Auf den Spuren des Harald Blauzahn
Immer auf der Suche nach Edelmetall: Die Wikinger und ihr König Blauzahn waren von England bis Afghanistan unterwegs. Reste ihrer Schätze tauchten in Vorpommern auf - vor über 100 Jahren nahe bei Hiddensee und nun auf einem Acker der Insel Rügen.
Die Ostsee. Sie war vor 1000 Jahren Europas wichtigste Autobahn für den Warenverkehr. Und "King of the road" waren die Wikinger. "Wiking" bedeutet ursprünglich "weite Schiffsreise".
Claudia Hoffmann: "Wikinger waren schon sehr mobil gewesen. Sie waren Seefahrer gewesen und man sagt, sie sind auch dem Weg des Silbers gefolgt, das heißt also bis nach Byzanz. Und in Byzanz sind auch Wikinger wirklich belegt. Die waren schon sehr weit unterwegs."
Der beeindruckende Hiddenseer Goldschatz
Claudia Hoffmann, Leiterin des Stralsund Museums. Wer dem Weg des Silbers folgt, der benutzt natürlich in erster Linie auch dieses Edelmetall für seinen Schmuck. Aber das Herzstück der neu gestalteten Ausstellung im Stralsund Museum ist ein Schatz aus purem Gold, gefunden im 19. Jahrhundert vor Hiddensee, gut 20 Kilometer nördlich von Stralsund. Dieser Hiddenseer Goldschatz gilt in der Fachwelt als eines der beeindruckendsten Beispiele für die Schmiedekunst der Wikinger, erklärt Claudia Hoffmann:
"Das ist wirklich, was die handwerkliche Arbeit angeht, das Beste und Tollste, was die Wikinger damals herstellen konnten. Es ist reines Gold, 600 Gramm, zwar nicht so schwer wie manch andere Funde. Aber die Qualität und dieses reine Gold zeigen, dass es wahrscheinlich im Bereich des Königshofs hergestellt wurde und genutzt worden ist."
Einer der damals mächtigsten Wikinger
Des Königshofs von Harald Blauzahn, einem der mächtigsten und berühmtesten Wikinger der damaligen Zeit. Claudia Hoffmann steht vor einer gläsernen Röhre. Darin leuchten die einzelnen Teile des Schatzes. Ein Halsreif, ein Verschluss für ein Kleidungsstück, Fibel genannt, und - an einem Draht spiralförmig aufgehängt - vierzehn Anhänger für eine Kette:
"Also diesen Goldschatz kann man zwar in die Umgebung von Harald Blauzahn verweisen. Aber wahrscheinlich hat Harald Blauzahn diesen Schmuck nicht wirklich getragen. Denn wenn man sich den Halsreif anschaut, der ist relativ schmal und wahrscheinlich eher von einer Frau getragen worden oder von einem Knaben. Dann haben wir hier auch das schönste Stück aus diesem Schmuck, das ist eine Scheibenfibel, und Scheibenfibeln sind in der Regel von Frauen getragen worden. Aber vielleicht verbirgt sich dahinter auch ein Familienschatz, in dem Teile davon von ihm selbst getragen worden sind."
Übergang vom Heidentum zu christlicher Religion
Archäologie ist Detektivarbeit. Die Forscher müssen nur genau hinschauen, dann fangen die Funde an von ihrer Zeit zu erzählen. Der Hiddenseer Goldschatz berichtet von einem historischen Übergang – vom Heidentum zur christlichen Religion. Wikingerkönig Harald Blauzahn hatte sich taufen lassen, erzählt Claudia Hoffmann:
"Das kann man sehr schön an dem Goldschatz sehen. Wir haben zum Beispiel hier diese Hängestücke, die bestehen aus einem Kreuz und die Enden sind dann wieder Kreuze. Und dann haben wir aber auch Flechtband drauf und oben den Vogelkopf, der dann wieder auf dieses Heidnische hinweist. Und in der Fibel sehen wir im Zentrum eine Kreuzform, und auch an sich ist es so ein bisschen angeordnet wie ein Kreuz, was sich da durchzieht. Und dann haben wir eben vier Tiere, deren Schnäbel sozusagen an dieses Kreuz rangehen."
