„Die Deutschen tun so, als könnten sie drei Planeten verbrauchen. Es gibt aber bekanntlich nur eine Erde. Und es hilft auch nicht, dass andere Länder noch schlimmer sind.“
Wachstum ohne Ende
Am viel zu hohen Ressourcenverbrauch der Menschheit sind auch die Monopole mächtiger Firmen schuld, argumentiert der Buchautor Hans-Jürgen Jakobs. © Getty Images / EschCollection
Wie Unternehmen Klima und Wohlstand gefährden
51:36 Minuten
Die Deutschen verbrauchen drei Planeten, sagt Ulrike Herrmann und fordert ein Ende des Kapitalismus. Die Bedrohung für Umwelt, Demokratie und Freiheit gehe von den Monopolen aus, sagt Hans-Jürgen Jakobs: Wachstum ohne Ende könne es nicht geben.
„Die Klimakrise ist die andere Seite des Kapitalismus. Das ist kein dummer Zufall, weil irgendjemand aus Versehen vergessen hat, Umweltschutz zu machen. Sondern das gehört zusammen", sagt die Journalistin Ulrike Herrmann, die als Redakteurin bei der taz arbeitet.
Daher könne es ein "grünes Wachstum", wie es sich Politiker aller Parteien in Deutschland gerne vorstellen, nicht geben, sagt sie und fordert in ihrem neuen Buch "Das Ende des Kapitalismus" ein "grünes Schrumpfen".
Die Wirtschaft braucht für die Produktion Energie. Grüne Energie reiche ihrer Schätzung nach aber nur für etwa die Hälfte unserer heutigen Wirtschaftsleistung. Das bedeute, dass unser Wohlstand auf das Niveau von 1978 zurückgehen würde, denn damals hätten wir etwa die Hälfte dessen produziert, was wir heute haben, so Herrmann.
Das könne nicht das Ziel sein, sagt Hans-Jürgen Jakobs, der das Buch "Das Monopol im 21. Jahrhundert" geschrieben hat. Jakobs ist seit vielen Jahren Redakteur beim Handelsblatt. „Ich weiß, dass wir 1978 riesige Währungsprobleme hatten, das Europäische Währungssystem wurde erst danach eingeführt, es gab kein Internet, und so weiter. Wir haben damals ganz anders gelebt. Künstlich zu sagen, da will man wieder hin, das halte ich für vermessen.“
"Das ist super mit dem Kapitalismus"
„Damit kein Missverständnis aufkommt, ich bin keine Kapitalismuskritikerin, sondern finde dieses System absolut faszinierend", sagt Herrmann. "Es ist das einzige dynamische Sozialsystem, das jemals in der Menschheitsgeschichte entstanden ist. Es ist das einzige System, das Wachstum pro Kopf erzeugt hat und damit auch Wohlstand.“
Zu den Errungenschaften des Kapitalismus rechnet sie unter anderem die gestiegene Lebenserwartung der Menschen. Bevor es den Kapitalismus gab, wurden die Menschen im Durchschnitt 35 Jahre alt. Heute liege die durchschnittliche Lebenserwartung bei über 80 Jahren. Mit dem Wohlstand ging auch Bildung einher, führt sie aus. Früher haben nur ein Prozent der Jungen das Abitur gemacht. Alle anderen konnten froh sein, wenn sie acht Jahre lang die Schule besuchen konnten. Meistens mussten Kinder aber schon vorher die Schule verlassen, weil ihre Eltern sie als Arbeitskräfte brauchten. „Und Mädchen, weil ich ja selbst eine Frau bin, wurden gar nicht ausgebildet. Also man kann nur sagen, das ist super mit dem Kapitalismus.“
Alle Menschen sind gleich
Auch Demokratie sei nur durch den Wohlstand möglich. Die Menschen hätten schon immer gewusst, dass alle Menschen gleich sind. Das stünde ja schon in der Bibel, so Herrmann. Aber dass jeder ein Wahlrecht habe und auch vor dem Gesetz gleichberechtigt sei, das sei erst durch Wohlstand möglich geworden. „Durch das Wachstum müssen die Reichen die Armen nicht mehr beklauen, um reich zu sein.“ Das sei vorher aber der Zustand in den stagnierenden Agrargesellschaften gewesen. Doch bei allen Errungenschaften des Kapitalismus müsse dieser enden und die Wirtschaft müsse schrumpfen - zum Wohle des Klimas.
Um sich "die neue Welt, wo wir hin müssen“, wie Herrmann sagt, vorzustellen, müsse man sich überlegen, wofür die Ökoenergie reichen wird und wofür nicht. „Wenn man klimaneutral leben will, komme ich zu dem Ergebnis, dass Fliegen zum Beispiel nicht mehr geht – weder Kurzstrecke noch Langstrecke.“ Auch bei E-Autos werde übersehen, was für eine Energieverschwendung das E-Auto sei. „Da werden zwei Tonnen Material bewegt und im Durchschnitt sitzen 1,3 Leute drin.“ Das sei aber nicht das Ende der Mobilität, meint sie. Man könne ja auch Bus fahren, der bei besserer Auslastung dann im Übrigen auch häufiger fahren würde.
Das alles habe Konsequenzen für die Arbeitsplätze. Viele Branchen werden auf der Strecke bleiben und bestimmte Arbeitsplätze werde es so nicht mehr geben, prophezeit sie. In der Luftfahrt, der Auto- und Chemieindustrie und auch bei den Banken werden viele Arbeitsplätze wegfallen. Das sei aber nicht das Ende der Arbeit, denn es würden neue Arbeitsplätze in anderen Bereichen entstehen. Denn auch der Klimaschutz sei ein gigantisches Infrastrukturprojekt, für das in allen Bereichen Arbeitskräfte gebraucht würden.
