Suchen nach der Vergangenheit
"Unsere Stadt!" widmet sich der jahrhundertelangen Geschichte der jüdischen Gemeinde Wiens. Schwerpunkt sind die Jahre nach 1945, in denen trotz Anfeindungen aus Politik und Bevölkerung wieder eine jüdische Gemeinde in der Stadt aufgebaut wurde.
Es ist eine bescheidene, doch beredte Ausstellung, die der Chefkurator des Jüdischen Museums Wien, Werner Hanak-Lettner, zusammengestellt hat. Eine Ausstellung, die das Jahr 1945 als Neuanfang begreifen will und anhand symbolkräftiger Exponate und Zitate die Atmosphäre im Wien der Nachkriegszeit deutlich machen soll.
"Wenn Sie zu uns ins Museum kommen, finden Sie sich sehr schnell gleich im Erdgeschoss in einem Raum wieder, in dem es mit dem Jahr 1945 losgeht, aber auch sehr schnell die Gegenwart auf Sie zukommt in diesem Raum. Sie spüren natürlich die Shoa, den Holocaust dort, es geht um diese vollkommen zerstörte Gemeinde, die aber doch unter der Kontrolle der Nazis in einem ganz kleinen Ausmaß existiert hat. Und wie diese Gemeinde nun versucht, sich zu fangen. Das ist etwas, was es keinem anderen jüdischen Museum bisher gibt, in dieser Weise."
Auf Schautafeln im Eingangsraum finden sich Zitate österreichischer Nachkriegspolitiker, die darin mehr oder weniger verbrämt ihre antisemitische Haltung zum Ausdruck bringen. Darunter Staatspräsident Karl Renner.
"Die neue österreichische Regierung hatte überhaupt kein Interesse, diese jüdische Gemeinde neu entstehen zu lassen. Präsident Renner sagt damals im Hinterzimmer, wir werden es nicht zulassen, dass eine neue jüdische Gemeinde aus Osteuropa hierher kommt, während unsere eigenen Leute - damit meint er nicht die eigenen Juden sondern natürlich die Nicht-Juden - keine Arbeit haben."
1965 entsteht die jüdische Gemeinde in Wien neu
Der Alptraum des Präsidenten Renner wird wahr, sagt Hanak-Lettner. In dem Sinne, dass von all den jüdischen Flüchtlingen, die zwischen 1945 und '55 durch Wien kamen, einige hängen geblieben sind, die eigentlich in die USA wollten oder nach Israel. 1956 ist die jüdische Gemeinde dann neu entstanden. Zahlreiche Juden aus der Sowjetunion, später aus den ex-sowjetischen Republiken strömen nach Österreich. Und auch wenn die 68er hier eine bedeutend geringere Rolle als in Deutschland spielen, färben sie doch auch auf die Israelitische Kultusgemeinde ab.
"Die 70er waren ein wichtiger Moment, als die nach der Shoa geborenen Wiener Jüdinnen und Juden angefangen haben, ihre Eltern, die Gemeinde, die doch relativ zurückgezogen und nicht in der Öffentlichkeit sich präsentiert hat, zu hinterfragen. Und sind auch lauter geworden und haben versucht, diese Gemeinde neu zu beleben, zu übernehmen und nach ihren Vorstellungen zu schaffen und auch ihre jüdische Identität zu hinterfragen."
Ein Indiz dafür ist das Fotodokument eines öffentlichen Hungerstreiks zur Unterstützung sowjetischer Juden, die ausreisen wollen, aber nicht dürfen. Doch bis es soweit ist, wird der Besucher mit Exponaten konfrontiert, die älter sind: Das funktionstüchtige Fahrrad Theodor Herzls etwa, das über dem Ausstellungsraum schwebt und an den Erfinder des Zionismus erinnert.
Gleichzeitig schrieb Herzl als Redakteur der "Neuen Freien Presse" launige Glossen übers Radeln in Wien. Dann ist da die faksimilierte Mitgliedsliste des legendären jüdischen Wiener Sportklubs "Hakoah", die belegt, wo in aller Welt die Mitglieder des von den Nazis aufgelösten Vereins nach dem Kriege verstreut waren – sofern sie noch lebten. Gleich am Eingang findet sich ein Gewehr, das dem "Stern"-Fotografen Harry Weber gehörte.
"Er hat sich zur Jewish Brigade der British Army gemeldet, das war 1944 dann endlich möglich, dass die jungen Juden in Palästina irgendwas tun konnten. Er ist dann über Italien mit der Jewish Brigade nach Österreich und dieses Gewehr haben wir, als er gestorben ist und dann seine Frau gestorben ist, im Keller bei ihm… also es hat seine Nichte gefunden und ans uns weiter gegeben."
Ausrufezeichen mit einem Fragezeichen als Schatten
Harry Weber steht für jüdischen Widerstand, der durch die Briten allerdings unterbunden wurde, als sie merkten, dass Weber und seine Leute nicht nur Nazis aufspürten, sondern auch Juden zu den italienischen Mittelmeerhäfen geleiten wollten, um sich dort nach Palästina einzuschiffen.
Aber nicht nur die Bemerkungen so manches Nachkriegspolitikers nennt "Unsere Stadt!" beim Namen. Künstlerisch überhöht und auf den Punkt gebracht werden auch Heuchelei und Opportunismus von Teilen der Wiener Bevölkerung, die sich in ihrem Opfer-Status durch die offizielle neue Staatsdoktrin noch bestätigt fühlen konnte. Georg Kreisler macht dies in "Weg zur Arbeit" zum Thema.
"Unsere Stadt!" - hinter dem Ausstellungstitel steht ein Ausrufungszeichen. Um emotionale Besitzansprüche der jüdischen Gemeinde zu markieren?
"Es kann natürlich eine Selbstbehauptung, eine Tatsache sein, aber gleichzeitig ist es die Frage: Ist es wirklich für Jüdinnen und Juden durch die Zeiten der Brüche des Antisemitismus ihre Stadt gewesen? Und mit diesem Rufzeichen, das ein Fragezeichen als Schatten hat, das ist ein sehr produktiver, konstruktiver Begleiter durch die Ausstellung."
"Unsere Stadt!" will eine Gegengeschichte der Stadt Wien erzählen, betont Kurator Hanak-Lettner. Er vermisst in Wien noch immer ein Museum, das sich in einer Dauerausstellung der eigenen Geschichte stellt.
"Dieses Land hat bis heute noch nicht wirklich Begriffe dafür gefunden, was Verantwortung wirklich bedeutet in dieser Hinsicht."
Die Dauerausstellung "Unsere Stadt!" könnte ein Anfang sein, hofft Hanak-Lettner.