"Noch nie hat sich solcher Terror ereignet"
Sie kamen schwer bewaffnet übers Meer und verbreiteten Angst und Schrecken: Am 8. Juni 793 überfielen Wikinger das Inselkloster Lindisfarne vor der Nordostküste Englands. Der Angriff markierte den Beginn der Wikingerfeldzüge nach Westeuropa.
Die Schreckensnachricht sorgte noch im über 800 Kilometer entfernten Aachen für Gesprächsstoff. Dort lebte der gelehrte Angelsachse Alkuin von York als Leiter der Hofschule Karls des Großen und konnte sich kaum beruhigen über die Katastrophe, die seine Heimat getroffen hatte.
"Wenn die Heiden die Heiligtümer Gottes entweihen, das Blut der Heiligen am Altar vergießen, das Haus unserer Hoffnung verwüsten, im Tempel Gottes auf den Reliquien der Heiligen wie auf Straßendreck herumtrampeln, welche Sicherheit gibt es dann noch für Britanniens Kirchen? Noch nie hat sich in Britannien solcher Terror ereignet wie wir ihn jetzt von einem heidnischen Volk erlitten haben. Wir haben uns auch nicht vorgestellt, dass ein solcher Angriff von See her möglich wäre. Seht die Kirche des heiligen Cuthbert, mit dem Blut der Priester Gottes bespritzt, ihres Zierats beraubt!"
Der Überraschungsangriff auf das Inselkloster Lindisfarne vor der nordöstlichen Küste Englands am 8. Juni 793 war der erste große Wikingerüberfall in Westeuropa, eine Attacke nach gängigem Muster, wie es der Kölner Historiker Dominik Waßenhoven beschreibt.
Vertrieben, verschleppt, im Meer ertränkt
"Die Technik dieser ersten Überfälle war, dass man mit den Langschiffen relativ schnell ankam und teilweise auch in die Flüsse hinein, und dann relativ schnell sich zurückziehen konnte. Das ist eine Taktik gewesen, die auf die Beute aus war und weniger auf Verwüstung."
Die Angelsächsische Chronik berichtet über das Vorgehen der Skandinavier in Lindisfarne: "Sie töteten einige der Brüder, schleppten einige in Fesseln mit sich, viele vertrieben sie, nackt und mit Beschimpfungen überhäuft, manche ertränkten sie im Meer."
Die Angelsächsische Chronik berichtet über das Vorgehen der Skandinavier in Lindisfarne: "Sie töteten einige der Brüder, schleppten einige in Fesseln mit sich, viele vertrieben sie, nackt und mit Beschimpfungen überhäuft, manche ertränkten sie im Meer."
Es war, wie alle damaligen Chroniken bezeugen, ein Schock, der die Opfer aus heiterem Himmel traf - der Überfall auf ein unverteidigtes Kloster, eine Stätte des Gebets. Den Angelsachsen wird freilich nicht unbekannt gewesen sein, dass jenseits der Nordsee nicht nur friedfertige Zeitgenossen lebten. Es gab Handelsbeziehungen mit Skandinavien. Es war auch schon zu tragischen Missverständnissen gekommen wie im Jahr 789, als drei fremde Schiffe vor dem Hafen von Portland erschienen. Historiker Waßenhoven:
"Dort ist nämlich der Vogt des Königs einfach hingereist zu den Skandinaviern und wollte vermutlich Handel mit denen treiben, ist dann aber erschlagen worden. Es heißt dann in der Angelsächsischen Chronik: Das waren die ersten drei Schiffe der Skandinavier, die England heimsuchten."
Geistiges und kulturelles Zentrum der Angelsachsen
Das Kloster Lindisfarne war im Jahr 635 von dem irischen Mönch Aidan gegründet worden und mittlerweile als Wirkungs- und Begräbnisstätte des angelsächsischen Heiligen Cuthbert ein vielbesuchter und entsprechend reich ausgestatteter Wallfahrtsort. Es war ein geistiges und kulturelles Zentrum Northumbrias, des nördlichsten der damals vier angelsächsischen Königreiche auf dem Gebiet des heutigen England. Historiker Waßenhoven:
"Es war also eine Region, wo das Christentum sehr stark Fuß gefasst hat, und das Mönchtum sich auch sehr weit ausgebreitet hat, und einige Missionare, die auf den Kontinent gegangen sind, also auch in das Frankenreich, beispielsweise Bonifatius im 8. Jahrhundert, kamen eben auch aus Northumbria."
Nach Lindisfarne häufig England heimgesucht
In den zwei Jahrhunderten nach dem Überfall auf Lindisfarne suchten Wikinger weite Teile Westeuropas regelmäßig heim, mit besonderem Nachdruck und in immer größerer Zahl freilich die britischen Inseln. Im Jahr 851 erschien eine dänische Flotte mit 350 Schiffen vor der englischen Küste. Die Wikinger beließen es nicht mehr bei sporadischen Überfällen. Sie setzten sich fest und siedelten, wie Historiker Waßenhoven berichtet:
"Mitte des 9. Jahrhunderts kann man tatsächlich beobachten: Die Gruppen, die nach England kommen, werden größer, und es fängt auch dann an, dass sie in England überwintern. Vorher war's eben so, die Plünderungssaison war meistens vom späten Frühjahr bis späten Sommer, und nun ist man dazu übergegangen, auch Winterlager aufzuschlagen und das ganze Jahr über Raubzüge vornehmen zu können."
Bis zum Jahr 873 überrannten die Wikinger drei der angelsächsischen Königreiche, bevor sie im Süden an der Kanalküste auf einen ebenbürtigen Gegner trafen. König Alfred von Wessex, der als "der Große" in die Geschichte eingegangen ist, besiegte die Skandinavier 878 in der Schlacht bei Edington und konnte sein Reich erfolgreich verteidigen. Alfred wurde acht Jahre später als Herrscher aller Angelsachsen anerkannt und legte damit den Grundstein des englischen Königreichs.
Bis zum Jahr 873 überrannten die Wikinger drei der angelsächsischen Königreiche, bevor sie im Süden an der Kanalküste auf einen ebenbürtigen Gegner trafen. König Alfred von Wessex, der als "der Große" in die Geschichte eingegangen ist, besiegte die Skandinavier 878 in der Schlacht bei Edington und konnte sein Reich erfolgreich verteidigen. Alfred wurde acht Jahre später als Herrscher aller Angelsachsen anerkannt und legte damit den Grundstein des englischen Königreichs.