Wiederentdeckt: "Der Verlorene" (1950/51)

Von Jörg Taszman · 30.11.2007
Peter Lorre (1904-1964) ist vor allem als Schauspieler bekannt. Er spielte in Hollywood in so berühmten Klassikern wie "The Maltese Falcon" und "Casablanca" mit. Nach dem Krieg dreht seinen ersten und letzten Film als Regisseur: "Der Verlorene". Der Film floppt und wird erst in den 80er Jahren lange nach Peter Lorres Tod wiederentdeckt. Nun ist einer der wichtigsten Anti-Nazifilme endlich auf einer Doppel-DVD erschienen.
Er ist liebenswürdig und sehr fürsorglich dieser Dr. Neumeister , der in einem Lager für "Displaced Persons" arbeitet, wohin es Flüchtlinge aus ganz Europa nach dem Zweiten Weltkrieg meist nach Deutschland verschlug. Peter Lorre spielt ihn zunächst als einen netten Onkel-Typ mit warmer, einfühlsamer Stimme, dessen einzige Laster der Alkohol und Zigaretten zu sein scheinen. Doch dann trifft der Doktor auf einen alten Bekannten.

"Bitte bedienen sie sich doch."

"Entschuldigung Herr Doktor. Ich hatte angeklopft, aber sie haben es anscheinend überhört. Im Grunde haben Sie natürlich recht. Die Gründe, die hier zwischen uns zur Sprache kommen könnten, sind weder Ihnen noch mir sonderlich angenehm. Warum sie also überhaupt zur Sprache bringen ... Ich möchte Sie nur bitten, ihr Schweigen als eine dauerhafte und zuverlässige Abmachung zu betrachten. Eine dauerhafte und gegenseitige Abmachung."

In Wirklichkeit heißt Neumeister Dr. Karl Rothe und sein ehemaliger Kollege ist der überzeugte Nazi Hoesch. Beide haben eine neue Identität angenommen und bereits getötet aber aus unterschiedlichen Gründen und Motiven. Und nur Rothe, der einst von Hoesch gedeckt, manipuliert und benutzt wurde, hat ein Problem mit seiner Schuld, mit dem ganzen verlogenen System, das untergegangen ist, aber in einem Opportunisten wie Hoesch weiterlebt.

In langen Rückblenden und einem Off-Kommentar erzählt Rothe die Geschichte von seiner Getriebenheit. Das erinnert natürlich an die Rolle von Peter Lorre als Kindermörder in "M"von Fritz Lang. Der Regisseur Romuald Karmakar verweist in einem Interview auf der Bonusdisc auf diese Parallelen und belegt sie mit einem Zitat aus "Der Verlorene".

"Wenn man sich den Verlorenen ansieht. Da sind manchmal fast identische Dialogstellen. Also dieses Zwanghafte: Peter Lorre in seiner Figur als Arzt beschreibt, Dinge die man nicht tun will, aber tun muss:

'Meine Flucht war vergebens gewesen. Ich war nicht entkommen. Ich hatte es nicht tun wollen und hatte es doch getan. Und nun lief ich durch die Nacht, blind und taub und verloren.'"

"Der Verlorene" ist ein verkanntes Meisterwerk, das den ganz gewöhnlichen, alltäglichen Faschismus bis in das Nachkriegsdeutschland verfolgt. Beklemmend gelingt Peter Lorre das Gesellschaftsporträt eines Landes, das sich in der Figur von Hoesch noch keine Schuld einzugestehen vermag. In "Der Verlorene" gibt es keine positiven Helden.

Es ist ein bitterer Film, der stark mit den Mitteln des expressionistischen Kinos und dem Film Noir arbeitet - ästhetisch eine Augenweide . Nur zehn Tage lang lief die einzige Regiearbeit von Peter Lorre in den deutschen und österreichischen Kinos. Die Kritik war gespalten, oft sogar positiv. Aber die Deutschen wollten 1951 diese Geschichte nicht sehen. Romuald Karmakar erläutert sehr präzise warum.

"Und 1951 war das Jahr, indem der Paragraph 131 eingeführt wurde. Also genau in dieser Zeit, die Mitläufer also die Verantwortlichen des Nationalsozialismus sich als Opfer der Entnazifizierung darstellen. Durch den Paragraphen 131 auch sehr viel Gestapo-Leute wieder in den normalen Beamtendienst eingegliedert wurden.

Genau in diese Zeit kommt er mit dieser Geschichte, die eben sagt: man kann nicht vergessen. Man muss sich dem stellen, man muss sich dem Auseinandersetzen: der eigenen Schuld und auch mit der Gesellschaft, die diese Schuld zulässt."

Peter Lorre, der sich von seiner ersten Regiearbeit weitere Aufträge erhofft hatte, verließ danach zum zweiten Mal Deutschland und starb 1964 im Alter von 59 Jahren in Hollywood. Im Bonusmaterial weisen gleich zwei lange Dokumentationen auf diesen einmaligen Schauspieler und seine wechselvolle Karriere hin.

"Der Verlorene" ist eine Art Vermächtnis, ein Film der zu Unrecht in Vergessenheit geriet und der nun Dank dieser vorzüglichen Doppel-DVD endlich gebührend gewürdigt wird.