Die Wirtschaft im Größenrausch
Hans-Jürgen Jakobs fordert zwar kein Ende des Kapitalismus, doch auch er schließt nicht aus, dass es an der einen oder anderen Stelle Verzicht geben muss. In seinem Buch schreibt er, der Kapitalismus brauche „einen Neustart“. Die Wirtschaft habe sich international in einen Größenrausch begeben. Private Monopole im Westen und staatliche Monopole im Osten hätten zu einer „Vermachtung“ der Märkte geführt.
„Wir haben es überall mit Giganten zu tun. Wir sind täglich umzingelt von Monopolen. Das beginnt bei Amazon, das geht weiter über Black Rock im Finanzwesen und Rohstoffmonopole, Gazprom und so weiter sind uns auch allen bekannt. Das ist unsere Realität und da ist etwas richtig aus dem Ruder gelaufen.“
Die Märkte würden von wenigen Monopolen beherrscht. Damit werde der Wettbewerb, der für einen funktionierenden Kapitalismus wichtig sei, ausgeschaltet, so Jakobs. Und er zitiert den Soziologen Niklas Luhmann, der gesagt habe, die einzige Sprache, die dieses Wirtschaftssystem verstehe, seien Preise.
„Die Preise haben bisher nicht gestimmt, weil Umwelt kostenlos nutzbar war. Sie hätte aber einen Preis haben müssen. Und wir stehen jetzt vor der Aufgabe, die Schäden richtig zu taxieren.“ Das habe eine lenkende Wirkung. Die Preise seien verzerrt, weil wir uns in der Sicherheit gewähnt haben, eine stabile Energieversorgung aus Russland zu bekommen. Und wir haben uns dem russischen Staat und seinem Monopol ausgeliefert, so Jakobs. Der Anteil russischen Gases sei trotz der Annexion der Krim in den letzten Jahren weiter gestiegen. Das sei von der Industrie vorangetrieben und von der Politik willfährig umgesetzt worden, weil es billig war.
Abhängigkeit von China
Um jedoch die Energiewende herbeizuführen, brauche man nun Metalle und mineralische Rohstoffe. In diesem Bereich habe aber China ein Monopol. 60 Prozent der seltenen Erden kontrolliert China, so Jakobs. Bei Magnesium und Silizium sei der Anteil noch höher. Und China habe strategische Allianzen geschmiedet und sich damit auch 60 Prozent des Kobalts in der Demokratischen Republik Kongo gesichert.
Wer über so viel Macht verfügt, könne die Preise manipulieren, gibt Jakobs zu bedenken. Und China nutze diese Macht aktiv. „Die Abhängigkeit von China und seinen Rohstoffen ist ungleich größer als die von russischem Gas und Öl.“
Neben staatlichen Monopolen gebe es auch die privaten Monopole. Und das Schlimmste an Monopolen sei, dass sie schädlich für die Innovationsfähigkeit seien.
"Groß ist nicht groß genug. Das ist keine Strategie. Es geht darum, innovativ zu sein."
Monopole kaufen sich interessante Firmen, plündern sie aus, nutzen deren Fähigkeiten zur Verbesserung ihrer eigenen Produkte. Doch sie schaffen es nicht, entscheidende Innovationen nach vorne zu bringen, so Jakobs. Das sei besonders bei Datenmonopolen ausgeprägt. Im Silicon Valley gebe es einen großen Firmen-Friedhof.
Und diese Datenmonopole organisieren sich dann auch in einem kooperativen Verhalten zueinander so, dass ihre Märkte nicht mehr angreifbar sind, kritisiert Jakobs. Und das dehne sich dann auch auf andere Märkte wie die Autoindustrie aus.
Eine gefährliche Entwicklung
Apple, Amazon und Google dominieren mit ihren Computersystemen das Auto der Zukunft. „Unsere heimische Autoindustrie, VW, versucht, sich noch mit einem riesigen Software-Aufmarsch dagegen zu stemmen, aber das Spiel ist verloren.“ Und so breite sich die Monopolmacht aus und das sei für ihn eine gefährliche Entwicklung, so Jakobs. Denn Monopolmacht tendiere dazu, übergriffig zu werden, Gesetze zu bestimmen, Lobbyeinfluss vorzunehmen. „Die Monopolisten haben immer auch eine Medienkomponente“, sagt Jakobs. „Schauen Sie sich an, was Elon Musk macht. Er bestimmt, dass Trump bei Twitter wieder teilnehmen darf, dass Antisemiten, dass Rassisten dort Zugang bekommen. Alles im Sinne einer Meinungsfreiheit. Das verändert Gesellschaften.“
Jakobs plädiert dafür, die Algorithmen offenzulegen und zur sozialen Nutzung zur Verfügung zu stellen, damit auch andere die Daten nutzen können. Es sei die Aufgabe der Politik, Gesetze zu erlassen, die mehr Wettbewerb zulassen. Und es liege auch in unser aller Verantwortung, Dinge zu ändern. Man müsse beispielsweise Bücher nicht übers Internet bestellen, sagt er. Und man könne sich auch ohne einen Messengerdienst verabreden, der die gewonnenen Daten für tiefe Kundenprofile nutzt. Wir hätten es in der Hand, diesem freiwilligen Überwachungsstaat zu trotzen, so Jakobs.