Wie im Rausch

Von Silke Hahne |
Einkaufen ist für manche Menschen eine Art Hobby, das darin besteht, am Ende möglichst viel für möglichst wenig Geld in einer Tüte zu haben. Die Qualität der Produkte oder die Arbeitsbedingungen, die in den Fabriken der Hersteller herrschen, werden dabei gerne mal ausgeblendet.
Schon auf dem U-Bahnhof kommen mir die Menschen mit den großen, braunen Papiertüten entgegen. "Super Mode - super Preise" steht da auf Englisch in hellblauer Kursivschrift. Auf der Straße nimmt ihre Dichte zu: Mit zwei, drei, vier Beuteln sitzen sie in den Straßencafés vor dem Einkaufszentrum in Berlin-Steglitz und präsentieren stolz ihre Beute.

"Einfach eingepackt, alles was uns gefallen hat, einfach rein damit"

"Ganz ehrlich, ob ich jetzt 20 Euro bei H&M dafür bezahle, oder für die Hälfte, es ist egal. Die Sachen, von der Qualität her ist mittlerweile alles das Gleiche, alles Made in China, für wenig Geld."

"Also, wenn ich für ein Druck-T-Shirt nur drei Euro zahle, das kriegste ja nirgendswo günstiger, ne. Und sieht noch gut aus."

Einfach rein damit, ohne eine Sekunde nachzudenken, wie im Rausch. Wie das wohl ist?

Ich schlängele mich durch den Strom zur Quelle. Die Papiertütenträger strömen aus dem Laden im ersten Stock.

Ein Riesenstoffbeutel fürs Getümmel
Der breite Eingang wird von zwei Wachleuten flankiert. Ob Leute auch hier, im Billigklamottenparadies, klauen? Direkt hinter den Wachleuten liegen kniehoch aufgestapelt zusammengelegte graue Stoffbeutel. Ich nehme mir einen und bin verwundert über die Ausmaße, als er in meiner Hand auseinanderklappt: etwa 40 Zentimeter hoch und lang, dann noch mal 20 Zentimeter breit. Da geht Einiges rein. Bei den etwa 5000 Quadratmetern Ladenfläche, vor denen ich jetzt stehe, ist das wohl auch nötig. Also rein ins Getümmel, der Laden ist gut voll, an jedem Kleiderständer stehen mindesten drei, meistens junge Frauen zwischen 14 und 19.

Vorne, die Basics: Shirts mit kurzen oder langen Ärmeln, einfarbig, klarer Schnitt. Vier, fünf quadratische Regale voll, kinnhoch beladen. Zwischen einem und vier Euro kostet so ein Shirt, eigentlich kein Preis, denke ich. Manche Kunden wollen es trotzdem genau wissen:

"Entschuldigung! Doch mal gleich 'ne Frage. Hier steht einerseits ab 3,50 Euro, andererseits ab ein Euro. Hier steht vier Euro. Sind die jetzt..." - "Hier, die sind für 3,50 Euro."

Billig ist also nicht gleich billig. Das merke ich weiter hinten im Laden. Hier hängen etwas aufwendigere Teile, modisch, mit Pailletten besetzt oder einem raffinierten Schnitt. Die Sachen kosten schon mehr. Ich erwische mich bei dem Gedanken: 13 Euro für eine Bluse - ganz schön teuer! Der Billigrausch erwischt mich wohl auch gerade.
Trotzdem nehme ich noch ein paar Teile von der Stange, langsam füllt sich mein grauer Beutel - und mein Kopf. Ich merke, dass ich gar nicht mehr richtig hingucke, viele Teile gleichen sich bis auf einige Details, alle Schnitte gibt es in mehreren Farben.
Auf dem Weg zur Umkleide kommt mir eine Reinigungskraft entgegen, mit ihrem überdimensionalen Wischmopp schiebt sie heruntergefallene Kleiderbügel und T-Shirts über den Boden.

Mit sieben Teilen in die Umkleide
Der Bereich vor den Umkleiden ist eine Wohltat für meine überlasteten Sinne. Die Wände sind schwarz gestrichen, das Licht ist dämmrig, hier ist es auch ruhiger. Plötzlich packt mich der Gedanke, ich könnte zu viele Teile haben. Aber kein Problem, die Verkäuferin zählt durch:

"Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben."

Sieben. Mein Stapel ist etwa drei Mal größer, als wenn ich sonst einkaufen gehe.

Verkäuferin: "Bitteschön!"

Die Verkäuferin reicht mir meine Plastikkarte - trotz der zehn Leute, die ungeduldig hinter mir in der Schlange warten - mit einem netten Lächeln. Etwa 20 Kabinen gibt es, fast alle sind belegt. In den Umkleiden um mich rum: Junge Mädchen, die kritisch und ein bisschen aufgekratzt ihre Beute begutachten.

Auch ich beäuge den Inhalt meines Beutels im grellen Licht, richtig gut sitzen die Teile nicht, ich entscheide mich trotzdem für zwei, kost' ja nix, denke ich. Den Rest gebe ich zusammen mit der Plastikkarte am Ausgang des Umkleidebereichs ab:

"Hallo, was kommt bei ihnen zurück?" - "Das" - "Kann ich die Karte haben?"

Der Verkäufer zählt durch, alles klar:
"Dankeschön, tschüss."

Geschafft, denke ich, aber dann packt es mich noch mal. Auf dem Weg zur Kasse stecke ich noch Kleinkrams ein: Haarklammern, Socken, Ohrringe, alles um einen Euro.

Klamottenberge an den Kassen
Dann fädele ich mich in die Schlange. Wie am Flughafen führt die in langen Bahnen bis zu den rund 20 Kassenschaltern.

Am Ende der Bahn muss ich warten, bis mir eine Computerstimme mitteilt:

"Kasse vier, bitte!"

An den Kassen neben mir türmen sich Berge von Klamotten, die keiner wirklich braucht und die trotzdem irgendjemand, irgendwo nähen muss. 70 Euro hier, 120 Euro da. Es läppert sich. Der Inhalt meiner Stofftasche ist auf einen Bodensatz zusammengeschrumpft.

Verkäuferin: "So, dann macht's 17 Euro, mit Karte, einmal hier unten reinstecken."

Ich kriege meine mickrige, braune Tüte in die Hand gedrückt und schlängele mich vorbei an Bergen aus bunten Jeans, 10 Euro das Stück, in den Strom aus braunen Papiertüten.
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