Wie Politik funktioniert
"Unterm Strich" von Peer Steinbrück ist eine Mischung aus wissenschaftlichen Analysen, gesellschaftspolitischen Entwicklungen, weltökonomischen Zusammenhängen bis hin zum Zustand und Innenleben der SPD. Es ist kein Sammelsurium aneinandergereihter Abhandlungen, sondern eine Darstellung von Zuständen, Verwerfungen und Anforderungen.
Peer Steinbrücks Buch passt wunderbar zu den aktuellen Debatten in Politik und Gesellschaft:
Tun wir alles, damit die Welt, wie in Zeiten des Ausbruchs der Finanzkrise, nicht noch einmal am Abgrund steht? Was passiert mit unserem Wohlstand, wenn sich die Zentren der ökonomischen Dynamik verlagern? Ist unser Sozialstaat bisheriger Prägung noch zu finanzieren? Brauchen wir mehr Zuwanderung, um unsere demografische Entwicklung aufzufangen? Bis hin zu Anforderungen an die Parteienlandschaft, damit Politik Vertrauen und Zutrauen zurück gewinnt.
Das 480 Seiten Werk ist eine Mischung aus wissenschaftlichen Analysen, Begebenheiten aus Peer Steinbrücks Zeit als Bundesfinanzminister, gesellschaftspolitischen Entwicklungen, weltökonomischen Zusammenhängen bis hin zum Zustand und Innenleben der SPD. Es ist deswegen kein Sammelsurium aneinandergereihter Abhandlungen, sondern eine Darstellung von Zuständen, Verwerfungen und Anforderungen.
Die Überschriften machen neugierig, wenn es z. B. heißt: "Talfahrt der Politik", "Das Unwesen der Expertokratie" oder "Gesicht und Substanz des politischen Personals". Schon im Vorwort verweist er auf die Dringlichkeit der Situation, in der wir alle stecken. Erhebt aber bewusst nicht den Anspruch mit "grandiosen Zukunftsentwürfen oder einer Vision" aufzuwarten. Eindeutig schildert er die Notwendigkeit der Konsolidierung der Haushalte.
Er beschäftigt sich nicht nur mit dem Blick auf Deutschland, sondern thematisiert das Weltgeschehen am Verhalten unter anderem der USA. Beklagt zu Recht die mangelnde politische Dynamik in Europa und belegt, warum das Weltwährungssystem in baldiger Zukunft nicht vom Dollar beherrscht bleibt und welche Rolle der Euro spielen wird.
An der einen oder anderen Stelle wird er auch persönlich, wie im Hinblick auf die ehemalige Kandidatin für die Vizepräsidentschaft der Republikaner, Sarah Palin. Das klingt dann so:
"Die Vorstellung, dass diese Lady Verantwortung nicht nur für die USA, sondern auch auf der Weltbühne erhalten hätte oder noch erhalten könnte, kommt einem Albtraum nahe. Über ihre Substanz schweigt des Sängers Höflichkeit."
Ansonsten wendet sich seine Attacke gegen die "deutlich unterentwickelte Sensibilität der Wirtschaftselite und ihrer Prätorianer gegenüber Politik und Gesellschaft". Gar nicht leiden kann er die typischen Politikfunktionäre, die keine Sitzung auslassen, sich in der Partei hochdienen und keinen Mut zum Verändern haben. Er nennt sie "Reformminimalisten", die morsche Strukturen verteidigen.
Steinbrück gilt als pragmatisch. Dies spiegelt sich besonders in den Passagen wider, die nicht von Soziologendeutsch oder Zitaten aus der Zeitgeschichte geprägt sind.
"Ohne handlungsfähigen Staat ist die Freiheit gefährdet, weil sie von manchen mit Zügellosigkeit und Verantwortungslosigkeit gleichgesetzt wird."
Er ist fest davon überzeugt, dass es im 21. Jahrhundert der Staat ist, der die Liberalität sichert. Mit vielen Fakten und Daten beschreibt er den aktuellen Sozialstaat und dessen Leistungen. Zu Recht kommt er zu dem Schluss, dass das System auf Dauer nicht nur in eine Leistungs-, sondern auch in eine Legitimationskrise gerät.