Gut 1000 Jahre später an einem Wintertag Anfang dieses Jahres. Der 14-jährige Luca Malaschnitschenko ist mit seinem Mentor René Schön auf Rügen unterwegs. Als ehrenamtliche Helfer des Landesamtes für Kulturpflege und Denkmalschutz. Sie schreiten einen Acker bei Schaprode mit ihren Metalldetektoren ab. Plötzlich fängt der von Luca an zu piepen:
"Das ist ja eigentlich nichts Besonderes, dass er piept. Das macht der ja alle fünf Minuten. Und eigentlich ist es erst was Besonderes, wenn man dann wirklich was gefunden hat und es nicht nur ne alte Alu-Dose ist."
Der Silber-Fund von Schaprode
Ist es nicht. Sondern eine Silbermünze. René Schön findet auch etwas. Es könnte ein Stück von einem Schmuck sein. Noch am selben Abend wertet er mit seinem Schützling Luca die Funde aus:
"Mensch, das ist ja eine Haithabu-Münze! Und das ist ja ein Stückchen Halsring! Mensch, da könnte ja eventuell noch mehr liegen! Da müssen wir morgen noch mal hinfahren und mal gucken, ob das vielleicht ein Hortfund ist. Das war eine schlaflose Nacht."
Am nächsten Morgen wird klar: René Schön und Luca Malaschnitschenko haben den Fund ihres Lebens gemacht. Mehrere hundert Münzen und dazu noch einige Schmuckstücke aus der Wikingerzeit. Insgesamt 1700 Gramm Silber. Das entsprach Ende des 10. Jahrhunderts einer Kaufkraft von achteinhalb Pferden. Oder achteinhalb Sklaven. Die Wikinger haben da nicht unterschieden, Arbeitskraft war Arbeitskraft.
Zu Besuch in Schwerin bei Detlef Jantzen und seinen Kollegen vom Landesamt für Kultur und Denkmalpflege. Jantzen leitet dort die Abteilung Landesarchäologie. Seit dem Frühjahr liegt der Silberschatz von Schaprode hier bei ihm im Depot. Verpackt in grauen Schachteln, die Schuhkartons ähneln und sortiert in kleinen Plastiktüten.
Münzen und Schmuck absichtlich zerbrochen
Detlef Jantzen: "Ich hab jetzt mal den Karton aufgemacht, in dem sich die dänischen Münzen befinden. Das ist ja das Besondere an diesem Fund, was auch wesentlich zu seiner Bedeutung beträgt. Wir haben also fast 260 Prägungen, die im damaligen dänischen Reich unter der Herrschaft Harald Blauzahns geprägt worden sind, Prägeort ist wahrscheinlich in den meisten Fällen Haithabu. Das gehörte damals zum dänischen Reich."
Und liegt heute in Schleswig-Holstein. Die ehemalige Wikingersiedlung zählt seit diesem Juli zum UNESCO-Weltkulturerbe. Zwei Dinge fallen an den Münzen sofort auf: Erstens sind sie hauchdünn. Zweitens sind viele in der Mitte zerbrochen. Das ist nicht der Zahn der Zeit, der hier genagt hat. Das waren die Wikinger selbst, erklärt Detlef Jantzen:
"An der südlichen Ostseeküste hat man die Münzen noch nicht als Münzen verstanden, sondern hat Silber rein nach seinem Gewicht beurteilt. Und wenn das Gewicht nicht passte, wenn man also schon drei Münzen draufgelegt hatte und das reichte noch nicht, dann hat man im Zweifel die vierte Münze einfach durchgeschnitten und eine halbe Münze draufgelegt, um auf dieses angestrebte Gewicht zu kommen."
Mit dem Schmuck haben es die Wikinger genauso gemacht, wie der Silberschatz von Schaprode beweist. Der Armreif wiegt noch zu viel? Einfach durchhacken! Aber nicht nur Münzen aus dem dänischen Reich hat der Silberschatz von Schaprode zu bieten. Das Gesamtspektrum der Münzen reicht von England bis nach Afghanistan. Jantzen greift zu einem Karton mit arabischen Münzen:
"Diese arabischen Münzen sind beschriftet. Sie haben in der Regel eine Umschrift. Darin ist der Kalif genannt, in dessen Amtszeit die Münze geprägt wurde und es ist auch eine Jahreszahl genannt."
