Wiederentdeckter Starfotograf

Von Anette Schneider |
Jahrelang hatte F.C. Gundlach für ein "Haus der Fotografie" gekämpft. Sein Vorschlag: Er würde der Einrichtung seine Sammlung als Dauerleihgabe zur Verfügung stellen, die mit etwa 12.000 Arbeiten zu den angesehensten privaten Fotosammlungen weltweit gehört. Die Kulturbehörde schlug ein - und nun wird gefeiert.
Wobei dem einstigen Modefotografen F.C. Gundlach einiges für sein Haus zuzutrauen ist. Bereits 1975 hatte er in Hamburg eine der ersten Fotogalerien des Landes eröffnet, um Fotografie als Kunst vorzustellen - zu einer Zeit, als selbst viele Museumsleute noch abwinkten. 1999 initiierte er die "Triennale", dann forderte er hartnäckig einen eigenen Standort für das junge Medium. Nun gibt es ihn - doch die finanziellen Mittel sind gering, und das bedeutet:

"Wir müssen uns Sponsoren besorgen, und müssen eben wirklich internationale Ausstellungen machen. Es gibt ja in Deutschland ausgezeichnete fotografische Sammlungen, denken Sie an Folkwang. Aber das ist immer nur eine Abteilung in einem großen Haus, wo es alles andere auch gibt. Und wir widmen uns eben nur diesem Medium. Mein Ziel ist es schon, dass wir uns einklinken in einen Kreis von Häusern weltweit, was auf Fotografie spezialisiert ist."

Für Ausstellungen stehen Gundlachs Sammlung sowie die etwa drei Millionen Bilder des im Hause sitzenden SPIEGEL-Archivs bereit. Doch natürlich wissen die Mitarbeiter, dass Besucher vor allem Sonderausstellungen wollen. Um die überhaupt in die Deichtorhalle zu bekommen, habe man neueste klima-technische Voraussetzungen geschaffen, erklärt Ingo Taubhorn, der Kurator des Hauses.

"Dass, was an Corpus jetzt hier in Hamburg entstanden ist, ist wirklich in der Möglichkeit, die jetzt hier geboten wird, mit keinem anderen Haus in Deutschland vergleichbar. Wir haben neben den sehr flexiblen Innenräumen, haben wir Kabinette, die also den höchsten konservatorischen Bedingungen, die heute auch die Fotografie einfordert, gewachsen sind. Wir können hier Licht, Temperaturen je nach Bedarf der Leihgeber steuern. "

Martin Muncácsi macht nun den Anfang. Er ist eine Entdeckung! Besser: eine Wiederentdeckung! Der Fotograf, seit 40 Jahren vergessen, galt in den 20er und 30er Jahren als großer Neuerer der Fotografie.

370 Aufnahmen sind zu sehen, und die wirken so modern und dynamisch, als seien sie von heute: Der Sturz eines Motorradfahrers bei einem Rennen / der sich auf den Ball schmeißende Torwart / Tänzerinnen, die in der Luft zu schweben scheinen / Models, die nicht als Models auftreten, sondern in der neuesten Bademode ausgelassen am Strand entlanglaufen. Spontaneität und Bewegung ist Martin Muncacsi alles, und in seinen Fotografien hält er beides auf bis dahin unvorstellbare Weise fest: Nichts ist großartig inszeniert. Und: kein Foto mit noch so heftiger Bewegung weißt einen Moment der Unschärfe auf.

Mit dieser Herangehensweise revolutioniert Muncácsi die Presse- und Modefotografie, die bis dahin die Abzulichtenden in Szene setzte und starre Posen forderte. Für Fotografen wie Henry Carthier-Bresson und Richard Avedon wurde Muncácsi damit zum Initiator eines "neuen Sehens", zum Vorreiter einer neuen Fotografie.
Weshalb aber vergaß man ihn dann gleich nach seinem Tod?

F.C. Gundlach: "Weil ein Großteil des Archivs verloren gegangen ist und Muncaci '63 gestorben. Und die Witwe hat dann sein ganzes Archiv angeboten dem MOMA als auch dem Metropolitan-Museum in New York und beide haben es abgelehnt, weil man natürlich '63 dort eine andere Einschätzung der Fotografie hatte, man hatte einen anderen Standard. Und dann hat sie es eingelagert, konnte das Geld nicht mehr bezahlen, und was ist passiert: Es ist weggeworfen worden."

Entsprechend aufwändig waren die Recherchen für die Ausstellung, die Suche nach privaten Leihgebern. Nur das Ullstein-Archiv besitzt noch ein umfangreiches Konvolut seines einstigen Mitarbeiters - und F.C. Gundlach:

"Ich bin irgendwann über Muncacsi-Bilder gestolpert und war fasziniert von den frühen Bildern, die ich gesehen habe. Das ist 30 Jahre her. Und hatte natürlich auch keine Ahnung, und habe dann also recherchiert, und stellte fest, dass er für Ullstein gearbeitet hat. Und er war also von 28 - 34 Chefotograf der Berliner Illustrierten. "

Mit 1,5 Millionen Exemplaren war die "Berliner Illustrierte" damals auflagenstärkste Zeitschrift der Welt - "Life" gab es noch nicht - und Muncácski fotografierte alles: Er flog im ersten Zeppelin um die Welt, schlug sich - Jahre vor Claude Levi-Strauss - durch den brasilianischen Dschungel, um Eingeborene zu fotografieren oder fotografierte Alltag in Liberia.

Souverän handhabt er den Bildaufbau, greift oft die gewagten Perspektiven der sowjetischen Avantgarde auf. Der 1896 in Ungarn geborene Muncacsi dürfte sie zwischen 1917 und 1927 in Budapest kennen gelernt haben, wo er damals ein Fotoatelier führte.

Nach den erfolgreichen Jahren in Berlin muss der Jude Muncácsi Deutschland 1934 verlassen. Er emigriert in die USA und wird Chef-Fotograf bei "Harpers Bazar". Auch hier heißt es: Raus mit den Models aus dem Studio, Schluss mit den inszenierten Posen, stattdessen Bewegung und Spontaneität.

Doch obwohl erfolgreich und Lebemann verliert Muncácsi nie die Bodenhaftung, hat immer auch das "unten" im Blick: So wie er bereits als junger Mann in Ungarn das Elend fahrender Leute fotografierte und in den 30er Jahren eine Serie über die Wohnungsnot in Berlin, zeigt er im so reichen und glitzernden Nordamerika die Knochenarbeit von Rangierarbeitern und die Armenspeisung in Suppenküchen.

Martin Muncácsi - ein Name, der Dank dieser gelungenen Eröffnungsausstellung des "Hauses der Fotografie" hoffentlich nicht wieder in Vergessenheit gerät. Die Organisatoren allerdings haben sich damit selbst unter erheblichen Druck gesetzt: an diesem Einstand werden sie sich künftig messen lassen müssen.