Der Soundtrack, den es nie geben sollte
07:15 Minuten
Regisseur Howard Franklin lehnte die fertige Filmmusik zu "The Public Eye" 1992 ab und ersetzte sie. Die Musik stammte von Oscar-Preisträger Jerry Goldsmith. Nun wurde sie wiederentdeckt: Unser Rezensent erzählt die Geschichte dahinter.
Alle Stücke, die der Komponist und Oscar-Preisträger Jerry Goldsmith für den Film "The Public Eye" (dt. "Der Reporter") geschrieben hatte, waren schon aufgenommen. In den Londoner Whitfield-Studios wurde die Musik 1992 gemischt und produziert. Doch dann entschied sich Regisseur Howard Franklin gegen den Score.
Jerry Goldsmith stand selbst am Pult
Auch für einen erfahrenen und erfolgreichen Komponisten wie Goldsmith muss die Enttäuschung darüber groß gewesen sein, vermutet der Musikjournalist Vincent Neumann. Doch nun kommt die Musik doch noch zu Ehren: Sie wurde von Intrada Records ("The unused Motion Picture Score - The Public Eye") veröffentlicht.
Dass die Musik fertig vorlag und es sich nicht nur um Skizzen oder Demos handelte, machte es jetzt leichter, sie neu aufzulegen. Sie musste nicht neu eingespielt oder überarbeitet werden - die Aufnahmen sind extrem authentisch, denn Jerry Goldsmith stand selbst am Dirigentenpult.
Ob - und wenn ja, warum - Regisseur Howard Franklin mit der Musik ehemals unzufrieden war, darüber könne man nur spekulieren, sagt Neumann. Jerry Goldsmith starb 2004 im Alter von 75 Jahren. Fast 30 Jahre lagen die Aufnahmen unbeachtet in einem Archiv.
"The Public Eye" ist eine Art Neo-Noir-Kriminalfilm: Man taucht Anfang der 1940er-Jahre in die New Yorker Unterwelt ein. "Dafür hat Jerry Goldsmith eigentlich den perfekten Score geschrieben: unaufgeregt, aber sehr stimmungsvoll, intensiv, mit vielen Jazzanleihen, schönen Melodien und intensiven Streichern", betont Neumann.
Ein jüngerer Komponist als Konkurrent
Doch Regisseur Howard Franklin hatte sich offensichtlich etwas Anderes vorgestellt. Er verwarf sämtliche Vorschläge von Goldsmith und engagierte mit Mark Isham einen anderen, deutlich jüngeren Komponisten. Vielleicht erhoffte er sich dadurch einen moderneren Klang.
"Letztendlich – und das muss auch für Jerry Goldsmith unglaublich frustrierend gewesen sein – war das Ergebnis gar nicht so viel anders", berichtet Neumann. Stimmung und Sound beider Musiken seien sehr ähnlich. Ishams Version sei insgesamt "etwas langweiliger, etwas gradliniger. Mir fehlt da zum Beispiel dieser coole Jazz-Bass."
Es ist in Hollywood gar nicht so selten, dass eine Filmmusik abgelehnt und ausgetauscht wird. "Ich habe darüber schon mit diversen Filmkomponisten gesprochen: mit Rachel Portman, James Newton Howard und auch mit Howard Shore", erzählt Neumann. Die Komponisten empfänden das als eine Art Niederlage. Manchmal gäben sie aber auch zu, keinen richtigen Zugang zum Film gefunden zu haben. Letztendlich müsse man damit professionell umgehen.
Mehr Anerkennung für Filmkomponisten
Für Jerry Goldsmith sei das allerdings besonders bitter gewesen. Zum einen, weil er sich zu Lebzeiten immer für die Anerkennung der Arbeit und den Respekt gegenüber Filmkomponisten eingesetzt hatte. So kritisierte er zum Beispiel Stanley Kubrick scharf, der bei der Arbeit an "2001 – Odyssee im Weltraum" die Originalkomposition von Alex North rausschmiss und einfach alte Musikstücke verwendete. Jerry Goldsmith führte die Musik von North dann erstmals konzertant auf. Zum anderen beruhten einige seiner Ideen für "The Public Eye" auf einem älteren Soundtrack-Projekt, das ebenfalls abgelehnt worden war. "Ich finde es jedenfalls gut und auf jeden Fall lohnenswert, dass dieser lange vergessene Score jetzt doch an die Öffentlichkeit gelangt ist", urteilt Neumann.