"Wie kleine Mädchen behandelt"
Der ehemalige Vize-Regierungssprecher Thomas Steg sieht in der Übernahme der Hartz-IV-Verhandlungsführung durch die Länder eine spektakuläre Inszenierung. Die beteiligten Ministerpräsidenten wollten dem Bund mal zeigen, "was eine Harke ist."
Gabi Wuttke: Drei Länderchefs übernahmen das Kommando: Sie wollten das Problem Hartz IV ohne den Bund regeln. Fünf Euro plus, 500 Millionen wollen die Herren Beck, Böhmer und Seehofer. Die Kanzlerin und ihr Koalitionspartner sind entsetzt, bei der SPD schickt man die Fraktion vor, um den Alleingang vorsichtig zu kritisieren. Für Sonntag ist nun eine große Runde anberaumt. Im Deutschlandradio Kultur begrüße ich jetzt Thomas Steg, der Regierungssprecher unter Rot-Grün und Schwarz-Rot ist inzwischen Politikberater, und schon viel länger ist er Psychologe. Guten Morgen, Herr Steg!
Thomas Steg: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Ist die Aktion ein Coup, zu dem Sie geraten hätten?
Steg: Ach na ja, es ist schon ein bisschen spektakulär inszeniert, aber wer Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat kennt, der wird sich erinnern, dass schon öfter mal Ministerpräsidenten in so einer scheinbar ausweglosen Situation Verhandlungen übernommen haben, um zu demonstrieren, dass die Länder noch wichtig sind, und dem Bund mal zu zeigen, was eine Harke ist.
Wuttke: Ist der Umstand, dass wir es mit einem wahkämpfenden, einem scheidenden und einem angeschlagenen Ministerpräsidenten zu tun haben, höher zu bewerten als die Tatsache, dass zwei Unionisten sich mit einem Sozialdemokraten zusammengetan haben?
Steg: Ich glaube, ist kein Schelm, wer Arges dabei denkt, dass, wo wie Sie es beschrieben haben, zwei Ministerpräsidenten dabei – selbst wenn einer, Wolfgang Böhmer aus Sachsen-Anhalt ausscheidet – jetzt in Wahlkämpfen sich befinden. Es ist einfach das Gefühl da, die Politik würde eine unendliche Blamage erleiden, wenn man sich bei dieser Hartz-IV-Reform nicht einigt.
Wuttke: Das heißt, Sie glauben tatsächlich, da ist altruistisches Handeln am Werk?
Steg: Nein, da ist nicht altruistisches Handeln am Werk, denn bei Lichte betrachtet wissen Politiker sehr genau: Das ist keine populäre Reform, weder bei den Betroffenen, die das Gefühl haben, damit wird man ihren alltäglichen Lebensumständen nicht gerecht, noch bei denen, die seit zehn Jahren das Gefühl haben, dass die persönlichen Einkommen nicht steigen, dass die kommunalen Abgaben steigen, dass jedenfalls nicht mehr im Portemonnaie ist, und jetzt wird mehr für die sozial Schwachen und für die Bedürftigen getan. Das ist keine populäre Reform, damit kann Politik nicht gewinnen, aber wenn man sich nicht einigt, kann Politik viel verlieren.
Wuttke: Aber ‚nah am Menschen zu sein’ ist doch eine Formulierung, mit der man immer punkten kann?
Steg: Das glaube ich ist eine sehr vernünftige Formulierung, das erwarten die Menschen auch. In dieser Situation war es nur so: Wer setzt sich am Ende durch? Und hier geht es weniger um persönliche Interessen von drei älteren Politikern, sondern es geht darum, dass die Länder die große Chance wittern, dem Bund mehr Geld abzuknöpfen am Ende, als am Anfang zu vermuten gewesen ist. Das hat es schon öfter gegeben, sowohl unter dem Bundeskanzler Gerhard Schröder oder auch davor bei Helmut Kohl oder bei noch älteren Kanzlern.
Wuttke: Aber man könnte doch auch sagen, das Signal, das sehr viel stärker leuchtet als das, was Sie eben beschrieben haben, ist: Seht her, in uns Altgedienten ist mehr Saft als im jungen Gemüse.
Steg: Ja, das stimmt, das ist sozusagen der Bellheim-Faktor in der Politik, es gibt dann immer mal wieder Situationen, da kommen dann die älteren, grauhaarigen Männer und düpieren die jungen Männer, und in diesem Fall waren es jüngere und zudem blonde Frauen, ja.
Wuttke: Und wer ist jetzt von den dreien Mario Adorf?
Steg: Das überlasse ich Ihnen.
