Wie Super-Mario Pompeji retten will

Von Thomas Migge |
Noch geben im italienischen Pompeji lokale Mafia-Bosse den Ton an, die Fördergelder versickern, die antiken Häuser verfallen. Die Regierung von Mario Monti will den Einfluss der Camorra nun zurückdrängen - und Pompeji zur Wiederauferstehung verhelfen.
Claudio D'Alessio ist Bürgermeister einer Stadt, zu der das am weitesten ausgedehnte und an antiken Bauwerken reichste Gebiet Europas gehört – stolze 66 Hektar archäologisches Grabungsgebiet.

"Das ist ein historischer Moment für Pompeji. Nach Jahren des Wartens auf Hilfe und der Untaten unfähiger Personen unterstützt uns jetzt ganz Europa, und unsere neue Regierung verfügt endlich über interessierte Politiker. Jetzt können wir mit dem Projekt Pompeji beginnen."

Ein Weltkulturgut – aber das scheint man in Italien erst jetzt so richtig zu begreifen. Seit Jahren klagten zunächst und drohten dann Verantwortliche der Weltkulturorganisation UNESCO in Paris damit, Pompeji von der Liste der Weltkulturgüter zu streichen, wenn nicht endlich etwas geschieht. Linke wie rechte Regierungen versprachen das Blaue vom Himmel, überwiesen Liremilliarden und Euromillionen – und auf der Stelle versickerte das Geld in dubiosen Kanälen.

Anfang April kam Mario Monti, Chef der finanzpolitischen Notstandsregierung, nach Pompeji, um vollmundig das "Projekt Pompeji" zu verkünden. Es geht um 105 Millionen Euro der Europäischen Union und des italienischen Staates, die – endlich – sinnvoll eingesetzt werden sollen. Sinnvoll heißt im süditalienischen Kontext: ohne dass die organisierte Kriminalität davon profitiert, die man im Großraum Neapel Camorra nennt.

Zum "Projekt Pompeji" die neapolitanische Archäologin Anna Cattolici:

"Alle Viertel der antiken Stadt werden jetzt statisch abgesichert. Vorgesehen ist die Restaurierung der vom Verfall am meisten betroffenen antiken Villen, eine umfassende Modernisierung der Sicherheitssysteme für die gesamte archäologische Zone und verschiedene Domus, also antike Villen, die bisher dem Publikum verschlossen waren, sollen zugänglich gemacht werden."

Nicht vergessen ist, dass mehr als 150 Millionen Euro, die in den vergangenen zehn Jahren für die Rettung Pompejis durch römische Regierungen bereitgestellt wurden, so gut wie gar nichts gegen den Verfall und das Desinteresse der eigentlich Verantwortlichen ausrichten konnten. Mit der Hilfe von Super-Mario soll nun auch in Pompeji das Wunder der Wiederauferstehung realisiert werden, hoffen die Archäologen. Wenn der Finanzfachmann Italien vor dem Staatsbankrott retten kann, wird er sicherlich auch das Weltkulturgut bei Neapel vor dem Untergang bewahren können.

So weit so gut, aber man sollte in Pompeji wie in der ganzen Region Kampanien, zu der das Städtchen mit seinen grandiosen römischen Ruinen gehört, nie die Rechnung ohne den Wirt machen. Das weiß aus eigener Erfahrung Antonio. Er ist Reiseführer in der archäologischen Zone. Seinen Nachnamen möchte er nicht genannt wissen - aus Angst vor der Camorra:

"Seit vielen Jahren begleite ich Touristen durch die antike Stadt, und es ist kein Vergnügen, von den Besuchern immer wieder zu hören, dass es hier so schmutzig, so vergammelt ist und niemand die antiken Gebäude restauriert. Ich versichere Ihnen: Hier ist die Situation so schlimm, weil lokale Bosse den Ton angeben. Nur ihre Unternehmen führen hier Arbeiten durch und das total schlampig. Ohne ihr Plazet läuft hier gar nichts. Das ist ein großes Problem!"

Fragt man die Bürger von Pompeji, was sie von Montis Vorstoß gegen den Einfluss der Camorra auf das Geschäft mit der antiken Stadt halten, antworten sie nur mit einem müden Lächeln. Und tatsächlich: das Hauptproblem Pompejis, wie zahlloser anderer Städten Süditaliens, ist die Mafia. Sie passt sich an und kassiert nach wie vor.

Das Wunder der Vertreibung der Camorrabosse soll nach Montis Willen nun Fernando Guida vollbringen. Guida war bisher im römischen Innenministerium für die Auflösung jener Kommunen verantwortlich, vor allem im Süden, die durch und durch mafiaverseucht waren. In Pompeji soll er als "Superpräfekt" darüber wachen, dass die Bosse am Zaun Halt machen. Das heißt: ihr direkter und indirekter Einfluss - mit Hilfe von Bestechungsgeldern, Einschüchterungen, von den Bossen unterwanderten Unternehmen etc. - soll außerhalb des archäologischen Gebiets bleiben.

Eine solche Denkweise zeigt, wie hanebüchen das "Projekt Pompeji" ist: eine gleichzeitige verstärkte Bekämpfung der Camorra in der modernen Stadt Pompeji ist nämlich nicht vorgesehen. Das ist etwa so, als ob man bei einem im ganzen Körper streuenden Tumor nur die Primärgeschwulst entfernen würde, um den Patienten wieder gesundzumachen.

Auch wenn, was eher unwahrscheinlich ist, die Camorra aus dem "Projekt Pompeji" herausgehalten werden könnte, befürchtet der Archäologe Gennaro De Sesti aus Neapel, werden die 105 Millionen Euro bei Weitem nicht ausreichen, das beschlossene Programm zu verwirklichen:

"Es ist doch vor allem die mangelnde Pflege, die hier für das Vergammeln und Zusammenstürzen der antiken Bauten verantwortlich ist. Hier müssten viel mehr Restauratoren und andere Fachleute eingestellt werden, allein um die bereits ausgegrabenen Gebäude wieder instand zu setzen. Ganz zu schweigen von weiteren Grabungen. Mehr als ein Drittel Pompejis liegt noch unter der Lava. Viel zu lange kümmerte man sich fast gar nicht um das antike Pompeji."

Zur großen Freude von Kunstdieben! Noch völlig unbekannt ist zum Beispiel, was wann und wo aus dem noch nicht ausgegrabenen Pompeji gestohlen wurde und über kriminelle Kunsthändler auf den internationalen Kunstmarkt gelangte. Ganz zu schweigen von jenen Dieben, die aus den wegen Einsturzgefahr geschlossenen Villen der antiken Stadt Teile von Mosaiken und Wandmalereien stehlen. Immer noch und so gut wie ungestört.

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