Wie wir unsere Sprache kaputtmachen

Von Paul-Hermann Gruner |
Menschen gehen schrecklich nachlässig mit ihren Sprachen um. Die meisten Tortenheber, Briefmarken oder Automobile werden sorgsamer und pfleglicher benutzt. Das gilt besonders in Deutschland.
Das Deutsche mit rund einhundert Millionen Muttersprachlern in Europa ist bedroht, nein: wird verkorkst durch eine sonderbare Form von Globalisierung. Die ältere Garde der Germanisten ist erfüllt von der dazu passenden "liberalen" Geisteshaltung; sie nimmt das sogenannte Denglisch - wegen dessen Verheerungen ja der "Tag der deutschen Sprache" ins Rollen kam - wenig ernst und säuselt vom "großen Magen", den das Deutsche doch habe.

Diese Haltung kann man nur als Versuch werten, Selbstvergessenheit zu einer Tugend zu erklären. Die aggressive Invasion unnötiger - Betonung: unnötiger - englischer Termini ins Deutsche zählt zur Unkultur der mit Achselzucken verfolgten Verwahrlosung einer Sprache. Diese ist aber kein Werkzeug wie Messer und Gabel, sondern der zentrale deutsche Kultur-Ausdruck.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war hierzulande die Bahn endgültig frei für die pauschale Aufnahme von fast allem, was aus Westen kam. Da im Osten eines der hässlichsten Weltbeherrschungsregime der Historie sein pralles Unwesen trieb, war dies nicht verwunderlich. Essen, Trinken, Musik und Sprache - alles, was nach 1945 vor allem aus den Vereinigten Staaten von Amerika kam, war neu, war attraktiv. Care-Paket, Kaugummi, Coca-Cola - alles gut. Glenn Miller, Bill Haley, Elvis Presley - alle toll.

Zusätzlich verlängerten die Alliierten ihren Sieg gegen NS-Deutschland auf Zelluloid. Und so bellte die deutsche Sprache durch eine Armada von Spielfilmen, vorwiegend als Maul-Kanonade einer Kreatur in SS-Uniform. Widerwärtig und unmenschlich. Leider ging auf diese Weise ein großer Teil des Ekels - bei Siegern wie Besiegten - auf die gesprochene Sprache über, weg vom Ungeist der sie Sprechenden.

Heute betreiben Deutsche eine sprachlich-geistige Selbst-Kolonisierung ersten Ranges. Sie gilt als schick, weltläufig und marktfähig. Ersetzung des Deutschen heißt die Gefahr, keineswegs Ergänzung des Deutschen. Und ersetzt wird in einem Tempo, das geradezu besoffen macht. Das öffentliche Deutsch - zeitverzögert folgend das private - leidet unter Bulimie. Es frisst und frisst englische Brocken und Bröckelchen pausenlos in sich hinein, übergibt sich ebenso permanent und schaut hernach bedenklich abgemagert aus der Wäsche. Unser Sprachkleidchen umflattert einen ausgehungerten Leib. Vor allem das Deutsch der Medien, der Werbung, der organisierten Jugendsprache, der Wirtschaft, des Einzelhandels.

Wichtig wäre nun zu erkennen, was man sich antut. Dazu müsste man Schmerz aber spüren. Bei Journalisten, bei Unternehmern, Politikern, Künstlern, allen beruflichen Sprachnutzern. Leider ist ein Wertebewusstsein gegenüber dem Eigenen - und damit Identitätsstärke - bei den zitierten Gruppen kaum noch im Kontor.

Denglisch mache nur ein Prozent des deutschen Wortschatzes aus, trösten manche Germanisten. So zählen hauptamtliche Verharmloser. Wer’s glaubt, wird nicht selig. Begrüßt wird stattdessen jedes frisch einverleibte Wort - etwa "Fashion-Week" statt Mode-Woche oder "Factory-Outlet" statt Fabrikverkauf - wie ein verlorener Sohn. Diese Art von Multi-Kulti-Gedöns kommt einem vor wie zu spät nachgeholter Widerstand gegen den Nationalsozialismus, vollzogen obendrein am falschen Objekt.

Worte wandern nicht ein, sie werden "eingepresst". Sie stehen im Kontext einer kalten Effizienzrechnung, die Vereinheitlichung auf Kosten der Vielfalt erzwingt. Deshalb sind auch alle Verweise auf frühere Wortwanderungen ins Deutsche hinfällig. Es geht nicht um Wortwanderung, es geht um den sprach- und technikhistorisch bis dato einmaligen Anpassungsdruck hin zur globalen Uniformität, der für alle Regional- und Kleinsprachen eine klare Existenzgefährdung darstellt.

Der Tag der deutschen Sprache erinnert daran, dass man etwas für sie tun kann, mit jedem Sprech- und Schreibakt. Sagen Sie einfach Ausrüstung statt "Equipment", Bäckerei statt "Back-Factory", Kunde statt "User", Glanzlicht statt "Highlight", Plauderei statt "Smalltalk" und bleiben sie bei Volkswagen statt "People’s Car". Und wenn sich ihnen jemand als "Incoming-Outgoing-Manager" vorstellt, dann gehen Sie mal davon aus, dass er in seinem Betrieb die Hauspost erledigt. Deutsch macht so Vieles einfach einfacher.

Paul-Hermann Gruner, geboren 1959, ist Politikwissenschaftler und Historiker. Seit Beginn der Achtzigerjahre tätig als bildender Künstler mit den Schwerpunkten Montage, Installation und Performance. Seit 1996 in der Redaktion des "Darmstaedter Echo", daneben Veröffentlichungen in regionalen und überregionalen Zeitungen, satirische Texte, Buchpublikationen unter anderem zu Sprachpolitik und Zeitgeistkritik.
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