Wie Leipzig aus dem Schneider kam

Von Adama Ullrich |
1989 - gleich nach der Wende - besuchte er Leipzig. Nicht als hungriger Tourist, sondern als satter Unternehmer. Die Stadt war nur an wenigen Stellen wirklich schön. Doch vor dem Hintergrund grauer Fassaden, verfallener Gründerzeitbauten und ramponierter Passagen entwickelte Dr. Jürgen Schneider den Gedanken von seinem ganz persönlichen Wiederaufbau.
In atemberaubendem Tempo erwarb er 60 Gebäudekomplexe. Politiker, Banken und Denkmalschutz halfen ihm dabei. Irgendwann wurden aus üppigen Krediten maßlose Schulden. Die Flucht nach Florida schützte ihn vor Verfolgung nicht - 1997 verurteilte ihn die Justiz zu einer vergleichsweise milden Gefängnisstrafe, weil den Banken eine Mitschuld nachgewiesen werden konnte. Seine Projekte wurden in den Folgejahren von neuen Investoren umgesetzt. Der Stadtrundgang "Jürgen Schneider und seine Immobilien in Leipzig" erinnert an dieses kurze Stück Zeitgeschichte.

"Leipzig erleben, Knote. Guten Tag. Der Schneiderrundgang. Ja, der Schneiderrundgang, der geht immer zwei Stunden, ist meist an einem Sonntag, kostet 8 Euro und findet wieder im Januar statt, im Januar 2008, am 06.01. ... Ja, ich kann gerne eine Reservierung für Sie vornehmen. Drei Personen. Auf welchen Namen? Dankeschön."

Anke Knote ist Geschäftsführerin von "Leipzig erleben". Das Tourismusunternehmen bietet thematische Stadtrundfahrten und Rundgänge an. Es gibt Bach- und Mendelssohn-Bartholdy-Touren, Rundgänge auf den Spuren Luthers und Goethes und Mundarttouren. Doch kein Angebot verkauft sich so gut wie der Schneiderrundgang.

Anke Knote: "Die Schneidertour ist eine Tour, die zu den Rennern gehört. Sie ist immer über 80-90 Prozent ausgebucht. In Zahlen bedeutet das: 100 Prozent Auslastung sind bei uns 25 Personen, mehr Personen sind dann unübersichtlich. Diese 25 Personen haben wir meist erreicht und müssen Sondertouren auflegen und die Gäste auf andere Termin umlenken, sonst hat das keinen Sinn."

Thorsten Plate: "Der Hof wird geprägt durch glasierte blaue und weiße Ziegel, durch sehr große Fenster, weil man viel Licht brauchte, um die Qualität der Pelze zu prüfen. Die Gebäude sind vieretagig und haben eine Jugendstil-Bleiverglasung im Treppenhaus."

Die Rede ist von Steibs Hof im ehemaligen Pelzviertel von Leipzig, einem aufwendig sanierten Gründerzeitgebäude.

Thorsten Plate: "Das ist eines der Objekte, das im Immobilienbestand von Dr. Jürgen Schneider gewesen ist."

"Jürgen Schneider und seine Immobilien in Leipzig". Seit 1997 organisieren diesen Rundgang zwei Gästeführer - einer von ihnen ist Thorsten Plate

Thorsten Plate: "Die Mädler-Passage gehörte zu den ganz wenigen Gebäuden in der Innenstadt, die nur unwesentlich Kriegsschäden erlitten haben. Aufgrund der Tatsache, dass es auch zu DDR-Zeiten als Ausstellungshaus genutzt wurde, war sie in relativ gutem Zustand. Es ist eines der Filetstücke unter den Immobilien der Leipziger Innenstadt gewesen."

An diesem Objekt hatte Schneider ganz besonders großes Interesse.

Thorsten Plate: "Er hat hier etwas getan, was er nach eigener Aussage scheute wie der Teufel das Weihwasser. Man mag es nicht glauben, aber es hat den Fall in Leipzig gegeben, wo er eigenes, privates Kapital eingesetzt hat, um in den Besitz von 60 Prozent der Passage zu kommen..."

Doc Schneider, wie er von vielen Leipzigern genannt wird, liebte große Auftritte. Zu jeder Gelegenheit erschien er mit teuren Anzügen, schicken Krawatten und feinen Lederschuhen - auf dem Kopf stets eines seiner 16 Toupets. So hat ihn auch der damalige Baustadtrat Nils Gormsen kennen gelernt.