Wuttke: Na ja, es ist ja immer so, bei Horst Seehofer, den kennt man ja schon, der verfährt ja nach dem Motto: Wo ich bin, ist oben. Aber weshalb genau sind die anderen beiden vielleicht besonders interessant? Ich meine, wir haben eben einen Ministerpräsidenten, der der Dienstälteste ist, ein geschasster SPD-Chef, der bleiben möchte in seinem Ländle, was er ist.
Steg: Ja. Also sicherlich geht es darum, dass ein Wahlkämpfer natürlich schaut, wie er auch aus solchen bundespolitischen Themen Honig saugen kann für seine eigene Situation im Lande, aber ich glaube, wir sollten dem jetzt nicht zu viel taktisches Interesse unterstellen. Sie sehen einfach auch die Verantwortung, die sie als Ministerpräsidenten haben, und häufig sind diese Ministerpräsidenten dann einfach diejenigen, die sagen: Ich muss aus der Sicht meines Landes einfach einen Abschluss tätigen. Es geht um Unterstützung des Bundes für die Kommunen, es geht um Summen zusätzlich für Schulsozialarbeiter, und vielleicht können die Länder noch ein bisschen mehr raushandeln. Das ist einfach so verlockend jetzt in Zeiten knapper Kassen, einmal zuzuschlagen und sich beim Bund zu bedienen, und das einigt dann die Ministerpräsidenten, ob rot oder schwarz.
Wuttke: Und dass sie die offiziellen Verhandlungsführerinnen Ursula von der Leyen und Manuela Schwesig vor die Tür gesetzt haben, das ist kein Akt eines kurzzeitigen Bastas älterer Herren?
Steg: Nein, das ist eher die Situation, dass jetzt die Länder sozusagen die Regie übernommen haben. Die beiden Frauen Ursula von der Leyen und Manuela Schwesig waren zwar die Verhandlungsführerinnen, sie haben diesen Verhandlungen bislang ihr Gesicht gegeben gewissermaßen, aber sie waren niemals die Regisseurinnen dieses Aktes. Das waren die Parteizentralen, die politischen Machtzentralen - das Kanzleramts, die Präsidien der Parteien. Also sie waren nicht aus eigener Kraft entscheidungs- und einigungsbefugt. Das sind aber die Ministerpräsidenten. Also hier haben die Länder sozusagen den Bund abgelöst, das hat es gelegentlich schon gegeben. Es ist aber natürlich für die öffentliche Wahrnehmung von großem Interesse, dass zwei Frauen, die noch nicht am Ende ihrer Karriere sind…
Wuttke: Durchaus nicht.
Steg: … durchaus nicht, dass die jetzt sozusagen vorgeführt werden, wie kleine Mädchen behandelt werden, so hat man ja den Eindruck, von den älteren Herren in der Politik.
Wuttke: Beck, Böhmer und Seehofer und ihr Einsatz für die Reformreform von Hartz IV, dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der Politikberater Thomas Steg, einstiger Regierungssprecher. Ich danke Ihnen sehr, schönen Tag!
Steg: Danke schön, ebenfalls!
Thomas Steg: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Ist die Aktion ein Coup, zu dem Sie geraten hätten?
Steg: Ach na ja, es ist schon ein bisschen spektakulär inszeniert, aber wer Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat kennt, der wird sich erinnern, dass schon öfter mal Ministerpräsidenten in so einer scheinbar ausweglosen Situation Verhandlungen übernommen haben, um zu demonstrieren, dass die Länder noch wichtig sind, und dem Bund mal zu zeigen, was eine Harke ist.
Wuttke: Ist der Umstand, dass wir es mit einem wahkämpfenden, einem scheidenden und einem angeschlagenen Ministerpräsidenten zu tun haben, höher zu bewerten als die Tatsache, dass zwei Unionisten sich mit einem Sozialdemokraten zusammengetan haben?
Steg: Ich glaube, ist kein Schelm, wer Arges dabei denkt, dass, wo wie Sie es beschrieben haben, zwei Ministerpräsidenten dabei – selbst wenn einer, Wolfgang Böhmer aus Sachsen-Anhalt ausscheidet – jetzt in Wahlkämpfen sich befinden. Es ist einfach das Gefühl da, die Politik würde eine unendliche Blamage erleiden, wenn man sich bei dieser Hartz-IV-Reform nicht einigt.
Wuttke: Das heißt, Sie glauben tatsächlich, da ist altruistisches Handeln am Werk?
Steg: Nein, da ist nicht altruistisches Handeln am Werk, denn bei Lichte betrachtet wissen Politiker sehr genau: Das ist keine populäre Reform, weder bei den Betroffenen, die das Gefühl haben, damit wird man ihren alltäglichen Lebensumständen nicht gerecht, noch bei denen, die seit zehn Jahren das Gefühl haben, dass die persönlichen Einkommen nicht steigen, dass die kommunalen Abgaben steigen, dass jedenfalls nicht mehr im Portemonnaie ist, und jetzt wird mehr für die sozial Schwachen und für die Bedürftigen getan. Das ist keine populäre Reform, damit kann Politik nicht gewinnen, aber wenn man sich nicht einigt, kann Politik viel verlieren.
