blickwinkel illegal, Verrat am demokratischen System. Nur ein kleiner Kreis wusste davon; die Führungskader der Staatspolizei gehörten dazu. Und die damaligen Politiker, die Repräsentanten des Rechtsstaates Finnland - wie weit waren sie verstrickt? Auch dies, schreibt Silvennoinen, müsse noch erforscht werden.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Oula Silvennoinen: Geheime Waffenbrüderschaft. Die sicherheitspolizeiliche Zusammenarbeit zwischen Finnland und Deutschland 1933-1944
Aus dem Finnischen von Klaus und Katja Reichel
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010
384 Seiten, 49,90 Euro
In den Holocaust war Finnland wenig verstrickt; 96 Prozent der einheimischen Juden überlebten. Ein finnischer Historiker schlussfolgerte deshalb Ende der 80er-Jahre, der deutsch-finnische Feldzug "war so sauber, wie Kriegsführung nur sein kann". Der Mythos vom sauberen Krieg ist die Basis der finnischen Identität. Und ausgerechnet diesen Mythos haben andere Wissenschaftler des Landes nun beschädigt.
Vor einigen Jahren schockierte eine Forscherin ihr Volk mit der Meldung, Finnland habe seinerzeit über 3000 Menschen, auch Juden, nach Deutschland deportiert. Und 2008 beschrieb der Historiker Oula Silvennoinen, Jahrgang 1970, noch eine skandalöse, bis dato unbekannte Tatsache: die enge Kooperation der finnischen "Staatspolizei" (Valpo), einer Geheimpolizei, mit der deutschen Gestapo und dem SS-Sicherheitsdienst (SD) im nicht besetzten Finnland.
Nun liegt Silvennoinens Dissertation als Buch auch auf Deutsch vor. Man erfährt: Deutsche und finnische Geheimpolizisten errichteten in Lappland in Lagern mit sowjetischen Kriegsgefangenen ein Terrorregime; Kommunisten, politische Kommissare der Roten Armee und Juden wurden "selektiert" und erschossen. Die Finnen sorgten für den Transport der Gefangenen, sie verhörten und übersetzten.
Befehlsgeber auf deutscher Seite war ein "Einsatzkommando Finnland" von Gestapo und SD, dessen Existenz erst jetzt, durch Silvennoinen, publik geworden ist. Zwölf finnische Beamte waren dem Kommando sogar unterstellt, einzelne Polizisten an den Verbrechen direkt beteiligt. Deutsche und Finnen machten außerdem gemeinsam Jagd auf Partisanen – selbst in Norwegen. Und: Die Valpo hat den Nazis jüdische Emigranten ausgeliefert; fast alle starben in Auschwitz.
Wie viele Menschen wurden während der Kollaboration ermordet? Die Zahl war nicht zu ermitteln, schreibt der Autor. Doch man wisse, wo Massengräber von Kriegsgefangenen liegen. Die finnischen Täter wurden nach 1945 überwiegend nicht belangt, einzelne Anklagen niedergeschlagen. Fortan, für Jahrzehnte, herrschte eine "Kultur des Schweigens" (Silvennoinen).
Die Studie ist ein großer Wurf. Und, auch nach Auffassung ihres Verfassers, gewiss Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen. Im Buch nutzt Oula Silvennoinen eine angenehm narrative, bisweilen fast thrillerartige Sprache. Bedauerlich sind stilistische Schwächen (zumindest in der deutschen Übersetzung) – der manchmal hölzerne, bürokratische Ausdruck, Schachtelsätze mit unklaren Verknüpfungen, die Flut von Füllwörtern.
Der Titel des Werks bezieht sich auf die Verschwiegenheit der Beteiligten: Die Kollaboration war aus finnischem Blickwinkel illegal, Verrat am demokratischen System. Nur ein kleiner Kreis wusste davon; die Führungskader der Staatspolizei gehörten dazu. Und die damaligen Politiker, die Repräsentanten des Rechtsstaates Finnland - wie weit waren sie verstrickt? Auch dies, schreibt Silvennoinen, müsse noch erforscht werden.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Oula Silvennoinen: Geheime Waffenbrüderschaft. Die sicherheitspolizeiliche Zusammenarbeit zwischen Finnland und Deutschland 1933-1944
Aus dem Finnischen von Klaus und Katja Reichel
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010
384 Seiten, 49,90 Euro