Wie unser Gehirn Gesichter erkennt
Die Bremer Hirnforscherin Doris Tsao forscht über die Vorgänge im Gehirn bei Gesichtserkennung. Dabei hat sie heraugefunden, dass nur ein ganz spezieller Teil des Gehirns für die Gesichtserkennung zuständig ist, der von dem Teil für das Erkennen anderer Objekte sehr streng unterschieden ist. Deshalb falle es uns auch so schwer, Gesichter, die auf dem Kopf stehen, zu erkennen, da dann das Objekt-Areal aktiviert werde.
Doris Tsao: Wir wissen zwar noch nicht genau, wie unser Gehirn Gesichter unterscheidet, aber wir wissen bereits, dass das menschliche Gehirn mindestens drei unterschiedliche Regionen enthält, die auf die Gesichtsbearbeitung spezialisiert sind. Diese drei Regionen befinden sich im Temporallappen, im großen Bereich des Großhirns, der für die Objekterkennung verantwortlich ist.
Müller-Schmid: Woher weiß man genau, wo diese Region liegt? So auf der flachen Hand liegt das ja nicht.
Tsao: Man kann Menschen in einen Kernspintomografen legen, um ihre Gehirnaktivität zu messen, während sie Bilder von Gesichtern und anderen Objekten wie Werkzeuge, Buchstaben, Lebensmittel usw. sehen.
Müller-Schmid: Ist es tatsächlich denn nur diese eine Bereich, der zuständig ist? Es gibt ja auch Kollegen von Ihnen, die vermuten, dass auch ganz andere Regionen an der Gesichtserkennung beteiligt sind.
Tsao: Ja, ich denke, Ihre Frage besteht aus zwei Teilen. Zum einen werden Gesichter nur von spezialisierten Hirnregionen bearbeitet. Die stärksten Indizien hierfür kommen von einem berühmten Patienten, C.K., der einen Hirnschlag in seinem Temporallappen erlitten hat. Danach konnte er immer noch Gesichter wiedererkennen, nicht jedoch andere Objekte. Und interessanterweise konnte er keine auf dem Kopf stehenden Gesichter erkennen, und dies deutet darauf hin, dass die Bereiche im Gehirn, die Gesichter verarbeiten, von den Bereichen, die andere Objekte bearbeiten, getrennt sind.
Müller-Schmid: Das klingt alles so, als ob das ein ungeheuer komplexer Vorgang ist, den wir ja im Alltag überhaupt nicht merken. Wie lange braucht das Gehirn, um ein Gesicht zu erkennen? Das geht wahrscheinlich rasend schnell.
Tsao: Ich vermute, das hängt von dem jeweiligen Gesicht ab. Manche Gesichter, die wie Karikaturen aussehen, sind einfach wiederzuerkennen, selbst wenn man sie nur einmal gesehen hat, und andere Gesichter brauchen mehr Übung.
Müller-Schmid: Wie passt denn in all diese Beobachtungen die Tatsache, dass die Erwachsenen zum Beispiel Gesichter viel besser erkennen können als Kinder? Bedeutet das nicht auch, dass wir so etwas haben wie einen Erfahrungswert, dass wir gelernt haben, Gesichter schneller zu erkennen und dass der, wer länger übt, eben auch mehr Gesichter erkennen kann?
Tsao: Ja, genau. Erfahrung schärft unsere Gesichtsbearbeitung. Und interessanterweise kann Erfahrung jedoch auch unsere Wahrnehmungsfähigkeiten limitieren. Babys von weniger als sechs Monaten können verschiedene individuelle Gesichter von Menschen und sogar Rhesusaffen unterscheiden. Mit neun Monaten können sie die Affengesichter aber nicht mehr unterscheiden. Ein ähnlicher Spezialisierungsprozess findet auch in der Sprachentwicklung statt. Babys können die Laute aller menschlichen Sprachen unterscheiden, wir Erwachsene jedoch haben Probleme, chinesische Tonhöhen zu unterscheiden.
Müller-Schmid: Wie wir denken, was wir fühlen - im Rahmen unserer Reihe Sprechende im Radiofeuilleton mit der Bremer Hirnforscherin Doris Tsao über die neuronalen Vorgänge beim Wiedererkennen von Gesichtern. Frau Tsao, Sie arbeiten mit Affen. Warum eigentlich? Funktioniert denn wirklich das Erkennungssystem bei Affen wie das von Menschen?