"Der Sozialstaat der Zukunft muss dagegen ein vorsorgender, aktivierender und investierender sein",
so seine Kernforderung. Wer will dem widersprechen. Aber konkrete Vorschläge folgen daraus leider zu wenig. Die Analyse zu Hartz IV, Anspruch und Wirklichkeit, Probleme des Lohnabstandsgebots, die Sprengkraft bildungsferner Schichten für unsere Gesellschaft, all dies sind Bereiche, wo er die Fliehkräfte des Systems nachvollziehbar beschreibt. Zum Thema "Migration" findet er deutliche Worte, ohne den "Sarrazin" zu spielen. So schreibt er:
"Für eine Debatte über die politischen, sozialen und finanziellen Integrationskosten, die aus dieser massiven Zuwanderung von Menschen mit überwiegend geringen oder gar keinen Bildungsabschlüssen erwachsen, findet man kaum eine ‚entmilitarisierte’ Zone."
Seine Antwort heißt, schaut auf Kanada und Australien, …
" … die wählen ohne schlechtes Gewissen nach Qualität aus und wollen, dass ihre Kinder schlauer werden als ihre Eltern".
Er beschreibt das Ende einer Ideologie, die glaubt, dass deregulierte Märkte am besten funktionieren, wenn der Staat Wirtschaft und Finanzmärkten alles überlässt. Interessant ist, dass er die Zukunft der Republik nicht an Wachstumsraten ausrichtet. Er hält es für notwendig den Wachstumsbegriff neu zu definieren, doch leider finden der Leser oder die Leserin an dieser Stelle keine weiterführenden Anregungen.
Gut ist, dass an einigen Stellen eine Selbstreflexion stattfindet und auch politische Fehler eingestanden werden. Dies gilt für die Restrukturierung der Bankenwelt, vor allem der Landesbanken. Aber auch für die Bankenaufsicht und dem politischen Versagen.
Richtig interessant wird das Buch noch im letzten Viertel. Zum Verhältnis der Bürger zur Politik fordert er mehr Aufklärung über die komplexen Zusammenhänge. Dies gehe jedoch nur mit einem Kompass, weil nur er es ermöglicht, folgen zu können. Vor allem, wenn es um die anonymen Mächte des Marktes geht.
Hierzu bedarf es einer Politikersprache, die nicht technokratisch überfrachtet, komisch verschwurbelt ist oder lediglich aus Worthülsen besteht. Auch rechnet er mit einer Schicht von Parteiaktivisten ab, die einem "intoleranten Jakobinismus anhängen".
Wer wissen will, wie Politik funktioniert, warum das Verhältnis zwischen Bürgern und Politik so schwierig ist, findet in diesem Buch viele Aussagen.
Peer Steinbrück: Unterm Strich
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2010
Tun wir alles, damit die Welt, wie in Zeiten des Ausbruchs der Finanzkrise, nicht noch einmal am Abgrund steht? Was passiert mit unserem Wohlstand, wenn sich die Zentren der ökonomischen Dynamik verlagern? Ist unser Sozialstaat bisheriger Prägung noch zu finanzieren? Brauchen wir mehr Zuwanderung, um unsere demografische Entwicklung aufzufangen? Bis hin zu Anforderungen an die Parteienlandschaft, damit Politik Vertrauen und Zutrauen zurück gewinnt.
Das 480 Seiten Werk ist eine Mischung aus wissenschaftlichen Analysen, Begebenheiten aus Peer Steinbrücks Zeit als Bundesfinanzminister, gesellschaftspolitischen Entwicklungen, weltökonomischen Zusammenhängen bis hin zum Zustand und Innenleben der SPD. Es ist deswegen kein Sammelsurium aneinandergereihter Abhandlungen, sondern eine Darstellung von Zuständen, Verwerfungen und Anforderungen.
Die Überschriften machen neugierig, wenn es z. B. heißt: "Talfahrt der Politik", "Das Unwesen der Expertokratie" oder "Gesicht und Substanz des politischen Personals". Schon im Vorwort verweist er auf die Dringlichkeit der Situation, in der wir alle stecken. Erhebt aber bewusst nicht den Anspruch mit "grandiosen Zukunftsentwürfen oder einer Vision" aufzuwarten. Eindeutig schildert er die Notwendigkeit der Konsolidierung der Haushalte.
Er beschäftigt sich nicht nur mit dem Blick auf Deutschland, sondern thematisiert das Weltgeschehen am Verhalten unter anderem der USA. Beklagt zu Recht die mangelnde politische Dynamik in Europa und belegt, warum das Weltwährungssystem in baldiger Zukunft nicht vom Dollar beherrscht bleibt und welche Rolle der Euro spielen wird.
