Wie Wirtschaftsinstitute ticken

Nicht länger nur einfach "Liberale" vs. "Keynesianer"

Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln
Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln © Andreas Diel
Von Stefan Maas |
Die Analysen und Studien der wichtigsten Wirtschaftsforscher sorgen in den Medien noch immer für Schlagzeilen. Allerdings: Die Forscher lassen sich nicht mehr so leicht wirtschaftswissenschaftlichen Lagern zuordnen. Und die medienpolitischen Taktiken sind dabei ganz unterschiedlich.
"Herzlich willkommen zur Pressekonferenz des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Unsere Frage ist heute, ob eine zu große oder wachsende Ungleichheit wirklich auf Kosten von Wachstum und Wohlstand geht, wie die OECD und einige andere Wirtschaftsforscher ja immer wieder feststellen."
Ein Montagmorgen in Berlin. Im Haus der Bundespressekonferenz hat das IW zu einer seiner recht regelmäßigen Pressekonferenz geladen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut gehört zu den medial umtriebigsten. Das liegt auch an seinem Direktor. Michael Hüther. Der Wirtschaftswissenschaftler war, bis er dieses Amt übernahm, unter anderem Leiter des wissenschaftlichen Stabes des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Chefvolkswirt der DeKaBank Deutsche Girozentrale.

Einkommensungleichheit nur in armen Ländern ein Problem?

Hüther sitzt auch an diesem Morgen auf dem Podium und erklärt, die besagte Studie der OECD habe methodische Schwächen, die eigenen Berechnungen hätten gezeigt, dass zunehmende Einkommensungleichheit nur in armen Ländern ein Problem für das Wirtschaftswachstum sei, nicht aber in Industrienationen wie Deutschland, in denen die Ungleichheit nur moderat sei.
Ähnlich wie Hüther argumentieren auch Christoph Schmidt, der Chef des RWI, des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, der auch der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen ist. Und Clemens Fuest, der ab übermorgen das Ifo-Institut leiten wird.
Marcel Fratzscher hingegen teilt diese Ansicht nicht. Er hat nur wenige Tage zuvor ein neues Buch veröffentlicht. In dem diagnostiziert er eine stark gestiegene Ungleichheit in Deutschland. Über die Folgen spricht er in vielen Interviews:
"Die hohe Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen hat viele Kosten für Deutschland. Nicht nur reduziert es das Wachstum, also die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, sondern letztlich schafft es auch eine hohe Abhängigkeit vom Staat. Viele Menschen sind von staatlichen Transfers abhängig, sind nicht mehr selbständig und können nicht selbst über ihr Leben bestimmen."
Fratzscher ist Chef des DIW, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Das positioniert sich traditionell eher gewerkschaftsnah. Und damit konträr zu den neoliberalen oder wirtschaftsnahen Instituten wie dem IW Köln, dem RWI in Essen und dem ZEW, dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, dessen Chef Clemens Fuest bislang war.

"Eher eine Positionierung der Chefs"

Doch die scharfe inhaltliche Trennung wie früher gebe es bei den Instituten eigentlich nicht mehr, sagt Malte Fischer, Chefvolkswirt bei der Wirtschaftswoche. Die Institute hätten sich dem ökonomischen neokeynsianischen Mainstream angenähert.
"Disparitäten in der politischen Positionierung, die wir jetzt noch haben, sind vielmehr an den Leitern ausgemacht. Da sehen wir durchaus, dass Herr Fratzscher beim DIW eine eher linke Position, eine sozialdemokratische Position vertritt, währen Hans-Werner Sinn eher die ordoliberale Position vertritt. Da gibt es dann eher diese Positionierung der Chefs."
"Ich denke, á la longue ist es die Forschung, die Generierung von Ideen."
Sagt Malte Fischer. Aber bedeutet das auch direkten Einfluss der Ökonomen auf die Politik? Hört man doch häufig die Klagen von Wissenschaftlern, die bei Ihnen in Auftrag gegebenen Studien seien nicht veröffentlicht worden – oder ihre Empfehlungen nicht umgesetzt worden. Stattdessen sei die Studie gleich in der Schublade verschwunden, etwa weil das Ergebnis gerade nicht opportun erschien.