Tsao: Ich möchte verstehen, wie wir sehen, und obwohl das Affengehirn nur ein Zehntel der Größe des menschlichen Gehirns besitzt, sind die Sehsysteme beider erstaunlich ähnlich. Beispielsweise, wie bereits erwähnt, besitzen beide spezialisierte Gesichtsareale.
Müller-Schmid: Ja, wir haben eben gehört, dass Sie Elektroden in die Köpfe der Tiere implantieren. Was messen Sie da genau?
Tsao: Das Gehirn besteht aus Neuronen und Wahrnehmung entsteht aus den elektrischen Botschaften, die diese Neuronen einander senden, und nur mit Elektroden können wir diese Signale messen und die Botschaften entschlüsseln. Und ich untersuche die Aktivität der Zellen in den Gesichtsarealen.
Müller-Schmid: Kann man sagen, dass die Erkennung von Gesichtern bei Affen und bei Menschen im Grunde gleich komplex funktioniert? Sie haben ja einen großen Nachteil, zum Beispiel, wenn wir Menschengesichter erkennen, dann sind wir sehr genau in der Lage, ganz feine Unterschiede zu machen und wir können auch darüber sprechen. Das können Affen nicht, also sind doch wahrscheinlich auch Ihre Methoden entsprechend grob. Um zu unterscheiden, ob ein Affe jetzt das Gesicht erkannt hat, werden Sie wahrscheinlich nur ein Ja-Nein-Raster haben, aber wenn wir von Gesichtserkennung im Alltag sprechen, dann hätten wir es schon gerne etwas differenzierter.
Tsao: Ja, es gibt mit Sicherheit Unterschiede zwischen Menschen und Affen, aber wir können den Affen die Aufgabe geben, sie können Menschengesichter unterscheiden.
Müller-Schmid: Was erkennen denn die Tiere? Können Sie wirklich zwischen einem Kreis mit zwei Punkten und einem Strich in einem Gesicht unterscheiden?
Tsao: Die Tiere können das mit Sicherheit. Und wir stellen den einzelnen Zellen der Gesichtsareale dieselbe Frage, nämlich, ob sie zwischen Gesichtern und anderen Objekten unterscheiden können. Und wir finden, dass die Zellen geringfügig auf eine runde Form wie etwa einen Apfel mit elektrischen Signalen antworten, jedoch ist diese Antwort viel schwächer als die Reaktion auf Gesichter.
Müller-Schmid: Sie belohnen ja auch die Tiere - das haben wir eben in dem Beitrag von Dirk Asendorpf gehört - wenn sie etwas richtig machen, mit einem Tropfen Apfelsaft. Warum eigentlich? Verändern Sie damit nicht auch Ihren Versuch? Man könnte ja sagen, na ja, der Affe, der hat irgendwann den Dreh raus, der weiß, was er machen muss, damit er den Apfelsaft kriegt, aber er erkennt vielleicht die Gesichter gar nicht.
Tsao: Ja, wir belohnen sie mit Saft. Das Gehirn ist sehr stark organisiert. Es ist sehr deutsch. Und die Bereiche, die Belohnung und Freude und so weiter verarbeiten, sind deutlich getrennt von den visuellen Arealen.
Müller-Schmid: Der Mensch, der kann sich ja an verschiedene Gesichter erinnern, er kann sie wiedererkennen, aber zum Beispiel, sobald Fotos auf dem Kopf stehen, da bricht unser Erkennungssystem zusammen oder wir brauchen zumindest sehr lange, um uns neu zu orientieren. Warum eigentlich?
Tsao: Das liegt daran, dass die Gesichtsareale nur auf aufrechte Gesichter spezialisiert sind. Um auf dem Kopf stehende Gesichter zu erkennen, verwenden wir dieselbe Maschinerie, die sonst für die Erkennung von anderen Objekten wie Stühlen und Früchten sorgt. Die spezialisierten Gesichtsareale sind wirklich sehr spezialisiert. Sie zu bitten, auf dem Kopf stehende Gesichter zu erkennen, ist ein bisschen wie eine Violinistin zu bitten, auf einem Klavier zu spielen.
Müller-Schmid: Wie passt es denn dann in Ihr Konzept, dass es einem ja auch passiert im Alltag, jeder kennt das, wenn wir zum Beispiel so ein bisschen ins Träumen geraten, gucken uns Wolken an oder die Maserungen von Hölzern, da glauben wir dann auch menschliche Gesichter zu erkennen. Wie funktioniert das?
