Wie funktioniert der Regenwald?
Der brasilianische Regenwald wird oft als Herberge und Wiege der Biodiversität angesehen. Wie diese Gebiete funktionieren und im Gleichgewicht bleiben, darüber zerbrechen sich Forscher seit Jahrzehnten den Kopf. Ein Bericht aus dem Amazonas-Dschungel.
Das Forschungscamp ZF2 befindet sich gut 50 Kilometer nördlich von Manaus, inmitten des brasilianischen Regenwaldes. Nur eine Straße führt in die Metropole Amazoniens. Fährt man drei Tage weiter, erreicht man Caracas, die Hauptstadt Venezuelas. Um ins Camp zu gelangen, muss man die Straße verlassen und 34 Kilometer Lehmpiste quer durch den Dschungel mithilfe von Jeeps meistern. Nach einer weiteren Stunde Fahrt erreicht die Gruppe von Klimaforschern das Camp.
Jochen Schöngart: "Ja, wir sind hier mitten in Zentralamazonien."
Eine zweistöckige Hütte mit Küche dient als Forschungsstation und Lehranstalt. Seit 1998 forscht Jochen Schöngart in Amazonien, auch wenn sein Arbeitgeber, das Max-Planck-Institut für Chemie, in Mainz sitzt. Sein Spezialgebiet sind die Jahresringe von Bäumen.
"Wenn man dann Bäume hat, die auch sehr alt werden, 200, 300, 400 Jahre, kann man natürlich auch anhand dieser Beziehungen das Klima rekonstruieren."
Schöngart und seine Kollegen haben in den vergangenen Jahren mehr als 7000 Bäume untersucht, hunderte Arten aus verschiedenen Ökosystemen. Die gewonnenen Informationen haben sie in eine Datenbank eingespeist. Damit können sie die Klimageschichte des brasilianischen Regenwaldes beleuchten. Dieses Wissen ist die Voraussetzung für Entscheidungen auf wirtschaftlicher und politischer Ebene.
"Dann müssen sie natürlich wissen, wie lange braucht ein Baum, um solche Dimensionen zu haben, die ich möchte. Braucht der hundert Jahre, braucht der tausend Jahre? Das macht natürlich, wenn wir langfristig denken, einen riesigen Unterschied, und da sind das Baumalter und die Zuwachsraten eine ganz wichtige und entscheidende Kenngröße."
Alles dreht sich um zwei Fragen. Wie funktioniert das System Regenwald und wie stabil ist es? Und das hängt davon ab, welche Kreisläufe den Regenwald prägen. Wenn die Forscher und Gäste ausgepackt haben, soll es zu einem der Messtürme gehen.
"An den Türmen werden verschiedene Parameter erhoben, erstmal die ganzen meteorologischen Parameter wie Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Niederschlag, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Sonneneinstrahlung ..."
Die wichtigsten Messungen sind die der CO2-Konzentrationen.
"Tagsüber, über die Photosynthese, geht Kohlendioxid von der Atmosphäre in den Wald hinein. Durch Atmungsvorgänge der Pflanzen wird Kohlendioxid emittiert, sodass es interessant ist zu wissen, wenn man über das ganze Jahr hinweg 24 Stunden pro Tag misst, ob die Bilanz in der CO2-Frage, ob der Wald eine Kohlenstoffsenke ist oder eine Kohlenstoffquelle."
Wie viel Kohlendioxid nehmen die Bäume auf, wie viel geben sie ab? Nach wie vor fehlt eine klare Antwort.
Die Gruppe macht sicht auf den Weg zum Messturm. Teil des Forscherteams ist auch Carlos Alberto Quesada.
"In diesem Projekt arbeiten mehr als hundert Wissenschaftler, die verschiedenen Fragestellungen nachgehen. Die Hauptfrage ist aber: Wie funktioniert der Wald? Wie wachsen Bäume und wie schnell und wie alt werden sie überhaupt? Alle Parameter haben großen Einfluss auf die Struktur des Regenwaldes, ebenso die Frage, ob es Nährstoffe gibt, die das Wachstum beschleunigen oder verlangsamen und wie das alles zusammen mit dem Klimawandel reagiert."
Quesada und seine Kollegen nehmen regelmäßig Bodenproben mit ins Labor und analysieren das Grundwasser. Ihr Hauptaugenmerk gilt aber den Bäumen.
"Wir messen auf einem Hektar Waldfläche alle Bäume und begleiten sie über viele Jahre hinweg. Wir kehren regelmäßig zurück und schauen, wie sie gewachsen sind, was sich verändert hat, messen also den ganzen Bestand und notieren auch, wann und wo Bäume gestorben sind."