"Das Gutachten wandert ins Regal – und bleibt da"

Dieses Schicksal teile meistens sogar das Gutachten der Wirtschaftsweisen, die sich einmal im Jahr zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung äußerten, meint Fischer. Das wird zwar mit viel medialer Aufmerksamkeit bedacht, aber:
"Bis auf einzelne Kapitel, die sich vielleicht in den Ministerien vielleicht die Sachbearbeiter, die Referatsleiter durchlesen und auswerten, verschwindet dieses große Gutachten grosso modo im Regal der Minister. Und wird dann auch nicht wieder angerührt."
Es gebe allerdings Ausnahmen:
"Das hatten wir damals erlebt mit der Agenda 2010, mit der großen Arbeitslosigkeit, da hatte der Sachverständigenrat schon im Vorfeld Vorschläge erarbeitet wie man die hohe Arbeitslosigkeit reduzieren kann. Und von diesen Vorschlägen wurden dann einige auch in die politische Handlungsempfehlung übersetzt. Das hat man an der Schröderschen Reform gesehen, da ist vieles von dem, was der Sachverständigenrat schon im Vorjahr gefordert hatte, umgesetzt worden."
Klare Handlungsempfehlungen. Die finden sich allerdings nicht jedes Jahr im Gutachten der Wirtschaftsweisen. In manchen Jahren ist der Inhalt auch nur gut zwischen den angebots- und den keynsianisch-orientierten Mitgliedern ausbalanciert statt ausdiskutiert.
Es gibt also keinen direkten Weg von der Wirtschaftstheorie zur Umsetzung in der Politik-Praxis. Oder doch?
"Man versucht jetzt, von Seiten der Institute stärker die Medien zu bedienen und hofft über die mediale Präsenz einen gewissen Einfluss zu erhalten, was ja auch nicht unwahrscheinlich ist."
Analysiert Wirtschaftsjournalist Fischer.

Die unbekannten deutschen Spitzen-Ökonomen

Es gibt auch unter deutschen Ökonomen Spitzenforscher von internationalem Rang, in der Öffentlichkeit aber kennt man sie nicht. Für Beratung haben sie keine Zeit. Ihr direkter Einfluss auf die Tages-Politik ist gering, das belegt auch eine Untersuchung aus dem Jahr 2013.
Manche beraten diskret. Manche per TV. Eine Typenfrage. Hans-Werner Sinn, hat einen anderen Weg gewählt: Stark in der wissenschaftlichen Arbeit aber auch stark auf dem Talkshowparkett, hat sich der 68-Jährige in der Öffentlichkeit eine Bekanntheit erarbeitet, die kaum ein zweiter deutscher Wirtschaftswissenschaftler erreicht. Ein Einzelfall ist er damit aber längst nicht mehr. Eine Regel müssen die Ökonomen jedoch beherrschen, die die Medien-Öffentlichkeit suchen:
"Man muss dann halt auch seine Botschaft so runterbrechen können, dass der einfache Mann auf der Straße es versteht. Man darf dann nicht im ökonomischen Kauderwelsch stecken bleiben."
Habe sich eine Position oder Idee dann auch in der Bevölkerung verfestigt, kämen Politiker, die bei Wahlen Mehrheiten brauchten, kaum darum herum, darauf zu reagieren.

Personen beraten Politiker – nicht Institute

Trotzdem sei das die lange Route, der Umweg zum Einfluss, ist Fischer überzeugt. Hinzu kommt:
"Die Erfolgsaussichten sind sehr ungewiss. Man kann auch den kurzen Weg gehen als Ökonom, indem man versucht, Spitzenpolitiker zu beraten. Da ist es dann aber so, glaube ich, dass dann nicht ein Institut an sich erfolgreich ist, sondern dann liegt es wieder an den Personen."
Marcel Fratzscher, auch medial omnipräsent, oft unterwegs als "Anti-Sinn", wurde von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zum Vorsitzenden einer Kommission gemacht, die die Frage klären sollte, wie kann in Deutschland wieder mehr investiert werden. Vor allem in die Infrastruktur. Eine ähnliche politische Karriere hat in den vergangenen Jahren wohl nur Bert Rürup gemacht. Während der rot-grünen Regierungszeit hat die von ihm geleitete und nach ihm benannte Kommission unterschiedliche Maßnahmen zur Stabilisierung der Sozialversicherung erarbeitet und vorgeschlagen. Der Ökonom war damit an der damaligen Rentenreform maßgeblich beteiligt. Als Kuratoriumsvorsitzender des DIW hat Rürup auch Fratzscher mit ausgesucht.