Tsao: Ich liebe den deutschen Namen Stiefmütterchen aus diesem Grund, die Blüte erinnert ein bisschen an ein Monstergesicht. Die Gesichtsareale sind immer wachsam und durchsuchen die einlaufenden visuellen Informationen ständig, um Gesichter zu finden. Und wir möchten ja nicht, dass uns etwas Wichtiges entgeht. Und eine Konsequenz davon ist, dass falscher Alarm ausgelöst werden kann.
Müller-Schmid: Könnte das sein, dass das mit unseren evolutionären Wurzeln zu tun hat, dass wir, als wir noch als Jäger und Sammler ein relativ gefährliches Leben führten, immer auf der Hut sein mussten, dass irgendwo im Unterholz jemand uns an den Kragen will?
Tsao: Ja, genau. Gesichter sind so wichtig für unser Sozialleben.
Müller-Schmid: Was ist denn bei Menschen, die unter Gesichtsblindheit leiden, die also nicht in der Lage sind - das ist ja eine Krankheit, ein bestimmter Defekt im Gehirn -, die nicht in der Lage sind, Personen wiederzuerkennen? Können die auch irgendwann mal von den Ergebnissen Ihrer Forschung profitieren?
Tsao: Ja, tatsächlich gibt es Menschen, die alles außer Gesichtern erkennen können, und einer von diesen sagte: Ich konnte nicht verstehen, warum Räuber in Filmen immer ihr Gesicht maskieren. Das schien so dumm wie ihren Arm zu bedecken. Und Kernspinuntersuchungen deuten darauf hin, dass diese Menschen bilderhaft verbundene Gesichtsareale haben, und ich hoffe, dass unsere Forschung ihnen helfen wird. Wir untersuchen gerade, wie die Gesichtsareale miteinander verknüpft sind, und wenn wir erst einmal die Schritte verstanden haben, die zu einer normalen Vernetzung der Gesichtsareale notwendig sind, dann sollten wir in der Lage sein, zu verstehen, was bei Gesichtsblindheit abläuft.
Müller-Schmid: Haben Sie da so ein Zeitfenster? Ich meine, zu sagen, wir hoffen, dass das irgendwann mal möglich sein wird, ist die eine Sache, aber vielleicht auch, um uns einen Eindruck davon zu geben, wie weit Sie mit Ihrer Forschung tatsächlich schon sind. Wann wird man denn in der Lage sein, diese Verdrahtungen im Hirn tatsächlich wie einen Schaltplan aufzuzeichnen und dann vielleicht auch da einzugreifen, was meinen Sie?
Tsao: Right now, we are still on the very early days. We're just trying to get a basic understanding of how the brain works. But I am sure that this will leed to therapies.
Müller-Schmid: Also, noch ganz am Anfang, aber auch dem richtigen Weg. Vielen Dank, Doris Tsao, ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Das war Doris Tsao, sie forscht am Bremer Institut für Kognitionsforschung.
Müller-Schmid: Woher weiß man genau, wo diese Region liegt? So auf der flachen Hand liegt das ja nicht.
Tsao: Man kann Menschen in einen Kernspintomografen legen, um ihre Gehirnaktivität zu messen, während sie Bilder von Gesichtern und anderen Objekten wie Werkzeuge, Buchstaben, Lebensmittel usw. sehen.
Müller-Schmid: Ist es tatsächlich denn nur diese eine Bereich, der zuständig ist? Es gibt ja auch Kollegen von Ihnen, die vermuten, dass auch ganz andere Regionen an der Gesichtserkennung beteiligt sind.
Tsao: Ja, ich denke, Ihre Frage besteht aus zwei Teilen. Zum einen werden Gesichter nur von spezialisierten Hirnregionen bearbeitet. Die stärksten Indizien hierfür kommen von einem berühmten Patienten, C.K., der einen Hirnschlag in seinem Temporallappen erlitten hat. Danach konnte er immer noch Gesichter wiedererkennen, nicht jedoch andere Objekte. Und interessanterweise konnte er keine auf dem Kopf stehenden Gesichter erkennen, und dies deutet darauf hin, dass die Bereiche im Gehirn, die Gesichter verarbeiten, von den Bereichen, die andere Objekte bearbeiten, getrennt sind.
Müller-Schmid: Das klingt alles so, als ob das ein ungeheuer komplexer Vorgang ist, den wir ja im Alltag überhaupt nicht merken. Wie lange braucht das Gehirn, um ein Gesicht zu erkennen? Das geht wahrscheinlich rasend schnell.
Tsao: Ich vermute, das hängt von dem jeweiligen Gesicht ab. Manche Gesichter, die wie Karikaturen aussehen, sind einfach wiederzuerkennen, selbst wenn man sie nur einmal gesehen hat, und andere Gesichter brauchen mehr Übung.