Nils Gormsen: "Ich erinnere mich noch sehr gut, dass das im ehemaligen Hotel Fürstenhof stattfand. Das hieß damals noch International und war aber schon geschlossen. Es sollte modernisiert, umgebaut werden. Wir hatten einen Termin mit einer Dame, die das Hotel, wie mir schien, erworben hatte. Doch statt der Dame kam ein Herr mit Toupet und stellte sich als Jürgen Schneider vor."

Schneider zögerte nicht lange, wie so viele andere potenzielle Investoren, er kaufte das Hotel - trotz eines erheblichen finanziellen Aufwands.

Nils Gormsen: "Es ging darum, dass das Hotelgebäude, was unter Denkmalschutz steht, für einen wirtschaftlichen Betrieb eigentlich zu klein ist und die wollten das aufstocken. Das geht aber nicht ohne weiteres zu machen. Deshalb machte man eine Begehung. ... Ich muss sagen, mit Schneider kam man eigentlich sehr gut zurecht - wir als Baubehörde und Denkmalsschutz, weil er nicht, wie viele andere Investoren, sagte, muss das sein. Nein, er ging auf viele Ideen ein, hat zum Beispiel für den Bartels-Hof, das ist vielleicht das wichtigste Projekt, das er begonnen hat, hat er gleich noch die Grundstücke drum herum erworben, das heißt er hatte die Option darauf."

Thorsten Plate: "... Für jeden Bauherren ist es natürlich grauenhaft, wenn die Landesarchäologen die Baustelle erst mal für Wochen stilllegen. Das kostet unendlich viel Geld. Schneider hat diese Ausgrabung mitfinanziert und hat bewusst seine Baustelle still gelegt, hat auch am Tag des offenen Denkmals die Führungen finanziert. Das heißt, auf der Seite hatte er ein positives Feedback von den entsprechenden staatlichen Behörden gehabt aber auch von der Öffentlichkeit, die es genial fand, dass hier nicht einfach der Bagger durchgesaust ist, sondern dass das alles akribisch geborgen worden ist."

Jürgen Schneider wurde 1934 in Frankfurt am Main geboren. Sein Vater war Bauunternehmer. Nach Schulbesuch, Lehre und Studium stieg Schneider in das väterliche Bauunternehmen ein. In den 80er Jahren gehörte er zu den erfolgreichsten Immobilienunternehmern der Bundesrepublik. Dann kam die Wende.

Nils Gormsen: "... Da kamen sie alle her und dachten, hier kann man das Riesengeld machen, in den ersten fünf Jahren. Es gab ja keine Wohnungen, es gab keine Büros, keine Hotels, es war nichts da. Das zog nun alle Leute an und man hatte wohl den Eindruck, dass Leipzig mal das Frankfurt des Ostens werden würde. Hier haben sich auch alle Banken angesiedelt und Berlin war noch nicht so richtig am Horizont, damals war noch Bonn die Hauptstadt. Hier sind dann gleich die Grundstücks- und Immobilienpreise in die Höhe geschnellt und jeder dachte, da muss er noch etwas von abkriegen."

Auch Jürgen Schneider kam. Er hatte sich rund 60 Gebäudekomplexe an Land gezogen - die Sahnehäubchen unter den Leipziger Gründerzeitgebäuden - auch wenn es damals viel Phantasie kostete, sie als solche zu erkennen.

Nils Gormsen: "Die Dächer waren undicht, die Dachrinnen waren nicht mehr da, es wuchs Gras aus den Dächern."

Nils Gormsen war von 1990 bis 1995 Baustadtrat in Leipzig. Er ist von Mannheim in die boomende Sachsenmetropole gekommen und war begeistert.

"Da Leipzig wenig Kriegsschäden hatte, im Gegensatz zu Dresden, ist hier im Zentrum vieles erhalten. Wir mussten nichts grundsätzlich ändern, sondern nur dafür sorgen, dass die Qualität erhalten und wieder hergestellt wird. Das haben am Anfang Leute wie Schneider gemacht oder andere Investoren - Sie wissen, Investoren heißen so, weil sie aus dem Westen kamen: 'In-West-Toren'."

Thorsten Plate: "Barthels Hof ist ein Barockes Ensemble, Mitte des 18. Jahrhunderts als Messehof entstanden. ... Dieses Ensemble war im hochgradigen Stadium des Verfalls, als Gebäudekomplex bereits zu DDR-Zeiten baupolizeilich gesperrt. Barthels Hof war das einzige Objekt, was wirklich begonnen war, als Dr. Jürgen Schneider Anfang April 1994 abgetaucht ist."

