Wie weit ist die Stasi-Aufarbeitung?

Schon recht bald nach der Wiedervereinigung führten einige der neuen Bundesländer das Amt eines Stasi-Beauftragten ein. Brandenburg zog erst jetzt, 20 Jahre nach der Wende, nach. Wie die Arbeit der Stasi-Beauftragten aussieht und was sie bewirken bei der Aufarbeitung der Stasi-Verbrechen, zeigen wir anhand von vier Beispielen.
Brandenburg
Von Axel Flemming

Fast 20 Jahre nach dem Ende der DDR bekommt Brandenburg als letztes ostdeutsches Bundesland einen Stasi-Beauftragten. Der Landtag verabschiedete Anfang Juli in Potsdam das Gesetz zur "Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur", das vor allem die Beratung von Stasi-Opfern unterstützen soll. Warum erst jetzt und warum der erste Gesetzentwurf so viel Streit auslöste, darüber mehr von Axel Flemming.

"Damit ist der Gesetzentwurf so angenommen und wir kommen zum weiteren Tagesordnungspunkt Sieben."

Günter Baaske (SPD) als stellvertretender Landtagspräsident stellt die knappe Mehrheit der Stimmen der großen Koalition aus SPD und CDU fest. Das war am 1. Juli 2009, auf der vorletzten Sitzung des brandenburgischen Landtags in der vierten Legislaturperiode; anders ausgedrückt: fast 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR. Angesiedelt wird der neue Beauftragte beim Bildungsministerium Brandenburg.

Minister Holger Rupprecht (SPD): "Nach der Verabschiedung des Gesetzes werde ich mich - wie es mir zusteht und ich beauftragt bin - bemühen, umgehend die personellen und sächlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit die beziehungsweise der Landesbeauftragte nach der Wahl durch den Landtag so schnell wie möglich seine Arbeit aufnehmen kann."

Allerdings ist jetzt parlamentarische Sommerpause. Gleichzeitig mit dem Bundestag wählen die Brandenburger am 27. September einen neuen Landtag. Und wer die Stelle dann besetzt, das soll die neue Regierung beschließen.

Ein erster Kandidat wäre Jörn Mothes gewesen, der das Amt über zehn Jahre in Mecklenburg-Vorpommern bekleidete:

"Brandenburg sollte nicht noch mal die Fehler und die Dinge, die durch die Erfahrungen der bestehenden Landesgesetze gemacht sind, wiederholen. Das heißt, dass die ganze Aufarbeitungssituation, die Überwindung der deutschen Teilung, die Frage der Stasiaufarbeitung und die Frage des Rückblickes in die deutsche Geschichte insgesamt heute unter ganz anderen Voraussetzungen geschieht, als sie 1991/92 gestanden hat."
Durch vorschnelle Benennung, noch vor der ersten Lesung des Gesetzes, galt Mothes als verbrannt.

Der neue Beauftragte soll Opfer staatlicher Verfolgung zur Zeit der sowjetischen Besatzungszone und der DDR beraten und sie unterstützen, ihre Rechte wahrzunehmen.

Ursprünglich hatte die SPD-CDU-Koalition einen Entwurf vorgelegt, wonach der Beauftragte für die Opfer sowohl der kommunistischen als auch der NS-Diktatur zuständig sein sollte. Das löste einen Sturm der Betroffenen aus, die eine Gleichsetzung befürchteten.

Der Protest machte auch nicht vor der Weihung eines jüdischen Friedhofs halt, einem Außenlager des KZ Sachsenhausen. Auch dieser Akt mit Verspätung: die Gebeine von 589 jüdischen Häftlingen aus Ungarn und Polen waren schon 1958 und 1971 bei Lieberose gefunden worden, die Stasi hatte sie verbrannt bzw. in Schuhkartons gelagert.