Müller-Schmid: Wie passt denn in all diese Beobachtungen die Tatsache, dass die Erwachsenen zum Beispiel Gesichter viel besser erkennen können als Kinder? Bedeutet das nicht auch, dass wir so etwas haben wie einen Erfahrungswert, dass wir gelernt haben, Gesichter schneller zu erkennen und dass der, wer länger übt, eben auch mehr Gesichter erkennen kann?
Tsao: Ja, genau. Erfahrung schärft unsere Gesichtsbearbeitung. Und interessanterweise kann Erfahrung jedoch auch unsere Wahrnehmungsfähigkeiten limitieren. Babys von weniger als sechs Monaten können verschiedene individuelle Gesichter von Menschen und sogar Rhesusaffen unterscheiden. Mit neun Monaten können sie die Affengesichter aber nicht mehr unterscheiden. Ein ähnlicher Spezialisierungsprozess findet auch in der Sprachentwicklung statt. Babys können die Laute aller menschlichen Sprachen unterscheiden, wir Erwachsene jedoch haben Probleme, chinesische Tonhöhen zu unterscheiden.
Müller-Schmid: Wie wir denken, was wir fühlen - im Rahmen unserer Reihe Sprechende im Radiofeuilleton mit der Bremer Hirnforscherin Doris Tsao über die neuronalen Vorgänge beim Wiedererkennen von Gesichtern. Frau Tsao, Sie arbeiten mit Affen. Warum eigentlich? Funktioniert denn wirklich das Erkennungssystem bei Affen wie das von Menschen?
Tsao: Ich möchte verstehen, wie wir sehen, und obwohl das Affengehirn nur ein Zehntel der Größe des menschlichen Gehirns besitzt, sind die Sehsysteme beider erstaunlich ähnlich. Beispielsweise, wie bereits erwähnt, besitzen beide spezialisierte Gesichtsareale.
Müller-Schmid: Ja, wir haben eben gehört, dass Sie Elektroden in die Köpfe der Tiere implantieren. Was messen Sie da genau?
Tsao: Das Gehirn besteht aus Neuronen und Wahrnehmung entsteht aus den elektrischen Botschaften, die diese Neuronen einander senden, und nur mit Elektroden können wir diese Signale messen und die Botschaften entschlüsseln. Und ich untersuche die Aktivität der Zellen in den Gesichtsarealen.
Müller-Schmid: Kann man sagen, dass die Erkennung von Gesichtern bei Affen und bei Menschen im Grunde gleich komplex funktioniert? Sie haben ja einen großen Nachteil, zum Beispiel, wenn wir Menschengesichter erkennen, dann sind wir sehr genau in der Lage, ganz feine Unterschiede zu machen und wir können auch darüber sprechen. Das können Affen nicht, also sind doch wahrscheinlich auch Ihre Methoden entsprechend grob. Um zu unterscheiden, ob ein Affe jetzt das Gesicht erkannt hat, werden Sie wahrscheinlich nur ein Ja-Nein-Raster haben, aber wenn wir von Gesichtserkennung im Alltag sprechen, dann hätten wir es schon gerne etwas differenzierter.
Tsao: Ja, es gibt mit Sicherheit Unterschiede zwischen Menschen und Affen, aber wir können den Affen die Aufgabe geben, sie können Menschengesichter unterscheiden.
Müller-Schmid: Was erkennen denn die Tiere? Können Sie wirklich zwischen einem Kreis mit zwei Punkten und einem Strich in einem Gesicht unterscheiden?
Tsao: Die Tiere können das mit Sicherheit. Und wir stellen den einzelnen Zellen der Gesichtsareale dieselbe Frage, nämlich, ob sie zwischen Gesichtern und anderen Objekten unterscheiden können. Und wir finden, dass die Zellen geringfügig auf eine runde Form wie etwa einen Apfel mit elektrischen Signalen antworten, jedoch ist diese Antwort viel schwächer als die Reaktion auf Gesichter.
Müller-Schmid: Sie belohnen ja auch die Tiere - das haben wir eben in dem Beitrag von Dirk Asendorpf gehört - wenn sie etwas richtig machen, mit einem Tropfen Apfelsaft. Warum eigentlich? Verändern Sie damit nicht auch Ihren Versuch? Man könnte ja sagen, na ja, der Affe, der hat irgendwann den Dreh raus, der weiß, was er machen muss, damit er den Apfelsaft kriegt, aber er erkennt vielleicht die Gesichter gar nicht.
