Wie in einem totalitären System

Ralf Meutgens, früher selbst Amateurrennfahrer und –trainer, zog sich Ende der 80er Jahre angewidert aus der Welt des Radsports zurück. Schon damals durchschaute er das System des flächendeckenden Dopings. In einer beinahe nur auf Leistung fixierten Gesellschaft, wo nur der Beste etwas zählt, ist Betrug eine fast schon zwangsläufige Folge.
Dass im Profiradsport besonders exzessiv gedopt wird, ergibt sich aus dem speziellen Anforderungsprofil der Disziplin. Besondere technische Fertigkeiten sind im Sattel kaum gefragt. Was zählt, ist die Ausdauerleistung und diese lässt sich zum Beispiel mit EPO steigern. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen dopen etwa 80 Prozent der Radprofis.

Ralf Meutgens lässt als Herausgeber viele Experten zu Wort kommen, die die Dopingproblematik in einzelnen Beiträgen jeweils aus ihrer wissenschaftlich fundierten Perspektive analysieren. Dabei liest sich das Buch trotzdem wie aus einem Guss, weil die Probleme oft sehr dicht beieinander liegen. Für den Leser ist das ein absoluter Gewinn, weil sich dadurch ein sehr dichtes und facettenreiches Bild ergibt.

Der Sportsoziologe Dr. Sascha Severin, früher selbst ein erfolgreicher Bahnradnationalfahrer, berichtet von Strukturen innerhalb des Bundes Deutscher Radfahrer, die Doping begünstigen. Im leistungsorientierten System beim BDR findet seiner Ansicht nach bereits eine Sozialisation des Dopings statt. Die Strukturen vergleicht Severin mit denen eines totalitären Systems. Widerspruch wird nicht geduldet. Wer nicht spurt, bekommt Druck.

Fahrer werden von Trainern und medizinischen Betreuern an feste Abläufe und Nahrungsergänzungsmittel gewöhnt. Vor den Rennen werden regelmäßig Schmerzmittel wie Aspirin verteilt. Die jungen Fahrer werden Teil des Systems, glauben fest daran, dass Leistungen gar nicht anders zu erreichen sind. Die Übergänge zu den Profis sind fließend. Wer nicht bereit ist, um Spitzenleistungen zu erreichen, auch zu verbotenen Mitteln zu greifen, bekommt in den Rennställen keinen Vertrag.

In den Teams haben meist ehemalige Fahrer das Sagen, die auch im Profisystem groß wurden und nie etwas anderes kennen gelernt haben. Wer alles auf die Karte Radsport setzt und seine berufliche Ausbildung vernachlässigt, steht unter Umständen plötzlich vor dem Nichts. In den Mechanismen und Philosophie unterscheidet sich der Berufssport kaum vom System des in der DDR praktizierten Staatsdopings. Ein Teufelskreis.

Kriminelle Netzwerke machen inzwischen weltweit mit Dopingpräparaten Milliardenprofite. Dabei zählen nicht nur Radrennfahrer oder Profis aus anderen Sportarten zu ihren Abnehmern. Mittlerweile nehmen auch immer mehr Bodybuilder oder Breitensportler große gesundheitliche Risiken in Kauf, um ihre Vorstellungen von Leistungsfähigkeit oder einem bestimmten Schönheitsideal umzusetzen.

In Ralf Meutgens´ "Doping im Radsport" beschreiben Sportmediziner die möglichen Folgen des Medikamentenmissbrauchs. Nicht nur im DDR-Leistungssportsystem wurden die Athleten nicht informiert. Über Folgen des Anabolikamissbrauch, der unter anderem krankhafte Veränderungen im Muskel- und Sehnenapparat sowie Herz-Kreislauf-Nebenwirkungen und Leberschäden verursachen kann, wurde nicht aufgeklärt.

Auch Erythropoietin (EPO), ein Hormon, das bei Nierenpatienten die Bildung von roten Blutkörperchen ankurbeln soll, kann beispielsweise bei Missbrauch fatale Folgen für gesunde Sportler haben. Es drohen Thrombosen oder steigender Blutdruck, der unter Belastung zum plötzlichen Herztod führen kann. Aber auch viele, die Bescheid wissen, gehen die Risiken ein. Einfach zu verlockend ist die Aussicht, an das ganz große Geld zu kommen.


Rezensiert von Thomas Jaedicke


Ralf Meutgens (Hrsg.): Doping im Radsport
Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2007, 318 Seiten, 18 Euro