Nordische Sagas als historische Quellen
Die ist der bislang wichtigste Hinweis für die Archäologen, wenn es um die Bestimmung des Alters dieses Schatzes geht. 980 steht auf einer der Münzen. Das ist die Zeit von Harald Blauzahn, dem großen Unbekannten. Die einzigen geschichtlichen Quellen über diesen Wikingerkönig sind die Sagas, also altnordische Erzählungen. Und ein Stein mit Runenzeichen, der Große Jellingstein in Dänemark:
Detlef Jantzen: "Wovon man sicher ausgehen kann, ist, dass er es geschafft hat, die Dänen zu einen in dieser Zeit. Das hat er ja auch auf dem Jellingstein beschrieben, dass er das geschafft hat, und dass er zum Christentum übergewechselt ist. Wie er seine Dänen da mitgenommen hat, das ist durchaus umstritten und fraglich."
Seinen Sohn und Thronfolger, Sven Gabelbart, hat Harald Blauzahn nicht vom Christentum überzeugen können. Der Sohn lehnt sich gegen seinen Vater auf. 986 kommt es bei Bornholm zu einer Seeschlacht zwischen Vater und Sohn, erzält Jantzen:
"Bei dieser Seeschlacht hat Sven Gabelbart gesiegt. Harald Blauzahn ist dann, wenn man den Schilderungen aus den Sagas glauben darf, an Land gegangen, hat sich in die Toilette begeben und wurde dort von einem Pfeil im Hintern getroffen. Und ist dann über die Ostsee Richtung Süden in die Jomsburg geflohen."
Wie kam der Schatz nach Schaprode?
Diese Fluchtroute führt dicht an Rügen vorbei. Vielleicht hat Harald Blauzahn diesen Silberschatz höchstpersönlich in Schaprode vergraben. Detlef Jantzen glaubt das nicht. Das deutlich spätere Prägedatum einiger Münzen aus dem Schatz spreche dagegen.
Aber noch sind die Landesarchäologen am Anfang ihrer Untersuchungen. An deren Ende steht die Präsentation in einem Museum. Aber in welchem? Alexander Badrow, der Oberbürgermeister von Stralsund hat da schon eine Idee:
"Ich kann nur sagen, wir haben hier die besten Bedingungen dafür. Aber ich kann auch verstehen, wenn jemand sagt, in unserer Region gibt es auch andere Punkte, dann ist das halt die Entscheidung. Ich biete das an, dass wir die wissenschaftliche Begleitung gern mitmachen, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite natürlich auch gern bei uns im Museum hätten, aber ich kann auch verstehen, wenn da sozusagen noch andere Begehrlichkeiten sind."
Auf der Suche nach einem Ausstellungsort
Auf Rügen zum Beispiel, wo der Schatz gefunden worden ist. Die Entscheidung, wo der Silberschatz gezeigt werden wird, trifft die Landesregierung in Schwerin. In jedem Fall müsse er in der Region Vorpommern ausgestellt werden, findet Badrow, und nicht etwa im mecklenburgischen Rostock. Dort soll das Archäologische Landesmuseum entstehen. Der Silberschatz von Schaprode wäre natürlich ein großartiges Exponat.
Alexander Badrow: "Also ich glaube nicht, dass Schwerin die Entscheidung so trifft. Das könnte man hier auch nicht vermitteln. Aber ich glaube, da gibt es ganz gute Ideen, wie man vielleicht trotzdem, wenn man's im Land behalten will, das so darstellen kann, dass es trotzdem hier vor Ort passiert."
Klingt nach einem Kompromiss. Wie er aussehen kann, wird sich zeigen. Vielleicht ein weiteres Zerhacken des Silberschatzes nach guter alter Wikingerart, um ihn dann nach Gewicht gleichmäßig auf mehrere Museen aufzuteilen?