Nach dem Krieg wurde Lieberose als sowjetisches Speziallager genutzt, in dem innerhalb von zwei Jahren mehr als 3400 Menschen zu Tode kamen. Der Vizepräsident des Internationalen Sachsenhausen-Komitees, Roger Bordage, will aber keine Vermischung:

"Ihre Erinnerung darf nicht durch ein empörendes Amalgam geschändet werden, wie jenes, das dem Konzept der brandenburgischen Landesregierung zugrunde liegt und gegen das wir entschieden unsere Stimme erheben. Selbst wenn wir Verständnis für einige der im Speziallager Inhaftierten empfinden, ist es unwürdig, ihr Schicksal mit dem Schicksal derjenigen zu vermischen, die im Außenkommando des KZ Sachsenhausen, welches direkt mit dem Vernichtungslager Auschwitz verbunden war, massakriert wurden."

Nach der Anhörung zur ersten Gesetzesvorlage wurde der Bezug auf den Nationalsozialismus gestrichen.

Die CDU sieht das Gesetz als ein "Instrument zur Aufarbeitung und Versöhnung". Es richte sich auch an die vielen tausend Stasi-Mitarbeiter, die ebenfalls psychosoziale Beratung benötigten, sagte Generalsekretär Dieter Dombrowski. Er zitierte Manfred Stolpe, den ersten Ministerpräsidenten des wieder gegründeten Landes.

"'Allen Menschen eine Chance geben!' Auch denen, die Täter geworden sind, weil sie als inoffizielle Mitarbeiter immer noch ein Geheimnis mit sich herumtragen. Und das kann die Menschen nicht glücklich machen."

Die Linke stimmte in der zweiten Lesung überwiegend gegen den Entwurf. Anfangs hatte dies noch anders ausgesehen. Heinz Vietze war zum Ende der DDR Erster Sekretär der SED-Kreisleitung im Bezirk Potsdam. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte Vietze als "Gesellschaftlichen Mitarbeiter für Sicherheit" registriert.

Bei der ersten Lesung gab er eine persönliche Erklärung ab:

"Ich will an diesem Gesetzentwurf mitarbeiten, weil ich die Verantwortung auch persönlich mittrage für das, was in Verantwortung der Täter mit dem, was in der DDR an Führungsstrukturen verbunden ist, trage. Ich finde, dass gehört dazu einschließlich der Entschuldigung gegenüber denen, gegen die Menschenrechtsverletzungen und so weiter praktiziert wurden: den Opfern."

Damals, 1992, als die anderen ostdeutschen Länder ihre Stasi-Beauftragten-Gesetze verabschiedeten, klärte in Brandenburg ein Untersuchungsausschuss noch in langen Sitzungen die Verstrickungen von Manfred Stolpe mit der Stasi.


Berlin
Von Dorothea Jung

Die geteilte Stadt Berlin war für die Arbeit der Staatssicherheit von besonderem Interesse. Und so war nach 1989 schnell klar, dass ein Landesbeauftragter hier zügig seinen Dienst antreten muss. Gerade im öffentlichen Dienst der nun vereinten Stadt war eine Übernahme nur dann möglich, wenn eine Zusammenarbeit mit der Stasi ausgeschlossen werden konnte. Ein Bürgerhaus in der Scharrenstraße im historischen Berlin ist noch heute die Anlaufstelle für Betroffene und Interessierte, die sich mit den allgemeinen Veröffentlichungen zum Thema Aufarbeitung nicht begnügen wollen. Dorothea Jung hat da mal geklingelt.

Stimme Klingelanlage: "Büro des Landesbeauftragten. Guten Tag!"

Das Treppenhaus des Landesbeauftragten ist eng. Neben dem Kopiergerät im Flur stapeln sich die neusten Broschüren der Behörde in grauen Pappkartons. Daneben wartet ein kleiner Turm versandfertiger Päckchen auf den Transport. Es sieht nach Arbeit aus. Etwas mehr Ruhe herrscht rechts im Erdgeschoss, in der kleinen Präsenz-Bibliothek. Sie hält Literatur über die Arbeitsweise der Staatssicherheit bereit, Erlebnisberichte von SED-Opfern und Werke über die Geschichte der DDR. Dort empfängt Martin Gutzeit seine Gäste.