Tsao: Ja, wir belohnen sie mit Saft. Das Gehirn ist sehr stark organisiert. Es ist sehr deutsch. Und die Bereiche, die Belohnung und Freude und so weiter verarbeiten, sind deutlich getrennt von den visuellen Arealen.
Müller-Schmid: Der Mensch, der kann sich ja an verschiedene Gesichter erinnern, er kann sie wiedererkennen, aber zum Beispiel, sobald Fotos auf dem Kopf stehen, da bricht unser Erkennungssystem zusammen oder wir brauchen zumindest sehr lange, um uns neu zu orientieren. Warum eigentlich?
Tsao: Das liegt daran, dass die Gesichtsareale nur auf aufrechte Gesichter spezialisiert sind. Um auf dem Kopf stehende Gesichter zu erkennen, verwenden wir dieselbe Maschinerie, die sonst für die Erkennung von anderen Objekten wie Stühlen und Früchten sorgt. Die spezialisierten Gesichtsareale sind wirklich sehr spezialisiert. Sie zu bitten, auf dem Kopf stehende Gesichter zu erkennen, ist ein bisschen wie eine Violinistin zu bitten, auf einem Klavier zu spielen.
Müller-Schmid: Wie passt es denn dann in Ihr Konzept, dass es einem ja auch passiert im Alltag, jeder kennt das, wenn wir zum Beispiel so ein bisschen ins Träumen geraten, gucken uns Wolken an oder die Maserungen von Hölzern, da glauben wir dann auch menschliche Gesichter zu erkennen. Wie funktioniert das?
Tsao: Ich liebe den deutschen Namen Stiefmütterchen aus diesem Grund, die Blüte erinnert ein bisschen an ein Monstergesicht. Die Gesichtsareale sind immer wachsam und durchsuchen die einlaufenden visuellen Informationen ständig, um Gesichter zu finden. Und wir möchten ja nicht, dass uns etwas Wichtiges entgeht. Und eine Konsequenz davon ist, dass falscher Alarm ausgelöst werden kann.
Müller-Schmid: Könnte das sein, dass das mit unseren evolutionären Wurzeln zu tun hat, dass wir, als wir noch als Jäger und Sammler ein relativ gefährliches Leben führten, immer auf der Hut sein mussten, dass irgendwo im Unterholz jemand uns an den Kragen will?
Tsao: Ja, genau. Gesichter sind so wichtig für unser Sozialleben.
Müller-Schmid: Was ist denn bei Menschen, die unter Gesichtsblindheit leiden, die also nicht in der Lage sind - das ist ja eine Krankheit, ein bestimmter Defekt im Gehirn -, die nicht in der Lage sind, Personen wiederzuerkennen? Können die auch irgendwann mal von den Ergebnissen Ihrer Forschung profitieren?
Tsao: Ja, tatsächlich gibt es Menschen, die alles außer Gesichtern erkennen können, und einer von diesen sagte: Ich konnte nicht verstehen, warum Räuber in Filmen immer ihr Gesicht maskieren. Das schien so dumm wie ihren Arm zu bedecken. Und Kernspinuntersuchungen deuten darauf hin, dass diese Menschen bilderhaft verbundene Gesichtsareale haben, und ich hoffe, dass unsere Forschung ihnen helfen wird. Wir untersuchen gerade, wie die Gesichtsareale miteinander verknüpft sind, und wenn wir erst einmal die Schritte verstanden haben, die zu einer normalen Vernetzung der Gesichtsareale notwendig sind, dann sollten wir in der Lage sein, zu verstehen, was bei Gesichtsblindheit abläuft.
Müller-Schmid: Haben Sie da so ein Zeitfenster? Ich meine, zu sagen, wir hoffen, dass das irgendwann mal möglich sein wird, ist die eine Sache, aber vielleicht auch, um uns einen Eindruck davon zu geben, wie weit Sie mit Ihrer Forschung tatsächlich schon sind. Wann wird man denn in der Lage sein, diese Verdrahtungen im Hirn tatsächlich wie einen Schaltplan aufzuzeichnen und dann vielleicht auch da einzugreifen, was meinen Sie?
Tsao: Right now, we are still on the very early days. We're just trying to get a basic understanding of how the brain works. But I am sure that this will leed to therapies.
Müller-Schmid: Also, noch ganz am Anfang, aber auch dem richtigen Weg. Vielen Dank, Doris Tsao, ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Das war Doris Tsao, sie forscht am Bremer Institut für Kognitionsforschung.