Betrunkene Plünderer
Wikinger und Rheinländer waren zwar befreundet. Doch das stand den Beutezügen der Seefahrer nicht im Wege. Im Gegenteil: Sie nutzen die vertrauensvolle Beziehung konsequent aus - und waren dabei überraschend schnell.
Man braucht nur das Wort "Wikingerschiff" in den Mund zu nehmen. Dann sieht man prompt ein Lächeln auf dem Gesicht von Rudolf Simek. Er ist Professor für Skandinavische Kultur an der Uni Bonn. Der lächelnde Professor Simek hat seine Doktorarbeit über Wikingerschiffe geschrieben. Ein Thema, das ihn auch viele Jahre danach nicht los lässt. Zum Beispiel, als er vor zehn Jahren eine Ausstellung über Wikinger im Rheinischen Landesmuseum mit konzipierte. Die Hauptattraktion war der Nachbau eines Wikinger-Schiffs. Auch, weil so wenig andere, wirklich historische Ausstellungsstücke zur Verfügung standen.
"Das war eines der größten Probleme in der Ausstellungsgestaltung, dass es eigentlich nichts gibt, was die Wikinger hier physisch hinterlassen haben. Also, sie haben fast keine Münzen verloren, sie haben auch ihre Schwerter nicht weggeworfen hier. Sie haben keine Helme deponiert für uns."
Die Wikinger mal nicht als Freunde der Rheinländer – sondern als Kriminelle. Das war neu, bei der Ausstellung im Jahr 2004, erinnert sich Kurator Hans-Hoyer von Prittwitz:
"Das war nun ein völlig entgegengesetztes, ja fast politisch unkorrektes Thema, nämlich zu sagen die Wikinger kamen als Räuber, Mörder, Plünderer und so weiter."
Unklar, ob es wirklich Raubgut ist
Aber wie zeigt man Ausrauben und Plündereien, wenn es kaum Artefakte gibt? Selbst in skandinavischen Museen konnte man nicht fündig werden.
"Viele Objekte, die man in schwedischen und anderen Museen findet, aus dem Rheinland, also Gläser oder auch Tongefäße, das kann genauso gut Handelsware sein. Da lässt sich eben einfach nicht sagen, das war definitiv geraubt oder geplündert."
Also musste man sich neben dem Schiffsmodell der Wikinger hauptsächlich auf Texte und Bilder konzentrieren. Werke, die die Freundschaft der Wikinger zu den Rheinländern illustrieren. Aber eben auch den Wandel in der Gesinnung, hin zur schonungslosen Gewalt. Ein faszinierendes Spannungsfeld, meint Rudolf Simek. Schließlich hätten die Wikinger die Rheinländer gut gekannt, die sie später überfielen.
"Das machte es für diese Plünderer so leicht, ganz gezielt bestimmte Klöster anzusteuern, ganz gezielt bestimmte Produktionsstätten wie die Waffenschmieden hier im Rheinland anzusteuern und sich die Sachen ganz gezielt zu holen. Die mussten nicht suchen gehen, wo finde ich etwas? Die wussten das längst!"
Segelboote und geklaute Pferde
Die wichtigste Waffe der Wikinger waren nicht ihre Schwerter – die waren nicht viel anders als die der Rheinländer. Der Vorteil der Wikinger war ihre unglaubliche Schnelligkeit. Sie kamen mit damals modernen Schiffen, die per Segel viel schneller waren als andere Boote. Und sie setzten bei ihren Beutezügen konsequent auf das Überraschungsmoment.
"Das hören wir hier sowohl aus Aachen als auch hier in der Bonner Gegend, dass die landen, klauen sich Pferde und sind mit diesen Pferden natürlich noch mal schneller und mobiler. Da half es gar nichts, dass man hier Truppen ausgehoben hat gegen die Wikinger. Wie die Truppen ausgehoben waren aus den Dörfern, waren die Wikinger längst wieder weg."
Weinkeller waren besonders interessant
Doch die Wikinger waren auch nur Menschen, weiß Rudolf Simek, der bei seiner Beschreibung immer noch ein Lächeln auf den Lippen hat. Diese Wikinger haben es ihm angetan, auch wegen ihrer menschlichen Seite – die freilich nicht zu verwechseln ist mit einer möglicherweise humanen Seite.
"Daneben waren – und da unterscheidet sich die Wikingerzeit nicht so sonderlich vom 21. Jahrhundert – die Weinbestände im Rheinland, für die Wikinger besonders interessant. Wir hören in einigen dieser Annalen davon, dass die Wikinger zuerst in den Weinkeller gestürmt sind, sich dort betrunken haben und dann in ziemlich betrunkenem Zustand erst die Sakristeien und Schatzkammern geplündert haben."