"Ich bin Jahrgang '52, gelernter Elektromonteur und Theologe, ich war auch Pfarrer und bin jetzt Landesbeauftragter."

Als erklärter Gegner des SED-Regimes war der Berliner Landesbeauftragte einst maßgeblich an der friedlichen Revolution beteiligt, saß im Wende-Jahr mit am Runden Tisch und war einer der Gründer der Ost-SPD. Martin Gutzeit ist ein Mann mit weißen Haaren und ernstem Blick, der über die Fähigkeit verfügt, sein Gegenüber mit plötzlichen Lachsalven zu überraschen. Zum Beispiel, wenn er merkt, dass jemand die DDR nicht als Diktatur begreift. Aber er findet immer schnell zur Ernsthaftigkeit zurück.

"Es ist die Aufgabe des Berliner Landesbeauftragten, die Folgen der SED-Diktatur in ihrer politischen und historischen Hinsicht aufzuarbeiten."

So steht es im Gesetz über den Stasi-Landesbeauftragten in Berlin. In der kleinen Behörde sind zehn Mitarbeiter Ansprechpartner für Politiker; Verwaltungen, Schulen und interessierte Berlinerinnen und Berliner. "Wir informieren die Bürger auf vielfältige Art über das Ministerium für Staatssicherheit", sagt Behördenchef Martin Gutzeit.

"Eine wichtige Aufgabe ist eine ganze Reihe von Veröffentlichungen oder Veranstaltungen, Tagungen, und natürlich ein Kernpunkt unserer Arbeit ist die Beratung von Opfern."

Für Opferberatung ist beim Berliner Landesbeauftragten Mitarbeiter Jens Planer-Friedrich zuständig. Auch er war einst Theologe, auch er gehörte vor der Maueröffnung zur Opposition in der DDR.

"Häufig sind es Beiträge im Fernsehen, Filmen, die bei den Menschen etwas auslösen: Ich hab doch da auch etwas erlebt. Und auf den Wegen zu den Recherchen kommen sie dann häufig bei uns vorbei, und dann ist der erste Punkt meist: Wie kann ich Einsicht in meine Stasi-Akte bekommen."

Hierzu berät Jens Planer-Friedrich seine Besucher genauso wie zu Fragen über Haft-Entschädigung und Opferrente.

Im Treppenhaus herrscht reges Treiben. Eben verlassen Geschichtsstudenten die Behörde mit Informationen für ein Seminar über die SED. Neue Druckerzeugnisse werden im Sekretariat angeliefert. Eine Broschüre ist eine Handreichung für Schulen und heißt: "Die friedliche Revolution 1989/1990". Verfasst von Elena Demke, Historikerin und Referentin für politische Bildung beim Landesbeauftragten.

"Gestern hab ich Lehrern Material gezeigt, wie man mit Fotos von Demonstrationen und Mauerfall kontrastierend, zum Beispiel mit Aufnahmen von Westjournalisten und von östlicher Seite Staatssicherheit vergleichen kann, um ein lebendiges Bild von der Geschichte zu erhalten."

Die Hälfte seines jährlichen 1,6 Millionen-Etats vergibt der Landesbeauftragte an Initiativen, Projekte und Vereine, die sich ebenfalls das Ziel gesetzt haben, über die DDR aufzuklären oder die auch Opferberatung anbieten. Koordinator dieses Arbeitsgebietes ist der stellvertretende Behördenchef Jens Schöne.

Der 39-jährige Historiker bereitet gerade eine Veranstaltung mit dem privaten DDR-Museum in Berlin vor. Thema: Die Bluesmessen im SED-Staat der Vorwendezeit.