Quesada geht es nicht um das Alter einzelner Bäume, sondern um den Gesamtbestand. Und die Frage, ob tote Bäume rasch ersetzt werden, sodass hinsichtlich des Alters immer ein Gleichgewicht herrscht. Das ist wichtig für den CO2-Haushalt des Regenwaldes: Die Daten zeigen, dass er noch immer CO2 aufnehmen kann. Allerdings nur in geringem Maße. Und leichte Änderungen könnten das System kippen lassen. Denn: Werden große Flächen gerodet, wird der Regenwald schnell zu einer Kohlendioxidquelle.
Nach gut einer Stunde Fußmarsch durch den Dschungel ist die Gruppe am Ziel. Vor uns erhebt sich ein Metallgerüst. Der Messturm ist 54 Meter hoch. Er liefert Tag und Nacht Daten. Um auf die Spitze zu gelangen, muss man viele Leitern erklimmen. Oben angekommen weht ein dankbares Lüftchen und der Ausblick ist atemberaubend. Ringsherum erstrecken sich bis zum Horizont dicht bewachsene Hügellandschaften, Baumkronen so weit das Auge reicht.
Auf der Plattform, gut 15 Meter oberhalb der höchsten Bäume, wartet Klimaforscher Antonio Manzi, der die Messungen hier leitet.
"Wir kommen jede Woche für ein, zwei Tage hierher, um Daten abzurufen und alles zu kontrollieren. Viele Daten werden via Satellit direkt zu uns ins Labor nach Manaus geschickt, aber einige müssen vor Ort abgeholt werden."
Trotz jahrzehntelanger Forschung: Für Antonio Manzi ist der ganze Regenwald immer noch ein einziges Paradoxon. Erst langsam bekomme er eine Ahnung davon, wie der Dschungel funktioniert.
"Während der Trockenzeit ist die Verdunstungsrate höher als in der Regenzeit. Denn in der Trockenphase gibt es weniger Wolken, die das System blockieren. Die Wurzeln saugen das Wasser aus dem Boden und versorgen so den Baum, und das Ganze geht mit weniger hydrologischem Stress einher, als wenn die Bäume von den Wolken abhängig sind. Daher kann der ganze Wald viel Wasser verdunsten."
Eigentlich hätte er bei den Messungen höhere Photosyntheseraten erwartetet, sagt der Klimaforscher. Aber die Messtechnik ist manchmal noch fehleranfällig, konkrete Aussagen daher mitunter schwierig.
"Während der Regenzeit ist die Atmosphäre hier äußerst sauber, da gibt es nur wenige Aerosole, also Partikel, die die Kondensation in Gang bringen. Die Wälder produzieren diese Aerosole mithilfe von Pollen, Sporen und Bakterien, diese reagieren und oxidieren in der Atmosphäre und bilden das Gerüst für Kristalle, die die Transpiration wieder ankurbeln."
Im August 2012 hatten Mainzer Chemiker im US-Fachmagazin SCIENCE geschrieben, dass Kaliumsalze aus Pilzen und Pflanzen die Bildung von Aerosolpartikeln starten. Das würde bedeuten, dass der Regenwald seinen eigenen Niederschlag produzieren kann. Jedoch sei diese Erkenntnis im Prinzip auch nur ein winziges Detail, so Antonio Manzi.
"Dieser ganze Austausch von Material, Gas und Energie in den tieferen Ebenen des Regenwaldes und der unteren Atmosphäre ist unglaublich komplex, meiner Meinung nach das letzte ungelöste Rätsel in der klassischen Physik."
Der Schuh drückt ihn noch an anderer Stelle. Nachts beginnen die Pflanzen, den am Tag produzierten Zucker zu verbrennen und geben anschließend Kohlendioxid ab. Der Boden kühlt jedoch gleichzeitig aus. Dadurch steigt weniger warme Luft auf und das Kohlendioxid kann von den Sensoren oben an den Messtürmen nicht erfasst werden. Die daraus folgende fehlerhafte Interpretation: Das CO2 wird gespeichert. In Wahrheit wird es aber nicht aufgenommen, sondern zum Teil sogar über Bachläufe aus dem Wald gespült. Um diesen Messfehler zu vermeiden, haben die Forscher das bilaterale ATTO-Projekt zwischen Brasilien und Deutschland gestartet. ATTO steht für Amazonian Tall Tower Observatory. 320 Meter hoch soll der Messturm werden, der Ende des Jahres 150 Kilometer nordöstlich von Manaus seine Arbeit aufnehmen soll, so hoch, dass er keine Unterschiede mehr zwischen Tag- und Nacht-Emission erkennen kann.