Wuttke: Aber ‚nah am Menschen zu sein’ ist doch eine Formulierung, mit der man immer punkten kann?
Steg: Das glaube ich ist eine sehr vernünftige Formulierung, das erwarten die Menschen auch. In dieser Situation war es nur so: Wer setzt sich am Ende durch? Und hier geht es weniger um persönliche Interessen von drei älteren Politikern, sondern es geht darum, dass die Länder die große Chance wittern, dem Bund mehr Geld abzuknöpfen am Ende, als am Anfang zu vermuten gewesen ist. Das hat es schon öfter gegeben, sowohl unter dem Bundeskanzler Gerhard Schröder oder auch davor bei Helmut Kohl oder bei noch älteren Kanzlern.
Wuttke: Aber man könnte doch auch sagen, das Signal, das sehr viel stärker leuchtet als das, was Sie eben beschrieben haben, ist: Seht her, in uns Altgedienten ist mehr Saft als im jungen Gemüse.
Steg: Ja, das stimmt, das ist sozusagen der Bellheim-Faktor in der Politik, es gibt dann immer mal wieder Situationen, da kommen dann die älteren, grauhaarigen Männer und düpieren die jungen Männer, und in diesem Fall waren es jüngere und zudem blonde Frauen, ja.
Wuttke: Und wer ist jetzt von den dreien Mario Adorf?
Steg: Das überlasse ich Ihnen.
Wuttke: Na ja, es ist ja immer so, bei Horst Seehofer, den kennt man ja schon, der verfährt ja nach dem Motto: Wo ich bin, ist oben. Aber weshalb genau sind die anderen beiden vielleicht besonders interessant? Ich meine, wir haben eben einen Ministerpräsidenten, der der Dienstälteste ist, ein geschasster SPD-Chef, der bleiben möchte in seinem Ländle, was er ist.
Steg: Ja. Also sicherlich geht es darum, dass ein Wahlkämpfer natürlich schaut, wie er auch aus solchen bundespolitischen Themen Honig saugen kann für seine eigene Situation im Lande, aber ich glaube, wir sollten dem jetzt nicht zu viel taktisches Interesse unterstellen. Sie sehen einfach auch die Verantwortung, die sie als Ministerpräsidenten haben, und häufig sind diese Ministerpräsidenten dann einfach diejenigen, die sagen: Ich muss aus der Sicht meines Landes einfach einen Abschluss tätigen. Es geht um Unterstützung des Bundes für die Kommunen, es geht um Summen zusätzlich für Schulsozialarbeiter, und vielleicht können die Länder noch ein bisschen mehr raushandeln. Das ist einfach so verlockend jetzt in Zeiten knapper Kassen, einmal zuzuschlagen und sich beim Bund zu bedienen, und das einigt dann die Ministerpräsidenten, ob rot oder schwarz.
Wuttke: Und dass sie die offiziellen Verhandlungsführerinnen Ursula von der Leyen und Manuela Schwesig vor die Tür gesetzt haben, das ist kein Akt eines kurzzeitigen Bastas älterer Herren?
Steg: Nein, das ist eher die Situation, dass jetzt die Länder sozusagen die Regie übernommen haben. Die beiden Frauen Ursula von der Leyen und Manuela Schwesig waren zwar die Verhandlungsführerinnen, sie haben diesen Verhandlungen bislang ihr Gesicht gegeben gewissermaßen, aber sie waren niemals die Regisseurinnen dieses Aktes. Das waren die Parteizentralen, die politischen Machtzentralen - das Kanzleramts, die Präsidien der Parteien. Also sie waren nicht aus eigener Kraft entscheidungs- und einigungsbefugt. Das sind aber die Ministerpräsidenten. Also hier haben die Länder sozusagen den Bund abgelöst, das hat es gelegentlich schon gegeben. Es ist aber natürlich für die öffentliche Wahrnehmung von großem Interesse, dass zwei Frauen, die noch nicht am Ende ihrer Karriere sind…
Wuttke: Durchaus nicht.
Steg: … durchaus nicht, dass die jetzt sozusagen vorgeführt werden, wie kleine Mädchen behandelt werden, so hat man ja den Eindruck, von den älteren Herren in der Politik.
Wuttke: Beck, Böhmer und Seehofer und ihr Einsatz für die Reformreform von Hartz IV, dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der Politikberater Thomas Steg, einstiger Regierungssprecher. Ich danke Ihnen sehr, schönen Tag!
Steg: Danke schön, ebenfalls!