Jens Schöne: "Da traf sich die alternative Kultur in den Kirchen und feierte den Blues, aber eben auch oppositionelles Leben, und das ist so eine Kooperation, in der man sich mit anderen Institutionen vernetzt, die sich mit dem Gegenstand DDR auf vielfältigste Weise auseinandersetzen."


Thüringen
Von Hilde Weeg

Hubertus Knabe, Historiker und Leiter der Stasi-Haft-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, hat die Stasi-Aufarbeitung in Thüringen im letzten Jahr als bundesweit vorbildlich gelobt. Dennoch sind 20 Jahre nach der Erstürmung der Stasi-Zentrale in Erfurt am 4. Dezember 1989 auch hier noch viel zu viele Fragen offen. Hilde Weeg hat sich mal darum gekümmert.

Viele Dokumente sind in den Wirren der Wendezeit verschwunden, darunter die Stasi-Statistiken und die Akten der aktivsten Stasi-Spitzel in den drei damaligen DDR-Verwaltungsbezirken Erfurt, Gera und Suhl. Und viele der vorhandenen Dokumente verraten nicht die Wahrheit, zum Beispiel die Protokolle in den Gefängnissen:

"Wir haben hier die Erfahrung gemacht, dass die Vernehmungsprotokolle im Vergleich zu den tatsächlichen Vernehmungen erhebliche Unterschiede aufweisen - die Zwischentöne fehlen, das Schreien ... und die Dinge, die am Rand gesagt worden sind, um die Leute unter Druck zu setzen."

Heiko Knorr ist Mitarbeiter der Haft-Gedenkstätte "Amthordurchgang" in Gera. 2800 Menschen hatten hier zu DDR-Zeiten eingesessen, mehr als 6000 in Erfurt, mehr als 1000 in Suhl. Die meisten davon nur, weil sie ihre regimekritische Meinung geäußert hatten. Im Keller der Geraer Gedenkstätte ist eine Zelle originalgetreu in ihren Ausmaßen von zwei auf vier Metern und ihrem Schrecken eingerichtet. Vom Tonband erzählen hier die Opfer von ihren Erinnerungen.

"Dieses Zeitrumkriegen in der Zelle, diese Stunden in der Zelle, man durfte nichts machen."
"Es war total belastend, dass man keinen Kontakt nach außen hatte. Das einzige, was man manchmal gehört hat, waren die Schritte des Wachpersonals."
"Und wenn man aus der Zelle geholt wurde, dann hat man die Riesenschlüssel gehört und den Riegel, der zuknallte - das hab ich heute noch im Ohr."

Die Gefängniswärter, die Spitzel, die Vernehmer vom Stasigefängnis in Gera sind nach der Wende meistens straffrei geblieben.

Heiko Knorr: "Hier in Gera ist mir kein Fall bekannt, dass einer deshalb vor Gericht gestellt worden ist."

Über die Nutzung des alten Erfurter Stasi-Gefängnis wird immer noch gestritten. In Thüringen sind damit kaum authentische Orte der Stasi-Verbrechen erhalten. Und: Der Einigungsvertrag schützt bis heute die allermeisten Täter vor einer Bestrafung. Insgesamt also schwierige Voraussetzungen für eine Aufarbeitung.

Heiko Knorr: "Ich denke, es wird keine vollständige Aufarbeitung geben können. Das ist der Natur der Dinge geschuldet, weil in der Zwischenzeit viele Menschen gestorben sind und noch viele sterben werden. Um eine umfassende Geschichte darstellen zu können, gehört es ja dazu, diese einzelnen Schicksale zu dokumentieren und zu hören. Ich könnte das so vermuten, dass wir vielleicht 30 Prozent der Dinge aufgearbeitet haben."