"Mit dem großen Messturm werden wir bessere Daten erhalten und die Mechanismen des Austauschs zwischen dem Boden und der Atmosphäre besser verstehen können, diese ganzen Zyklen. Das Ziel ist wirklich zu begreifen, wie diese Wolkenbildung mit den Prozessen am Boden zusammenhängt."
Jochen Schöngart: "Ja, wir sind hier mitten in Zentralamazonien."
Eine zweistöckige Hütte mit Küche dient als Forschungsstation und Lehranstalt. Seit 1998 forscht Jochen Schöngart in Amazonien, auch wenn sein Arbeitgeber, das Max-Planck-Institut für Chemie, in Mainz sitzt. Sein Spezialgebiet sind die Jahresringe von Bäumen.
"Wenn man dann Bäume hat, die auch sehr alt werden, 200, 300, 400 Jahre, kann man natürlich auch anhand dieser Beziehungen das Klima rekonstruieren."
Schöngart und seine Kollegen haben in den vergangenen Jahren mehr als 7000 Bäume untersucht, hunderte Arten aus verschiedenen Ökosystemen. Die gewonnenen Informationen haben sie in eine Datenbank eingespeist. Damit können sie die Klimageschichte des brasilianischen Regenwaldes beleuchten. Dieses Wissen ist die Voraussetzung für Entscheidungen auf wirtschaftlicher und politischer Ebene.
"Dann müssen sie natürlich wissen, wie lange braucht ein Baum, um solche Dimensionen zu haben, die ich möchte. Braucht der hundert Jahre, braucht der tausend Jahre? Das macht natürlich, wenn wir langfristig denken, einen riesigen Unterschied, und da sind das Baumalter und die Zuwachsraten eine ganz wichtige und entscheidende Kenngröße."
Alles dreht sich um zwei Fragen. Wie funktioniert das System Regenwald und wie stabil ist es? Und das hängt davon ab, welche Kreisläufe den Regenwald prägen. Wenn die Forscher und Gäste ausgepackt haben, soll es zu einem der Messtürme gehen.
"An den Türmen werden verschiedene Parameter erhoben, erstmal die ganzen meteorologischen Parameter wie Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Niederschlag, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Sonneneinstrahlung ..."
Die wichtigsten Messungen sind die der CO2-Konzentrationen.
"Tagsüber, über die Photosynthese, geht Kohlendioxid von der Atmosphäre in den Wald hinein. Durch Atmungsvorgänge der Pflanzen wird Kohlendioxid emittiert, sodass es interessant ist zu wissen, wenn man über das ganze Jahr hinweg 24 Stunden pro Tag misst, ob die Bilanz in der CO2-Frage, ob der Wald eine Kohlenstoffsenke ist oder eine Kohlenstoffquelle."
Wie viel Kohlendioxid nehmen die Bäume auf, wie viel geben sie ab? Nach wie vor fehlt eine klare Antwort.
Die Gruppe macht sicht auf den Weg zum Messturm. Teil des Forscherteams ist auch Carlos Alberto Quesada.
"In diesem Projekt arbeiten mehr als hundert Wissenschaftler, die verschiedenen Fragestellungen nachgehen. Die Hauptfrage ist aber: Wie funktioniert der Wald? Wie wachsen Bäume und wie schnell und wie alt werden sie überhaupt? Alle Parameter haben großen Einfluss auf die Struktur des Regenwaldes, ebenso die Frage, ob es Nährstoffe gibt, die das Wachstum beschleunigen oder verlangsamen und wie das alles zusammen mit dem Klimawandel reagiert."
Quesada und seine Kollegen nehmen regelmäßig Bodenproben mit ins Labor und analysieren das Grundwasser. Ihr Hauptaugenmerk gilt aber den Bäumen.
"Wir messen auf einem Hektar Waldfläche alle Bäume und begleiten sie über viele Jahre hinweg. Wir kehren regelmäßig zurück und schauen, wie sie gewachsen sind, was sich verändert hat, messen also den ganzen Bestand und notieren auch, wann und wo Bäume gestorben sind."
Quesada geht es nicht um das Alter einzelner Bäume, sondern um den Gesamtbestand. Und die Frage, ob tote Bäume rasch ersetzt werden, sodass hinsichtlich des Alters immer ein Gleichgewicht herrscht. Das ist wichtig für den CO2-Haushalt des Regenwaldes: Die Daten zeigen, dass er noch immer CO2 aufnehmen kann. Allerdings nur in geringem Maße. Und leichte Änderungen könnten das System kippen lassen. Denn: Werden große Flächen gerodet, wird der Regenwald schnell zu einer Kohlendioxidquelle.