Das plötzliche Verschwinden Schneiders war für alle ein Schock - vor allem für die vielen kleinen Handwerksfirmen, die sich mühten, Schneiders hohen qualitativen Ansprüchen zu genügen.

Roland Wetzel: "Da wir vorwiegend in der Leipziger Innenstadt gebaut haben, sind wir an diesem Mann gar nicht vorbei gekommen und haben zu dieser Zeit, 1994, an fünf Baustellen zugleich für die Schneidergruppe gearbeitet. ... Zentralmessepalast, Fürstenhof, Barthels Hof, Weberhof... fünf Baustellen, daran erinnere ich mich noch genau und auch die Zahl unseres Rechnungsausfalls ist mir noch sehr bewusst in den Ohren. Wir haben als junge Firma damals 864.000 DM Netto eingebüsst."

Roland Wetzel ist Geschäftsführer der Wetzel Bau & Restaurierungswerkstätten Der studierte Bildhauer, der auch Steinmetz und Bronzegießer gelernt hat, glaubte, nach der Wende nicht mehr von seiner Kunst leben zu können. Da es in Leipzig und Umgebung mehr als genug zu restaurieren gab, hat er die Handwerksfirma gegründet. Wetzels Plan ging auf. Der Restaurierungsbetrieb lief auf Hochtouren - nicht zuletzt durch Schneiders unstillbaren Investitionshunger. Die Nachricht von seiner Flucht hat Roland Wetzel kalt erwischt.

"Wir hatten in diesem Jahr spät Winterurlaub gemacht und waren zurück gekommen. Ich fahre früh zur Arbeit und im Radio kommt ein Bericht, dass der Herr Schneider flüchtig wäre. Ich habe an eine Ente gedacht. Dieser Mann, der so in der Öffentlichkeit steht, auf der Flucht. Das war mir nicht vorstellbar. Als ich in den Betrieb kam, wurde die Sache langsam ernst. Ich bin sofort nach Leipzig auf die Baustellen gefahren. Alle Firmen, die noch irgendetwas retten konnten, haben das gemacht. Sprich Fensterbauer, Heizungsbauer, die schraubten ab, was noch abzuschrauben war, und fuhren wieder heim, egal, was der Gesetzgeber dazu sagt. Das war schon sehr merkwürdig."

Nils Gormsen: "Die Projekte, die er vorgetragen hat, die waren alle sehr seriös. Er ist das auch seriös angegangen. Wo er das Geld her hat, dass fragt man bei einem Investor in der Regel nicht. Vielleicht heute eher, das ist aber nicht nur auf Leipzig bezogen, wo man fragt, wo nehmen die das Geld her. Es gab damals solche Glücksritter, die uns alles Mögliche erzählt haben, da sind wir dann auch manchen Dingen nachgegangen und haben festgestellt, dass das Leute waren, die im Westen Pleite gegangen waren und nun hier ankamen und alles möglich uns vorgegaukelt haben. Da ist vieles auch geplatzt. Bei Schneider hatte man den Eindruck nicht. Vielleicht waren wir da auch zu blauäugig, aber warum hätten wir ihn hindern sollen?"

Die Blauäugigkeit ist für Nils Gormsen, den damaligen Baustadtrat, auch auf die Unerfahrenheit der städtischen Behörden zurückzuführen. Warum und woran hätten sie zweifeln sollen, noch dazu, wo die Banken dem Bauunternehmer aus Frankfurt das Geld quasi hinterher geworfen haben?

Nils Gormsen: "... Er hat immer gesagt, ich brauche nicht zu den Banken zu gehen. Ich habe ein Projekt, da brauche ich noch 20 Millionen. Die Banken müssen zu ihm gekommen sein und gesagt haben: Wollen Sie nicht noch mal, wir haben hier noch 70 Millionen. Er sei nie Bettler bei den Banken gewesen, die seien immer zu ihm gekommen."

Dabei hatte sich Schneider bereits in den 80er Jahren in Frankfurt verspekuliert und die Banken mit gefälschten Mietverträgen und durch Schönrechnerei nach Strich und Faden betrogen. Zweifel an seiner Seriosität konnte Schneider jedoch durch die Veräußerung eines von ihm aufwendig restaurierten Hotels in Frankfurt ausräumen, die ihm einen Gewinn von 200 Millionen DM bescherte.

Das Zentralmessegebäude in der Grimmasche Strasse, Ecke Neumarkt, ist eines der frühesten Objekte, die Schneider erworben hatte - bereits im Juli 1991.