Bezogen auf die Umstände ist das viel. Immerhin hat Thüringen gleich nach der Wende konsequent die Vergangenheit seiner Beamten, vor allem von Polizisten, Lehrern und Abgeordneten auf Stasitätigkeit untersucht, rund 48.000 mal. 1754 Beamte wurden deshalb entlassen. Wolfgang Brunner, der Leiter der Außenstelle der Birthler-Behörde in Erfurt, ist zufrieden:

"Eigentlich arbeiten hier alle ganz, ganz gut zusammen, dass fängt beim Ministerpräsidenten an, setzt sich fort über die Landtagspräsidentin, ganz stark beteiligt auch die Landesbeauftragte, das geht nahtlos über zur Stiftung Ettersberg bis hin zu regionalen Aufarbeitungsinitiativen hier vor Ort, auch Thüringer Archiv für Zeitgeschichte, beide Kirchen, ich kann also überhaupt nicht klagen."

Auch Brunner bemerkt, wie viele seiner Kollegen, dass wieder mehr Menschen ihre Akten einsehen wollen:

"Momentan ist es deutlich mehr - wir haben 2008 5700 gehabt und haben jetzt in 2009 jetzt schon - im Juni - mehr als 5000. Wenn wir nachfragen, sagen die meistens, ja, wir entschließen uns jetzt erst."

10.000 Inhaftierte in Thüringer Stasi-Gefängnissen, dazu 12.000 Zwangs-Umgesiedelte und schließlich insgesamt 640.000 Namen in den Stasi-Karteien - Betroffene gibt es reichlich. Aber gerade den schwer Betroffenen fehlt bis heute oft die Kraft, sich den Erinnerungen zu stellen. Bis dahin ist der Weg aber noch weit. Denn eine Aufarbeitung von Tatsachen kann eine Behörde leisten, eine Verarbeitung der Erlebnisse nicht:

"Das Schicksal der Opfer ist dann gewürdigt worden, wenn der Einzelne in der Rückschau innerlich zur Ruhe kommt. Das geht in die Richtung, dass man mit Tätern, die einem Leid zugefügt haben, dass man mit denen in ein Gespräch eintritt und dass die Reue zeigen. Und das ist das, was regelmäßig nicht eintritt. Das ist das erste, was fehlt."

Trotz aller Anstrengungen kann das Ergebnis 20 Jahre danach nicht zufrieden stellen, denn vielen Tätern - darunter auch ehemalige SED-Verantwortliche - geht es wesentlich besser als ihren Opfern, auch in Thüringen.

Sachsen
Von Alexandra Gerlach

"Es war nie mein Ziel, die Stasi zu meinem Lebensthema zu machen". Das sagt man so und nun ist Michael Beleites doch schon seit 2000 Stasi-Beauftragter des Freistaates Sachsen. Der Pfarrerssohn und studierte Landwirt war Mitbegründer der Umweltbewegung in der DDR. Jahrelang wurde er wegen seines Engagements gegen Umweltzerstörung in der DDR von der Stasi überwacht. Heute ist es seine Aufgabe, Opfern der Staatssicherheit der DDR bei der Deutung ihrer Akten zu helfen. Vor allem aber bemüht er sich um die Erklärung einer wichtigen Frage: Warum konnte das repressive System der DDR so lange so gut funktionieren? Alexandra Gerlach ist gerade dazugekommen.

"Ist da eene, ist das eene?"
"Das ist eine mit den Zeitzeugen-Interviews. Also, da sind jetzt Interviews von einer Lehrerin drauf, einem Schriftsteller, einem Mathias Günter - wer war das? - einem Flüchtling, und der hat in Bautzen gesessen, und einem Stasimitarbeiter, die erzählen uns halt alle etwas über ihre Geschichte."

Schülerinnen und Schüler recherchieren die Geschichte der DDR. Die Gymnasiasten des Dresdner Romain-Rolland-Gymnasiums sind zwischen 11 und 15 Jahre alt und haben sich auf Spurensuche begeben, um herauszufinden, was die DDR ausmachte, und wie es war, in ihr zu leben.