Nach gut einer Stunde Fußmarsch durch den Dschungel ist die Gruppe am Ziel. Vor uns erhebt sich ein Metallgerüst. Der Messturm ist 54 Meter hoch. Er liefert Tag und Nacht Daten. Um auf die Spitze zu gelangen, muss man viele Leitern erklimmen. Oben angekommen weht ein dankbares Lüftchen und der Ausblick ist atemberaubend. Ringsherum erstrecken sich bis zum Horizont dicht bewachsene Hügellandschaften, Baumkronen so weit das Auge reicht.
Auf der Plattform, gut 15 Meter oberhalb der höchsten Bäume, wartet Klimaforscher Antonio Manzi, der die Messungen hier leitet.
"Wir kommen jede Woche für ein, zwei Tage hierher, um Daten abzurufen und alles zu kontrollieren. Viele Daten werden via Satellit direkt zu uns ins Labor nach Manaus geschickt, aber einige müssen vor Ort abgeholt werden."
Trotz jahrzehntelanger Forschung: Für Antonio Manzi ist der ganze Regenwald immer noch ein einziges Paradoxon. Erst langsam bekomme er eine Ahnung davon, wie der Dschungel funktioniert.
"Während der Trockenzeit ist die Verdunstungsrate höher als in der Regenzeit. Denn in der Trockenphase gibt es weniger Wolken, die das System blockieren. Die Wurzeln saugen das Wasser aus dem Boden und versorgen so den Baum, und das Ganze geht mit weniger hydrologischem Stress einher, als wenn die Bäume von den Wolken abhängig sind. Daher kann der ganze Wald viel Wasser verdunsten."
Eigentlich hätte er bei den Messungen höhere Photosyntheseraten erwartetet, sagt der Klimaforscher. Aber die Messtechnik ist manchmal noch fehleranfällig, konkrete Aussagen daher mitunter schwierig.
"Während der Regenzeit ist die Atmosphäre hier äußerst sauber, da gibt es nur wenige Aerosole, also Partikel, die die Kondensation in Gang bringen. Die Wälder produzieren diese Aerosole mithilfe von Pollen, Sporen und Bakterien, diese reagieren und oxidieren in der Atmosphäre und bilden das Gerüst für Kristalle, die die Transpiration wieder ankurbeln."
Im August 2012 hatten Mainzer Chemiker im US-Fachmagazin SCIENCE geschrieben, dass Kaliumsalze aus Pilzen und Pflanzen die Bildung von Aerosolpartikeln starten. Das würde bedeuten, dass der Regenwald seinen eigenen Niederschlag produzieren kann. Jedoch sei diese Erkenntnis im Prinzip auch nur ein winziges Detail, so Antonio Manzi.
"Dieser ganze Austausch von Material, Gas und Energie in den tieferen Ebenen des Regenwaldes und der unteren Atmosphäre ist unglaublich komplex, meiner Meinung nach das letzte ungelöste Rätsel in der klassischen Physik."
Der Schuh drückt ihn noch an anderer Stelle. Nachts beginnen die Pflanzen, den am Tag produzierten Zucker zu verbrennen und geben anschließend Kohlendioxid ab. Der Boden kühlt jedoch gleichzeitig aus. Dadurch steigt weniger warme Luft auf und das Kohlendioxid kann von den Sensoren oben an den Messtürmen nicht erfasst werden. Die daraus folgende fehlerhafte Interpretation: Das CO2 wird gespeichert. In Wahrheit wird es aber nicht aufgenommen, sondern zum Teil sogar über Bachläufe aus dem Wald gespült. Um diesen Messfehler zu vermeiden, haben die Forscher das bilaterale ATTO-Projekt zwischen Brasilien und Deutschland gestartet. ATTO steht für Amazonian Tall Tower Observatory. 320 Meter hoch soll der Messturm werden, der Ende des Jahres 150 Kilometer nordöstlich von Manaus seine Arbeit aufnehmen soll, so hoch, dass er keine Unterschiede mehr zwischen Tag- und Nacht-Emission erkennen kann.
"Mit dem großen Messturm werden wir bessere Daten erhalten und die Mechanismen des Austauschs zwischen dem Boden und der Atmosphäre besser verstehen können, diese ganzen Zyklen. Das Ziel ist wirklich zu begreifen, wie diese Wolkenbildung mit den Prozessen am Boden zusammenhängt."