Thorsten Plate: "Es ist Vorschrift bei den Banken, dass als Kaufpreis nur nachweisbare Summen kreditiert werden. Er hatte eine Lücke in seiner Finanzierung, musste die irgendwie füllen und hat zu diesem Zweck eine fingierte Rechnung über 29 Millionen DM produziert."

Das ging ganz einfach: Schneider hat sich von einem australischen Geschäftspartner Blankobögen geben lassen und darauf geschrieben:

Thorsten Plate: "... Wir bitten Sie, den Betrag von 29 Millionen, in Klammern, für die Abfindung von Anspruchstellern kurzfristig zu überweisen, damit der schnellen Unterzeichnung des Kaufvertrags nichts mehr im Wege steht. Das hat er dann durchs Fax gejagt, das Original ist vernichtet worden, ohne Unterschrift. Der zuständige Sachbearbeiter der Bank hat sozusagen seine Anforderungsliste, was brauche ich für Belege, abgehakt und hat dieses Fax dann in die Kreditakte geheftet. Dieser offensichtliche Betrug war es der Staatsanwaltschaft dann wert, dreieinhalb Jahre Haft allein für diesen Betrug zu beantragen."

Und noch eine Gaunerei ist Schneider gelungen, die die fahrlässige Gutgläubigkeit der Banken widerspiegelt. Nils Gormsen erinnert sich.

"Dass weiß ich hier vom Barthels Hof. Da kam der Vertreter der Bank, die das nun am Hals hatte, und hat sich von mir die Pläne zeigen lassen und da hat er festgestellt, dass Schneider seiner Bank ein Geschoss mehr mitgeteilt hatte als in Wirklichkeit der Fall war. Offenbar haben die sich nie die Pläne angeguckt."

Nachdem zu Jahresbeginn 1994 erste Gerüchte über finanzielle Schwierigkeiten in der Öffentlichkeit kursierten, teilte Schneider im April der Deutschen Bank seine Zahlungsunfähigkeit mit, und tauchte unter. Die Bank reagierte mit einer Strafanzeige gegen Schneider. Von seinen 5,3 Milliarden DM Gesamtschulden stammten allein 1,3 Milliarden von der Deutschen Bank.

Im Mai 1995 konnte das Ehepaar Schneider in Miami verhaftet werden. Im Februar 1996 wurde der Unternehmer an die Bundesrepublik ausgeliefert. In einem aufsehenerregenden Gerichtsverfahren vor dem Frankfurter Landgericht, zu dem vom Juni bis Dezember 1997 mehr als 50 deutsche Banker als Zeugen geladen wurden, ist Schneider am 23. Dezember 1997 zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Die Milde des Urteils erklärt sich aus der zumindest moralischen Mitschuld der Banken selbst, die den Immobilienschwindel fahrlässig zugelassen und damit erst ermöglicht hatten. Dafür kostete die Schneider-Pleite auch einigen Kreditgebern ihren Posten. Für die über 200 Handwerksbetriebe die für Schneider arbeiteten, brach erst einmal eine Welt zusammen.

Roland Wetzel: "Wir konnten weder was abbauen, noch wegschaffen. Wir hatten zunächst das Problem, dass von einem Tag auf den anderen 24 Mitarbeiter eine andere Aufgabe benötigten. ... Die hätten uns auf jeden Fall Geld gekostet, ob wir sie eingesetzt hätten oder nicht. Daran denken viele gar nicht, dass man sich viele wirkliche Verluste erst danach eingekauft hat. Denn Schneider war für Leipzig nicht nur eine große Nummer, was den Bauumfang anlangt. Er hat auch die Phantasie angeregt, was Preise anbelangt, was Sanierungsqualität anbelangt. So schnell war da kein Zweiter da, der in der Größenordnung bereit gewesen wäre, zu bauen."

Der Betrieb besaß eine gute Marktakzeptanz und hat relativ schnell Nachfolgeaufträge bekommen. Trotzdem haben die 864.000 DM Verlust das mittelständische Unternehmen fast ruiniert.

Roland Wetzel: "Die Banken wollten, dass der Unmut nicht all zu hoch kocht und haben eigentlich unverantwortliche Kredite herausgelegt. Jeder war froh, auch wir. Wir bekamen ein Überbrückungsdarlehen auf wenige Unterlagen hin von dieser besagten Großbank, die uns bestätigt hatte, dass Schneider sehr bonibel sei - und dass in einer Situation, in der wir klassisch überschuldet waren. Wir haben alle Tatbestände des Insolvenzrechts erfüllt. Wir hätten zum Insolvenzrichter gehen müssen und sagen: Schluss, Aus. ... Aber das kam damals für uns nicht infrage, wir waren sehr stolz auf das Geschaffene und hatten noch so eine sentimentale Vorstellung von Unternehmertum..."