"Sonst hört man ja viel Negatives über die DDR, das halt viel überwacht wurde, dass man nicht reisen konnte, das war ja alles nicht so gut, sag ich mal, aber die einzelnen Leute haben natürlich auch ihr Leben gelebt, und da auch positive Dinge erlebt, in ihrem Leben."

Schülerprojekte seien wichtig für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte, meint Michael Beleites, der sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Das Unrecht in der DDR nur auf die Staatssicherheit zu reduzieren, hält er für falsch. Die Repression und Nötigung des Bürgers sei viel umfassender gewesen und habe alle Bereiche des Alltages durchdrungen. Die Kernfrage laute für ihn:

"Wie konnte das so funktionieren, dass so viele mitgemacht haben. Dieses Mitmachen bezieht sich eben bei weitem nicht nur auf Stasi-Tätigkeit, sondern bezieht sich auf Anpassung und Einpassung in dieses System, von dem ja die meisten wussten, dass es ein falsches System ist."

Tagtäglich suchen Menschen mit ihren Stasi-Akten den Rat seiner Vier-Mann-Behörde, Menschen, die in der DDR mehr die negativen Seiten des Systems zu spüren bekommen haben:

Michael Beleites: "Die Fragen sind heute andere als vor 15 Jahren, und die Ratsuchenden sind oft auch andere, aber das Interesse als solches ist weiterhin stark. Vor 15 Jahren ging es vor allem um die Frage, wer war dabei, und heute geht es eher darum, wie hat das funktioniert und welche Bedeutung hat das, was kann da noch dahinter stecken, das sind dann doch Fragen, die tiefer gehend sind."

Viele, die sich nach der friedlichen Revolution um die Sicherung der eigenen Existenz kümmern mussten, hätten erst jetzt die Möglichkeit und das Bedürfnis genauer nachzufragen, sagt Beleites, der in Sachen DDR-Vergangenheitsaufarbeitung von Schlussstrich-Debatten gar nichts hält:

"Na, ja, diese Schlussstrichforderungen, das ist eigentlich etwas völlig unwirkliches oder albernes, weil natürlich die Art und Weise, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, ändert sich. Es ist jetzt schon anders, als es vor 15 Jahren war, aber es gibt keine geschichtliche Epoche, wo irgendwann mal per Dekret entschieden wurde, damit beschäftigen wir uns jetzt nicht mehr. Es gibt so einen Schlussstrich nicht."

Für Michael Beleites, den offiziellen Stasibeauftragten des Freistaates ist die einseitige Diskussion um die Macht der ehemaligen DDR-Staatsicherheit längst zweitrangig im Aufarbeitungsprozess der zweiten deutschen Diktatur. Die aktuell in Sachsen wieder aufgeflammte Diskussion um die ehemaligen Mitglieder der Blockparteien hält er für wesentlich interessanter:

"Weil diese Blockflötendebatte wirklich auch tiefer geht als die Stasidebatte. Wie konnte das so funktionieren? Das so viele da mitgemacht haben, obwohl das ja offenkundig nicht demokratisch und freiheitlich war."

An Unterstützung durch die Parteien mangele es ihm nicht, sagt Beleites, nur einmal habe er bei seinem jährlichen Bericht an den Landtag heftigen Widerstand verspürt:

"Das war, als ich im Tätigkeitsbericht darauf hingewiesen habe, dass die Situation in der ostdeutschen Landwirtschaft nach wie vor so ist, dass die Begünstigten der sozialistischen Landwirtschaft auch heute noch die Begünstigten sind, und die Geschädigten der sozialistischen Landwirtschaft auch heute noch die Geschädigten sind, und da gab es ganz massiven Gegenwind und eigenartigerweise aus fast allen Richtungen."

Mehr Unterstützung würde sich der sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Form von mehr Personal für seine Behörde wünschen. Diese sei ständig überlastet und eigentlich zu klein für die ihr gestellte große Aufgabe.