An der einen oder anderen Stelle wird er auch persönlich, wie im Hinblick auf die ehemalige Kandidatin für die Vizepräsidentschaft der Republikaner, Sarah Palin. Das klingt dann so:
"Die Vorstellung, dass diese Lady Verantwortung nicht nur für die USA, sondern auch auf der Weltbühne erhalten hätte oder noch erhalten könnte, kommt einem Albtraum nahe. Über ihre Substanz schweigt des Sängers Höflichkeit."
Ansonsten wendet sich seine Attacke gegen die "deutlich unterentwickelte Sensibilität der Wirtschaftselite und ihrer Prätorianer gegenüber Politik und Gesellschaft". Gar nicht leiden kann er die typischen Politikfunktionäre, die keine Sitzung auslassen, sich in der Partei hochdienen und keinen Mut zum Verändern haben. Er nennt sie "Reformminimalisten", die morsche Strukturen verteidigen.
Steinbrück gilt als pragmatisch. Dies spiegelt sich besonders in den Passagen wider, die nicht von Soziologendeutsch oder Zitaten aus der Zeitgeschichte geprägt sind.
"Ohne handlungsfähigen Staat ist die Freiheit gefährdet, weil sie von manchen mit Zügellosigkeit und Verantwortungslosigkeit gleichgesetzt wird."
Er ist fest davon überzeugt, dass es im 21. Jahrhundert der Staat ist, der die Liberalität sichert. Mit vielen Fakten und Daten beschreibt er den aktuellen Sozialstaat und dessen Leistungen. Zu Recht kommt er zu dem Schluss, dass das System auf Dauer nicht nur in eine Leistungs-, sondern auch in eine Legitimationskrise gerät.
"Der Sozialstaat der Zukunft muss dagegen ein vorsorgender, aktivierender und investierender sein",
so seine Kernforderung. Wer will dem widersprechen. Aber konkrete Vorschläge folgen daraus leider zu wenig. Die Analyse zu Hartz IV, Anspruch und Wirklichkeit, Probleme des Lohnabstandsgebots, die Sprengkraft bildungsferner Schichten für unsere Gesellschaft, all dies sind Bereiche, wo er die Fliehkräfte des Systems nachvollziehbar beschreibt. Zum Thema "Migration" findet er deutliche Worte, ohne den "Sarrazin" zu spielen. So schreibt er:
"Für eine Debatte über die politischen, sozialen und finanziellen Integrationskosten, die aus dieser massiven Zuwanderung von Menschen mit überwiegend geringen oder gar keinen Bildungsabschlüssen erwachsen, findet man kaum eine ‚entmilitarisierte’ Zone."
Seine Antwort heißt, schaut auf Kanada und Australien, …
" … die wählen ohne schlechtes Gewissen nach Qualität aus und wollen, dass ihre Kinder schlauer werden als ihre Eltern".
Er beschreibt das Ende einer Ideologie, die glaubt, dass deregulierte Märkte am besten funktionieren, wenn der Staat Wirtschaft und Finanzmärkten alles überlässt. Interessant ist, dass er die Zukunft der Republik nicht an Wachstumsraten ausrichtet. Er hält es für notwendig den Wachstumsbegriff neu zu definieren, doch leider finden der Leser oder die Leserin an dieser Stelle keine weiterführenden Anregungen.
Gut ist, dass an einigen Stellen eine Selbstreflexion stattfindet und auch politische Fehler eingestanden werden. Dies gilt für die Restrukturierung der Bankenwelt, vor allem der Landesbanken. Aber auch für die Bankenaufsicht und dem politischen Versagen.
Richtig interessant wird das Buch noch im letzten Viertel. Zum Verhältnis der Bürger zur Politik fordert er mehr Aufklärung über die komplexen Zusammenhänge. Dies gehe jedoch nur mit einem Kompass, weil nur er es ermöglicht, folgen zu können. Vor allem, wenn es um die anonymen Mächte des Marktes geht.
Hierzu bedarf es einer Politikersprache, die nicht technokratisch überfrachtet, komisch verschwurbelt ist oder lediglich aus Worthülsen besteht. Auch rechnet er mit einer Schicht von Parteiaktivisten ab, die einem "intoleranten Jakobinismus anhängen".
Wer wissen will, wie Politik funktioniert, warum das Verhältnis zwischen Bürgern und Politik so schwierig ist, findet in diesem Buch viele Aussagen.
Peer Steinbrück: Unterm Strich
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2010