Die Tilgungszeiten waren kurz. Der Kredit musste innerhalb von sechs Jahren zurückgezahlt werden - mit Zins und Zinseszins versteht sich.

Roland Wetzel: "Da kann man davon ausgehen, dass wir mindestens 1,1 Millionen wieder zur Bank geschafft haben. ... Das wären Erträge gewesen, die hätte man erwirtschaftet und als eigene Rücklagen verfügen können. Stattdessen gehörten sie der Bank. Man stand nach vielen Jahren Unternehmerschaft da und hatte bei weitem nicht eine Eigenkapitalquote, wie man sie hätte haben können. Dazu kamen die schlechter werdenden Zeiten. Und in unserem Gebiet kommen die Häuser nicht zu uns. Wir mussten bundesweit tätig werden."

Und das mit Erfolg. Heute haben die Wetzel Bau und Restaurierungswerkstätten 50 Mitarbeiter. Ihr Arbeitsgebiet hat sich auf Europa ausgedehnt. Zur Zeit restaurieren sie den Osloer Dom. Roland Wetzel ist zufrieden. Er denkt sogar darüber nach, bald wieder seiner künstlerischen Arbeit als Bildhauer nachzugehen.

Roland Wetzel: "Wenn man heute wieder lachen kann, bedeutet das nicht, dass man die ganze Zeit spaßig überstanden hat, sondern man hat viel Kraft und Nerven gelassen und hat mit der Familie gemeinsam doch sechs bis acht Jahre daran geknabbert und gekämpft."

Nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner auf sechs Jahre und neun Monate festgesetzten Strafe ist Jürgen Schneider Ende 1999 vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Er hat zwei Bücher über sein Leben und seine Zeit in Leipzig veröffentlicht, deren Erlös in einen Hilfsfond für geschädigte Handwerker fließt. Nach wie vor scheiden sich die Geister an keinem anderen so, wie an Jürgen Schneider - Baulöwe, Milliarden-Pleitier, Wohltäter.

Nils Gormsen: "Für Leipzig ist es gut, dass er keinen wirklichen Schaden angerichtet hat, dafür aber viele Dinge in Gang gesetzt hat, auf einer hohen Qualitätsstufe, was nicht immer der Fall war."

Roland Wetzel: "Die Häuser, so wie sie heute da stehen, wie sie Touristen in die Stadt ziehen, die hat nicht der Herr Schneider gebaut, sondern die haben vorwiegend Leipziger Handwerker so instand gesetzt und haben nebenbei die ganze Zeche auch noch bezahlt. Also so ein Bronzeschildchen, statt ihm ein Sternchen in den Asphalt zu legen, hätte jedes Haus ein Bronzeschild "Sponsored by..." kriegen müssen und da hätte mit Sicherheit nicht nur ein Handwerksbetrieb drauf gestanden."

Thorsten Plate: "Das sind jetzt 14 Jahre nach Schneider und die Mythenbildung fängt an. Schneider ist sowohl negativ als positiv zu einer Legende geworden, da kann man an den Bildern kaum mehr was reparieren, die Geschichten werden weiter erzählt."

Roland Wetzel: "Irgendwie passt der Schneider auch ganz gut zu Leipzig. Die Stadt stellt sich nach außen immer besser dar, als es ihre Substanz eigentlich her gibt. Das ist nicht negativ gemeint, das ist faszinierend. Ich bin Leipziger, ich liebe diese Stadt, ich lebe gerne hier - vielleicht gerade deshalb, weil sie so ausgeflippt ist. Diese Stadt, die es versteht, ihren Eitelkeiten zu frönen und nach außen wirksam zu sein. Das war ja auch Schneiders Anliegen, denn damit hat er ja alle anderen getäuscht: Nämlich nach dem Schema "Des Kaisers neue Kleider". Alle sehen, dass der Mann eigentlich nackt ist und nichts in der Tasche hat, aber keiner traut es sich zu sagen."
Jürgen Schneider liest am 23. März 2000 in Leipzig aus seiner Autobiografie "Bekenntnisse eines Baulöwen".
Jürgen Schneider liest am 23. März 2000 in Leipzig aus seiner Autobiografie "Bekenntnisse eines Baulöwen".© AP Archiv