Melange im Ruhrpott
Kaffeehauskultur – damit verbindet man das Ruhrgebiet auf den ersten Blick überhaupt nicht. Doch es gibt sie, und ein Dortmunder Verein sorgt dafür, dass die Mischung aus Literatur, Kaffee und Gemütlichkeit immer mehr Fans im Pott gewinnt.
Helmut Thiele: "So wie die Stammgäste des Café Zentral denke ich, mögen Fische in einem Aquarium leben: Immer im engen Kreise umeinander, immer ohne Ziel geschäftig."
Der gebürtige Wiener Schauspieler Helmut Thiele gibt seinem Publikum das Gefühl, im bekannten "Café Zentral" mitten in der österreichischen Hauptstadt zu sitzen. In Wirklichkeit hängen ihm gerade um die 40 Gäste im Dortmunder "Café Blickpunkt" an den Lippen.
Helmut Thiele: "Ich habe also die ehrenvolle und auch reizvolle Aufgabe, das 'Café Blickpunkt' gewissermaßen literarisch anzuwienern …"
…und zwar auf Einladung von "Melange e.V.". Seit 2004 bringt der Dortmunder Verein die Wiener Kaffeehaus-Atmosphäre ins Ruhrgebiet. Geschäftsführer Thomas Eicher hat lange für einen großen Kulturveranstalter gearbeitet und die Vorlieben des Publikums beobachtet:
Thomas Eicher: "Die Leute mögen nicht so sehr die klassischen Kulturorte, in denen es manchmal sehr steril zugehen kann, etwa in Bibliotheken, Volkshochschulen oder anderen Stätten, wo vor allem Literatur geboten wird. Die Leute lieben Gemütlichkeit, lieben Intimität, mögen es, besonders nah an den Künstlern dran zu sein. Und was bietet sich da mehr an als Salon oder Kaffeehaus?"
Kabarett- und Chanson-Abende im Pott
Das brachte Thomas Eicher im Jahr 2004 dazu, seinen eigenen literarischen Verein zu gründen – und ihn auch hauptberuflich zu leiten. "Melange e.V." zählt aktuell 30 Kulturinteressierte, die pro Jahr um die 200 Veranstaltungen mit professionellen Darstellern organisieren.
Thomas Eicher: "Heute machen wir überwiegend Kabarett, Chanson-Abende, Live-Hörspiele. Also Formate, die ein bisschen weggehen von dem klassischen Lesungsformat."
"Melange e.V." ist stets offen für neue Spielorte. So lernte Thomas Eicher vor einigen Jahren Wilhelm Mohrenstecher kennen, den Inhaber vom Dortmunder Café Blickpunkt.
In den 1970er- und 1980er-Jahren reiste der Gastronom öfter nach Wien und bekam das Treiben in den dortigen Kaffeehäusern hautnah mit:
Wilhelm Mohrenstecher: "…wo der Professor neben dem Stadtstreicher sitzt und sich mit dem sogar noch unterhält, mit dem Stadtstreicher philosophiert über das Leben, über den Tod und die anderen. Wobei der Traum von einem Café, in dem der Professor neben dem Stadtstreicher sitzt, hier in dieser Gegend wohl eher ein Traum bleiben wird."
Eine Zusammenarbeit mit "Melange e.V." ist für Wilhelm Mohrenstecher dagegen kein Traum geblieben. Durch die regelmäßigen Veranstaltungen hat das "Café Blickpunkt" neue Stammgäste bekommen. Helmut Thiele bringt sie an diesem Abend gekonnt zum Lachen – hier mit Anekdoten über den Schriftsteller Alfred Polgar, der auch regelmäßig im Wiener Café Zentral zu Gast war.
Helmut Thiele: "Einmal folgte ein besonders anhänglicher Zeitgenosse Alfred Polgar beim Verlassen des Cafés bis auf die Straße: 'In welche Richtung gehen Sie, Herr Polgar?' Polgars knappe Antwort: 'In die entgegengesetzte!'. Dieser fast artistische Umgang mit Sprache kennzeichnet überhaupt die Kaffeehausliteraten der damaligen Zeit."
Auch Programm für junge Leute
Insgesamt bespielt "Melange e.V." mehr als 20 verschiedene Orte. Dazu gehören neben Cafés zum Beispiel auch Hotels oder Museen. Ab und zu verlässt Thomas Eicher dabei die klassische Kaffeehauslinie mit Literatur, Kabarett und Chanson:
"Also, man kann jetzt nicht mal einen Abend machen mit Rockmusik. Obwohl ich sehr überrascht war – wir haben vor einem Monat ein Konzert mit Richetta Manager gehabt, die lange am Opernhaus war, aber mittlerweile Soul und Gospel singt – und die Leute haben es genossen!"
Solche eher untypischen Programmpunkte können helfen, auch jüngere Leute wieder anzulocken, meint Thomas Eicher. Denn oftmals sind die Besucher seiner Veranstaltungen über 60 Jahre alt.
Thomas Eicher: "Es gibt eben natürlich auch Cafés, in die nur Omis gehen. Das sind die Klassischen, die Konditoreien, in denen es dann auch die besonders guten Kuchen und Schokoladen gibt. Und ich stelle fest, wenn ich da jüngere Leute reinbringe, dann sagen die: 'Wow, ist das hier schön! Komisch, dass ich seit 30 Jahren hier nie reingegangen bin'."
Für den literarischen Verein steht das Wort ganz klar im Vordergrund. Wenn es Musikveranstaltungen gibt, dann nie rein instrumental. Helmut Thiele etwa kombiniert Musik und gesprochenes Wort sehr geschickt miteinander – in Christian Wolffs Text "Wie verführt man musikalisch eine Frau":
"Dann führt man sie mit Liszt
Zum Suppé
Dort lässt man Bach-Händel servieren
Dazu einen vollmundigen Chopin Wein
Und zum Nachtisch ein zartes Bizet."
Zum Suppé
Dort lässt man Bach-Händel servieren
Dazu einen vollmundigen Chopin Wein
Und zum Nachtisch ein zartes Bizet."
Kein Geld für hohe Gagen
Helmut Thiele lebt schon lange in Osnabrück. Nur deshalb war es für "Melange e.V." möglich, mit ihm einen echten Wiener zu gewinnen. Hohe Gagen für weitere Anfahrtswege kann der Verein nicht zahlen.
Thomas Eicher: "Wir arbeiten, da wir mit kleinem Publikum arbeiten, auch mit kleinen Honoraren. Wir müssen uns aus den Einnahmen irgendwie alle ernähren – sowohl der Künstler als auch ich. Und das heißt wiederum: Alle, die hier mitwirken, sind eigentlich aus der Gegend…"
…was aber keinesfalls Einbußen beim Niveau bedeutet. "Melange e. V." kann sich jede Woche über ausverkaufte Veranstaltungen und positive Resonanzen freuen. Auch im Café Blickpunkt in Dortmund sind die Gäste mal wieder begeistert:
"Ich war mal in Wien, da muss ich jetzt dran denken. Da waren wir auch in so einem Zentral-Café. Ich kann mir die Atmosphäre genau vorstellen."
"Der hat mich überrascht, weil wir mit einem Menschen, der das so vortragen kann, mit Betonung und lustiger Art, nicht gerechnet hätten."
"Man merkt natürlich, das ist ein richtiger Wiener, der weiß, wovon er spricht. Und er bringt so humorvoll die kleinen Macken der Menschheit auf den Punkt."